Stadtgründung als Utopie

29. Dezember 2017 Mehr

Wenn man Hunderte junger Architekten rund um den Globus auffordert, mit der Beziehung zwischen Gemeinschaften und der gebauten Umwelt ein Experiment zu wagen und eine eigene Siedlung zu errichten, dann endet das in einem ländlichen Campus für eine nomadische Fakultät. Das zumindest war das letzte Ergebnis des Experimentes „Hello Wood“, welches als architektonische Bildungsplattform vor drei Jahren im Rahmen einer Sommerakademie initiiert worden war. Unter der Bezeichnung „Project Village“ begann man 2015 ein Pop-up-Event, das sich von Jahr zu Jahr vergrößerte. 2016 kaufte „Hello Wood“ ein zwei Hektar großes Grundstück in Csóromfölde, nahe dem Balaton in Ungarn, und das Projekt wurde sesshaft, eine kleine Siedlung entstand.

 

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Péter Pozsár, einer der Väter dieser Idee, drückte es so aus: „In der Mitte eines großen Landstückes zu stehen, rundherum ist absolut nichts und dann zu sagen, Ok, machen wir hier eine Siedlung – das ist schon aufregend und auch ernüchternd.“ Die Architekten der Sommerakademie waren von Anfang an mit einer gewaltigen Herausforderung konfrontiert, obwohl die Frage eigentlich ganz einfach war: Was bauen wir als erstes auf der leeren Fläche? Wie plant man den Beginn architektonischer Markierungen? Einige wollten zuerst Lagerräume, andere hielten einen „sakralen“ Bau für wichtiger.
2017 kam „Project Village“ in eine Phase, in der man das Hauptaugenmerk auf Siedlungsstrukturen legte. Csóromfölde war nun nicht mehr eine Baustelle, sondern ein zeitweilig – von seinen Erbauern – bewohnter Ort. Die Teilnehmer entwickelten ein Ortszentrum, hielten Abendveranstaltungen und Workshops ab, Konzerte und Partys fanden statt und man aß gemeinsam. Die Wohnareale, rund um gemeinschaftliche Gärten arrangiert, waren mit einer Küche und den Duschgelegenheiten verbunden. Die Basisinfrastruktur beinhaltet nun einen Brunnen für die Siedlung, Elektrizität wird in den kommenden Jahren aus Solarzellen gewonnen werden. Im heurigen Jahr haben sich die Bewohner hauptsächlich darauf konzentriert, einen Zusammenhang zwischen dem täglichen Leben (Essen, Entwerfen und Bauen, Abendveranstaltungen, Diskussionen, Konzerte und Freizeit) und dem Gebrauch des Raumes zu beobachten und festzustellen.

Als Architekt hat man natürliche eine Vorstellung von einer idealen Stadt, aber es ist interessant, wie sich diese Ideen ändern, wenn man mit realen Bedingungen des Bauens im Gelände, den Wünschen des Nachbarn konfrontiert ist. Anpassung ist die Folge, meinte einer der Kuratoren der Siedlung. Selbst bei einem starken Konzept kann es sich herausstellen, dass der Eingang falsch platziert ist, die Fassade nicht stimmt und die Menschen das Gebäude nicht akzeptieren – all diese Änderungen und auch Verneinungen sind das, was „Project Village“ über die Zeit zu einer funktionierenden und praktikablen Struktur formt.

Alle Teilnehmer haben die Herausforderung sehr ernst genommen und konsequent über drei Jahre immer ihren Sommer in das Stück Land investiert. Die Rahmenbedingungen waren anfangs eher lose. Die Grenzen zwischen Sommerakademie und Festival, urban und ländlich, Kunst und Architektur, Praxis und Utopie waren verschwimmend, unscharf. Im heurigen Sommer sind dann sieben internationale Teams von erfahrenen Forschern, Akademikern und Organisatoren (wie Architecture for Refugees) zur gemeinsamen Arbeit angeleitet worden. Die Teams hatten die Aufgabe, real die Grenzen der Räume zwischen Natur und Terrain, basierend auf den tatsächlichen und vorgegebenen Routinen der Bewohner zu definieren. Die Methode war, das Handwerk und die Politik des Bauens zu praktizieren, gleichzeitig die Einschränkungen des Grundstückes, des Materials und der Zeit zu überwinden. Tagsüber entwarfen, bauten und dachten alle mit den Händen, ständig bemüht sich den praktischen Dingen anzunähern. In der Nacht erreichte die soziale Interaktion dann eine andere Dimension: Es gab Serien von Abendvorträgen (durchaus berühmter Vortragender) und Diskussionen mit kritischen Reflexionen, gefolgt von Partys. Das bedeutete eine Diskussion der globalen Beständigkeit der Idee auf einer anderen Ebene.

Die Vorträge der Abendveranstaltungen waren um die Themen des „Whole Earth Catalog“, einer sehr verbreiteten Publikation aus den 60er und 70er Jahren, die eigentlich eine Gegenkultur vertrat, aufgebaut. Sie diente sowohl als Leitfaden für gemeinschaftliche Siedlungsprojekte wie auch als intellektuelle Stimulation, indem konventionelle Arten des Bauens hinterfragt wurden.

Obwohl das Drei-Jahresprogramm nun zu Ende ist, werden die gebauten Strukturen nicht abgerissen. In Csóromfölde beginnt nun eine nächste Stufe der Entwicklung. Das bedeutet, dass man danach trachten wird, die Siedlung autark und lebensfähig zu machen. Die Wasser- und Energiesysteme müssen ausgebaut werden, denn es ist die natürlichste Sache der Welt, dass man den Wasserhahn aufdreht und heißes Wasser herausrinnt.

„Hello Wood“ hat über die Jahre die Aufmerksamkeit einiger der berühmtesten Architekten der Welt erregt: Kengo Kuma und der Urban Think-Tank hielten Vorträge in Ungarn. Und nun kommt für das Projekt der Schritt über die Grenzen des Landes hinaus: Das Konzept wird mit all seinen Lehrmethoden und Erfahrungen exportiert. Letztes Frühjahr fand bereits – nach einem Jahr Vorbereitung – die erste Session mit 600 Teilnehmern in Argentinien statt.

 

 

Text: ©Peter Reischer

Fotos: ©Tamás Bujnovszky

 

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