Theorie praktisch denken
Das Innsbrucker Architektenduo Christian Hammerl und Elias Walch alias he und du machen Architektur mit ganz viel Gefühl, immer bezogen auf den jeweiligen Bauherren oder die Bauherrin sowie den Standort und die damit einhergehenden Anforderungen. Dabei versuchen sie den Geist ihrer Generation zu treffen, um auch für die Zukunft eine lebenswerte, gebaute Umwelt zu schaffen. Christian Hammerl spricht im Interview über den Einfluss seiner praktischen Ausbildung als Tischler auf sein Architekturverständnis, Holz als innovativen Baustoff und die Rückbesinnung der kommenden Generationen auf das eigene Heim und die Umgebung. Viel zu tun.
Wie geht man als junges Architekturbüro mit den Herausforderungen dieser Zeit um?
Unsere Herausforderung besteht tatsächlich in einer enormen Auftragsflut, die wir so erst einmal gar nicht erwartet hatten. Wir arbeiten generell meist mit jüngeren Bauherren und -frauen zusammen, die ihr Geld momentan offenbar gerne in Form eines Einfamilienhauses anlegen wollen. Als junges Büro haben wir natürlich nicht die Ressourcen oder die Anzahl an MitarbeiterInnen wie manch etablierter Kollege. Da wir unsere Entwürfe niemals einfach aus der Schublade ziehen, sondern immer individuell an den Kunden und das Grundstück angepasst planen, herrscht da schon ein gewisser Zeitdruck – wir wollen schließlich auch unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden. In der Planung setzen wir dabei oft auch auf den Umbau von Bestandsgebäuden – das ist einfach nachhaltiger und wir können mit Baustoffen arbeiten, die vor Ort verfügbar sind. Im Bezug auf unsere MitarbeiterInnen versuchen wir dennoch nicht exponentiell zu wachsen, wir planen da lieber auf lange Sicht und hoffen, dass wir als Team dann auch länger Bestand haben und alle Beteiligten frei von wirtschaftlichen Zwängen arbeiten können – soweit das überhaupt möglich ist.
Das mit dem Sanierungspreis ausgezeichnete Projekt GUT DRAUF setzt auf den Baustoff Holz für die Konstruktion, Dämmung und Oberfläche. Ein baufälliger Dachboden konnte ausgebaut und in Wohnraum verwandelt werden. © David Schreyer
Würden Sie sagen, dass Ihre Ausbildung Sie für die anstehenden Aufgaben gerüstet hat?
Elias und ich besuchten beide die HTL für Innenraumgestaltung und Möbeldesign, Elias Vater betreibt eine eigene Tischlerei. Dort wurden uns auch geschichtliche und ästhetische Aspekte der Möbelfertigung nahegebracht. Wir haben also beide schon immer gerne mit angepackt und sowohl in Büros wie Tischlereien gearbeitet. Diese praktische Erfahrung bringt uns jetzt den Vorteil, dass wir statische und konstruktive Zusammenhänge intuitiv verstehen. In Verbindung mit der Ausbildung an der Uni ist das perfekt. Ich denke, dass man als rein universitär ausgebildete/r ArchitektIn heutzutage erst einmal etwas “baufremd” in den Beruf startet. Das Erleben von Architektur mit allen Sinnen bleibt meiner Meinung nach allzu oft auf der Strecke und was von den ProfessorInnen vermittelt wird, ist meist sehr abstrakt – dafür aber wiederum auch sehr kreativ. Dazu kommt die Verlagerung in die digitale Arbeitswelt, die sicherlich auch ihre Daseinsberechtigung hat. Beim Modellbau ergeben sich aber doch meist wichtige Erkenntnisse, die so verloren gehen. Am Ende sind auch wir sozusagen ins kalte Wasser gesprungen und bilden uns seitdem kontinuierlich weiter. Diese Art zu arbeiten gefällt uns sehr gut.
LATTENBURG: Für die Sanierung des Gebäudes aus den 60er Jahren kam für den Großteil der Möbel und Böden Massivholz zum Einsatz – in speziell konischer Ausführung. © Christian Flatscher
Welche Rolle spielt die immer weiter voranschreitende Digitalisierung bei Ihrer Arbeit? Fluch oder Segen?
Für mich ein zweischneidiges Schwert. Wir planen selbstverständlich alles in 3D, nutzen BIM und versuchen die Programme in ihrer Funktion so weit wie möglich auszureizen. Auf der anderen Seite arbeiten wir von Hand analog am Modell: für uns unerlässlich, wenn es um Atmosphäre und Proportionen geht. Ich muss aber auch gestehen, dass wir für Arbeitsmodelle mittlerweile zu wenig Zeit haben – wenn es aber ins Dreidimensionale geht, setzen wir auf Karton und Holz anstelle von VR oder 3D-Druck. Das hat einfach nicht das Feeling. Zur Kommunikation mit unseren Bauleuten nutzten wir in Coronazeiten sehr gerne ZOOM oder WhatsApp. Wobei gerade Letzteres zum schnellen Austausch von Fotos und Plänen so gut funktioniert, dass wir dieses Kommunikationsmittel wohl beibehalten werden.
Im Zuge der Fassadensanierung des Gemeindehauses in Steinberg am Rofan bekam dieses eine warmen “Holzpullover” übergezogen. Außerdem wurde das Gebäude im Sinne der Barrierefreiheit adaptiert. © David Schreyer
Wo sehen Sie Ihre Rolle als “Gestalter der Zukunft”?
Wir sind auf jeden Fall keine Denkmalbauer, wir bauen für die NutzerInnen. Uns ist es ein Anliegen, das Bewusstsein für (gelungene) Architektur in der Gesellschaft zu stärken. Es existiert mittlerweile ja so etwas wie eine “künstlerische Umweltverschmutzung”. Nachhaltiges Bauen ist auch ein großes Thema unserer Zeit und Generation. Wir würden einen Bestandsbau niemals abreißen, wenn dieser noch zu retten wäre. Da versuchen wir auch auf unsere Bauherren und -frauen dementsprechend einzuwirken. Auch das Ortskernsterben ist eine Problematik, die damit zusammenhängt. Zum Glück wissen unsere KundInnen, dass wir für diese Art von “Slow Architecture” stehen. Die machen dann ohnehin im Ausbau viel selber, um die Kosten niedrig zu halten. Um Projekte auf diese Weise umsetzen zu können, braucht es verlässliche Partner am Bau. Uns ist es ganz wichtig, dass wir sowohl mit den ausführenden Firmen als auch mit unseren Auftraggebern auf Augenhöhe kommunizieren.
Ein positiver Aspekt, den Sie aus dem vergangenen Jahr mitgenommen haben?
Zum Einen können wir uns über unsere Auftragslage wirklich nicht beklagen. Zum Anderen finde ich die Erkenntnis erbaulich, dass viele (junge) Leute ihre Wohnung jetzt bewusster wahrnehmen und diese dementsprechend aktiv aufwerten wollen. Auch die Umgebung unserer Wohnungen gewinnt an Bedeutung – ich meine damit die Natur, das Grün, den Garten. Viele zieht es aus den Städten hinaus auf das Land. Das Wohlfühlen zu Hause ist zu einem großen Thema geworden. Und ganz abgesehen davon haben wir gelernt: Immer positiv bleiben!
Bei diesem „Schulprojekt“ der NMS Fließ waren die SchülerInnen von Anfang bis Ende in den Bauprozess involviert. Durch das Mitanpacken konnten die Jugendlichen erleben, wie man Holz zu einer Wand/Decke „schichten“ kann. © David Schreyer
Greifen Sie im Planungsprozess speziell auf moderne Produkte, Baustoffe und Technologien zurück?
Als Tischler ist Holz für uns, als einer der ältesten und ökologisch nachhaltigsten Baustoffe, das Nonplusultra. Neben dem modularen Bauen und der verkürzten Bauzeit durch die Vorfertigung, lässt sich Holz sehr vielseitig einsetzen und in verschiedenste Formen bringen. Wir suchen daher immer nach Herstellern und Handwerkern, die hier am Puls der Zeit sind. Viele arbeiten doch noch sehr traditionell. Das sehe ich keinesfalls negativ, aber nur, weil etwas schon immer so war und sich bewährt hat, heißt das nicht, dass es nicht auch andere Wege geben kann. Da sehe ich noch Potenzial. Im Moment sind wir aber mit den Prozessen sehr zufrieden, da wir beobachten können, dass die räumliche Qualität mehr zählt als spektakuläre Landmarks.
SUPERSTUDIO: Bei dem Kellerausbau wurde die bestehende Holztäfelung als Verschalung für die Schlafkoje wiederverwendet, dank der großzügigen Glasfassade wird der Garten nun auch im Inneren erlebbar. © He und Du
Wo seht ihr die Rolle der Hersteller für die Zukunft? Wo gibt es noch Potenzial?
Die Zusammenarbeit mit vielen Herstellern vergleiche ich bildlich gerne mit einer Autobahn. Solange man in der Spur bleibt, funktioniert das wunderbar. Will man jedoch spontan abzweigen, ist da oft keine Ausfahrt möglich. Gerade in Tirol mit dem immensen Markt im Tourismussektor, haben viele Hersteller beispielsweise für sich erkannt, die 3S-Platte mit Anleimer lässt sich problemlos und in Masse verkaufen. Wenn wir nun mit dem Wunsch nach einer individuellen Sonderlösung kommen, besteht da einfach kein (wirtschaftliches) Interesse. Viele ausführende Firmen haben zudem Angst vor Bauschäden und möglichen Klagen seitens der Bauleute, wenn sie doch einmal Mut zum Experiment beweisen. Wir setzen daher auf kompetente Partner mit Erfahrung, echte Problemlöser, die nicht nur auf die Norm schauen, sondern auch mit Menschenverstand und kreativem Elan an Dinge herangehen.
Inwieweit sollten Ihrer Meinung nach Forschung, Industrie und Kreative bezogen auf die Produktentwicklung zusammenarbeiten?
Unserer Erfahrung nach gibt es zwischen Universitäten und Industrie in Tirol schon Schnittmengen, allerdings basieren die häufig auf persönlichen Kontakten. Eine echte Kultur besteht dahingehend leider noch nicht. Immerhin lassen sich einige erfolgreiche Kooperationen beobachten, die auf einzelne individuelle Initiatoren zurückgehen. Da besteht in Innsbruck aber noch ordentlich Luft nach oben.
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen