Suffizienz als Entwurfsstrategie

19. Mai 2022 Mehr

Philipp Lionel Molter versteht sein Atelier ­studiomolter als interdisziplinäres Atelier, das in den Bereichen Architektur und Design forscht und praktiziert. Als Professor für Architektur an der IU International University setzt Molter in seinem Verständnis von Architektur und Design auch auf einen wissenschaftlichen Forschungsansatz. Im Interview erklärt er seine Arbeitsweise an praktischen Beispielen und gewährt einen Einblick, was eine intelligente Fassade in seinen Augen auszeichnet.

 

Architekt und Professor Dr. Philipp Lionel Molter
„Getrieben von Neugierde erforschen wir mit einem wissenschaftlichen Ansatz die Komplexität und Vielfalt aller Maßstäbe, die Architektur und Design zu bieten haben. Unsere Methodik zur Gestaltung unserer gebauten Umwelt basiert auf einer tiefgreifenden kulturellen und geographischen Recherche. Die Art und Weise, wie wir arbeiten, spiegelt sowohl den persönlichen als auch den sozialen Kontext wider, innerhalb derer wir versuchen, in einer offenen und kollaborativen Weise mit Architekten, Ingenieuren, Wissenschaftlern und Experten gemeinsam die passende Lösung zu finden.“

 Philipp Lionel Molter

 

In seinem Münchner Atelier studiomolter setzt Architekt Philipp Lionel Molter auf eine interdisziplinäre Arbeitsweise. Da das Bauen und Planen in der heutigen Zeit zunehmend an Komplexität gewinnt, ist in der Konzeption auch immer mehr Expertenwissen nötig. Dabei stellen sich nicht nur Fragen der Energieeinsparung, des Lebenszyklus oder betreffend der Materialien – auch rechtliche Belange werden zunehmend zum Thema. Entgegen der Tendenz zu immer größer werdenden Bürostrukturen, setzt Molter auf ein eher kleines und dafür agiles Konstrukt, das im Netzwerk und projektweise äußerst systematisch, strategisch und zielgerichtet agieren kann. Die Basis bildet aber dennoch sein internationales und interdisziplinäres Team mit verschiedenen Kompetenzen, das für Projekte oder für Wettbewerbe fachspezifisch erweitert werden kann. Der Arbeitsalltag im ­studiomolter ist dank der Forschungstätigkeiten des Büroleiters geprägt von einem sich gegenseitig befruchtenden Wissens- und Inspirationstransfer zwischen Hochschultätigkeit und Praxis. Das gilt auch für das wichtige Thema der intelligenten Fassade der Zukunft.

 Herr Molter, wie leben Sie den wissenschaftlichen Designforschungsansatz und wie lässt sich dieser in die Praxis übersetzen?

Hier setze ich auf „research by design“ – das heißt, dass ich aus der entwerferischen Fragestellung heraus einen Forschungsansatz entwickle oder meine eigene Forschungstätigkeit wiederum in die Bürotätigkeit einfließen lasse. So wie bei dem Projekt „Wohnhochhaus in Regensburg“, bei dem es um eine Lebenszyklusanalyse der Fassade und die Möglichkeit der Stromerzeugung für die MieterInnen ging. In meiner Tätigkeit generieren sich die Lösungen immer sowohl aus der Forschung als auch aus dem Netzwerk heraus.

Wie und mit welchen (Hilfs- oder Arbeits-) Mitteln arbeiten Sie in der Forschung und in der Praxis?

Ob Pappmodell, 3D-Druck oder 1:1-Mockup – wir setzen die jeweiligen Mittel ganz individuell ein und verlassen uns dabei auf unseren Werkzeugkasten an digitalen und analogen Komponenten, wobei wir alles nutzen, was uns zur Verfügung steht. In der Lehre beobachte ich, dass die Studierenden als Digital Natives oft sehr fit sind am Computer, das Physische kommt dabei allerdings manchmal zu kurz. In meinen Augen ist ein Pappmodell meist sehr hilfreich und auch im Arbeitsprozess leicht zu adaptieren. Später übersetzen wir dieses ohnehin in die Dreidimensionalität der CAD-Programme. Ich würde sagen, dass sich letztlich alle Werkzeuge ergänzen und keinesfalls ausschließen.

 

Studio Molter - Wohnhochhaus in Regensburg
Wohnhochhaus in Regensburg: Bestandsobjekte des Wohnungsbaus aus den 60er- bis 80er-Jahren bilden eine der klassischen Bauaufgaben der kommenden Jahre. Um diese zukunftsfit zu machen, ist eine Erneuerung der Gebäudehülle und ein damit einhergehendes Einläuten der weiteren Lebensphasen unumgänglich. Das Wohnhochhaus in Regensburg dient als exemplarisches Beispiel einer detaillierten Betrachtung der Lebenszyklusanalyse sowie der Energiegewinnung durch gebäudeintegrierte Photovoltaik in der Fassade. © studiomolter

 

Inwiefern hat Sie Ihre Zeit im Renzo Piano Building Workshop beeinflusst bzw. tut es noch?

Die Zeit war tatsächlich sehr entscheidend und prägend für meine Tätigkeit und ganz klar eine Vertiefung der universitären Ausbildung. So ist das Büro wohl auch konzipiert. Renzo Pianos Architektur wird oft fälschlicherweise auf eine Art Hightech-Architektur reduziert, wobei ich seine Werke als eine zutiefst humanistische Architektur empfinde, die ungemein zeitlos ist. Diese Grundeinstellung und auch die Arbeitsweise trage ich noch immer in mir. Auch die Methodik, in der sich der architektonische Entwurf aus sehr vielen Disziplinen, die sich aus der Gesellschaft und den jeweiligen kulturellen sowie geografischen Kontexten speist, ist Grundlage einer jeden Aufgabenstellung im Atelier.

In Ihrer Forschung und Lehre konzentrieren Sie sich auf adaptive Gebäudehüllen und ihre thermische, visuelle und ökologische Leistung – was kann man darunter konkret verstehen?

Adaptive Architektur geht davon aus, dass sich Architektur an verändernde Situationen anpassen kann. Das heißt, eine adaptive Gebäudehülle kann auf Tag und Nacht, die Jahreszeiten, die Temperatur usw. reagieren – ganz analog zu einem biologischen Organismus. Wenn die Epidermis unsere erste Haut ist und die Kleidung unsere zweite, dann kann man die Gebäudehülle als dritte Haut verstehen. Allesamt können diese auf Umwelteinflüsse reagieren – meiner Meinung nach sollte eine Gebäudehülle in diesem Zusammenhang mehr können, als nur Fenster zum Öffnen und Schließen bereitzustellen. In Zukunft sollte unsere dritte Haut nicht nur extrem anpassungsfähig sein, sondern durch das Verknüpfen von Technik und Design auch gestalterisch überzeugen. Ich sehe eine Weiterentwicklung von der technischen Werkschau hin zu architektonischen Entwurfskomponenten. Die Forschung befindet sich momentan an einem Punkt, an dem Einzelentwicklungen in angepasste Anwendungen überführt werden, das heißt es gibt immer mehr Produkte am Markt und der Einzelfall wird langsam zur Systemlösung.

 

Climate Active Bricks:  Das in Kooperation mit der TU München und climateflux entstandene Rechercheprojekt befasst sich mit der Auswirkung von Fassaden im urbanen Kontext und deren Einfluss auf die Aufenthaltsqualität unserer verdichteten Innenstädte.
Climate Active Bricks:  Das in Kooperation mit der TU München und climateflux entstandene Rechercheprojekt befasst sich mit der Auswirkung von Fassaden im urbanen Kontext und deren Einfluss auf die Aufenthaltsqualität unserer verdichteten Innenstädte. Um der Überhitzung der Stadt sowie dem Entstehen von Wärmeinseln entgegenzuwirken, wurden in diesem Zuge anpassungsfähige Wände entwickelt, die sich weniger stark aufheizen, das Mikroklima verbessern und somit den BewohnerInnen mehr Aufenthaltsqualität versprechen. © Philipp Lionel Molter

 

Was macht für Sie eine intelligente Fassade aus?

Der Unterschied zwischen einer rein adaptiven (reaktiven) und einer autoreaktiven, sich selbst anpassenden, Fassade. Hier besteht ein großes Potenzial in der Vereinfachung aber auch Selbstregulation. Die Beschaffenheit der Geometrie oder Materialität wird immer noch allzu oft unterschätzt.

Wo sehen Sie Trends und Potenziale?

Im Moment lässt sich ein extremer Holzbau-Boom beobachten, in Zukunft aber muss die Architektur insgesamt eher zum Ort passen. Klimagerechte Architektur stützt sich auf Prinzipien der vernakulären – also historisch gewachsenen – und lokalen Architektur. Ich zitiere in diesem Zusammenhang gerne Cedric Price, der bereits 1966 provokant fragte: „Technology is the answer, but what was the question?“ Das drückt für mich aus, wohin der Weg gehen sollte. Bisher wurde allzu viel mit Technik beantwortet, jetzt sollten wir aus unserem Wissen schöpfen und uns fragen, was wir wirklich brauchen – Stichwort Suffizienz.

Eine Fassade, die Sie gerne realisieren würden?

Ich sehe ein enormes Potenzial in begrünten Fassaden, auch um unseren Energiedurst zu stillen. Generell würde mir mehr “Grün” in all unseren Lebensbereichen gefallen.

 

www.philippmolter.com

 

 

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen