Was ist intelligent an einer Fassade?

4. Mai 2015 Mehr

 

Wenn man von intelligenten Fassaden spricht, sollte man nicht gleich an Hightech und technische Innovationen denken. Auch ganz einfache, mechanische, oder mit handgesteuerten Mechanismen ausgerüstete Fassaden oder Teile derselben können intelligent sein.

 

 

Schon die alten Griechen bauten ihre Häuser so, dass im Sommer die Sonne abgehalten wurde und im Winter viel Sonne ins Haus eindringen und es erwärmen konnte. Auch das war intelligent. Man nutzte große Steinplatten als Boden- und Wandbeläge, die sich in der Sonne erwärmen und die Energie lange speichern und während der Nacht abgeben konnten. Nicht alles, was heute als große Erfindung angepriesen ist, ist es auch wirklich – vieles greift auf jahrhundertealtes Wissen zurück, nennt sich nur anders und kostet dementsprechend viel. Man kann also durchaus auch mit einfachsten Mitteln ‚intelligente Fassaden‘ erfinden und bauen.

In der nördlichen Pilbara Region in Westaustralien liegt das Wanangkura Stadion, entworfen von ARM Architecture. Charakterisiert wird es durch eine Pixelfassade aus quadratischen Paneelen. Der Grund dafür war, bereits aus großer Entfernung in der eher flachen, roten Landschaft, ein Symbol, ein Zeichen zu repräsentieren. Das Design entspricht den Linien der Druckverteilung in einem Zyklon und ist aus einer gewissen Distanz erkennbar. Das Dach der Sportanlage dient als fünfte Fassade – es ist mit schwarz/weißen Streifen, dem Symbol des lokalen Fußballklubs versehen und kann aus der Luft, bei der Anreise mit dem Flugzeug, identifiziert werden.

Bänder aus rotem Aluminium, zu einer Textur ineinander verwoben, verkleiden (wie ein textiler Stoff) die Fassade des von den Aisaka Architects in Tokyo entworfenen Bürohauses. Es liegt an einer der Hauptzufahrtsstraßen zum Yoyogi National Stadion und die Architekten benutzten für die Gestaltung die sogenannte „knitting method“ (Strickmethode). Funktional dienen sie als Sonnenschutz für die dahinterliegenden Büros. Die verwebten Aluminiumbänder changieren in fünf verschiedenen Rottönen – das ist auch eine Erinnerung an das alte Ziegelgebäude, das einst dort stand. Stahlklammern halten die Metallbänder, die nur 2 mm stark sind, fest, diese Verankerungen sind wiederum auf Gasbetonpaneelen befestigt. Bei Beschädigungen einzelner Elemente lassen sie sich problemlos austauschen. Durch die geringe Dicke belastet ihr Gewicht die Tragstruktur nicht. Gleichzeitig geben sie dadurch bei temperaturbedingten Ausdehnungen und Schwankungen nach.

 

 

Das dreigeschossige Reihenhaus in der portugiesischen Stadt Porto wurde mit der Absicht entworfen, den Bewohnern einen hohen Grad an Flexibilität zu bieten. Interessanterweise sind die Architekten Cláudia Monteiro and Vitor Oliveira auch die Bewohner der Architektur. Die Hausstruktur bezieht sich in ihren äußeren Proportionen auf die der Nachbarschaft. Im Inneren entspricht sie ebenfalls dem typischen Grundrissschema der Gegend. Der Eingang besteht aus einer großen, befahrbaren Einfahrt. Das Prinzip des faltbaren Hausabschlusses aus Gitterstrukturen wird im Inneren durch bewegliche, raumhohe Klapp-läden als Sonnenschutz fortgeführt.

Der Schutzschild der Fassade des Hauses in London, entworfen von den Guard Tillman Pollock Architects, ist eine Weiterentwicklung der in der Außenwerbung gebrauchten PVC-Folien. Diese Folien ermöglichen es, Bilder von außen sichtbar zu präsentieren, während man von innen einen ungehinderten Durchblick hat, ohne die Werbung wahrnehmen zu müssen. Der 5,4 Meter breite und 4,6 Meter hohe Schild ist eine der größten Ausführungen dieser Art. Das auf Aluminiumrahmen mit der Größe von 1 x 1 Meter gespannte Gewebe ist eingefärbt, um sich der Farbe der Architektur anzupassen. Entworfen wurde der Schild, um Privatheit, Sonnen- und Sichtschutz für die dahinterliegenden, doppelt verglasten Fenster zu bieten. In der Nacht dringt Licht vom Haus durch das Gewebe und beleuchtet den kleinen, davorliegenden Hof. Hinter dem Schirm sind Pflanzgefäße arrangiert, um für die Bewohner den Blick in die Natur zu simulieren.

 

 

In unmittelbarer Nähe der berühmten Steinpyramide von Architekt Plecnik findet sich in Ljubljana, Slowenien, die Villa „Criss-Cross“ der OFIS Arhitekti. Ein Kubus, aus dem Teile ausgeschnitten sind, um Terrassen, Balkone und im Erdgeschoss den Eingang zu bilden. Die Oberfläche ist mit rechteckigen Lochblechen verkleidet und durch deren Transparenz sieht man hinter jedem Paneel ein Kreuz als Montagestruktur durchscheinen. Diese Transparenz ist nun nicht nur aus Gründen des Sicht-, Licht- und Sonnenschutzes entstanden, der Entwurf soll – sehr sophisticated – eine abstrakte Interpretation der klassischen, historischen Fassaden der Villen in der Stadt sein. Die durchscheinenden Kreuze sind ähnlich der Ornamentik historischer Bauten zu verstehen.

 

 

An ein älteres Projekt seines Büros, ein Weingut, hat der Architekt Michaly Slocombe in Australien einen Pavillon angebaut. Mit dem früheren Haus ist er durch einen Glasgang verbunden. Vom Raumprogramm her enthält er Gästezimmer und ein Bad sowie Raum für die zukünftigen Enkel der Familie. Es ist eine Interpretation seiner eigenen Kindheitswünsche für ein Kinderspielhaus oder Baumhaus – deshalb auch der Name „Kids Pod“. Vom Theater inspirierte, rote Vorhänge teilen die Räume und ermöglichen verschiedene Konfigurationen und Nutzungen. An der Außenseite laufen Holzbretter ohne Unterbrechung über Wände und Fenster. Mit CNC gefräst finden sich darin abstrakte Muster der Pinot Noir Weine des Weingutes. Vor den Fenstern befinden sich Fensterläden, die sich wie Augenlider öffnen und schließen und in der Nacht das Gebäude wie eine Laterne leuchten lassen.

In Vietnam, in der Küstenstadt Da Nang, hat das Architekturbüro Tropical Space ein altes, zweigeschossiges Haus für eine Familie erneuert. Bei diesem Projekt holten sie sich die Anregungen für die äußere Erscheinung von den Heiligtümern des Champa Königreiches aus der Zeit zwischen dem 4. und 15. Jahrhundert. Der Lebensraum im Inneren des Hauses ist von den Bauten der Termiten inspiriert. In den Innenräumen können sich die Bewohner mittels der regellos aber wissenschaftlich angeordneten Löcher in den Wänden immer sehen und miteinander kommunizieren – ganz wie in einem Termitennest. Durchbrochene Ziegelstrukturen umschließen heute den Stahlbetonkern des alten Hauses. Die Durchlässigkeit der Ziegelmauern ermöglichen es, einen Luftzug bis in jeden Winkel der Architektur zu bringen. So steht das Haus im Einklang mit den ständigen Klimaschwankungen der Region, sie reichen von extremer Hitze bis zu den stärksten Tropenstürmen und Regenzeiten. Hinter den äußeren Ziegelwänden gesetzte Glaswände geben direkten Schutz vor Regen und Wind. Sie schaffen eine doppelte Haut und auch schmale Höfe vor und hinter dem Bau – diese helfen mit, die Durchlüftung zu kontrollieren.

 

 

Knapp außerhalb der polnischen Hauptstadt Warschau hat Architekt Marcin Tomaszewski vom Büro REFORM ein Haus entworfen, das zwischen den Bäumen zu schweben scheint. Mitten im Wald befindet sich das „Izabelin House“, ein Feriendomizil für eine Familie – und es nimmt den kleinstmöglichen Fußabdruck für sich in Anspruch, zumindest optisch. Es besteht aus zwei horizontalen Baukörpern, deren unterer mit einer reflektierenden Folie verkleidet ist. Konsequenterweise erscheinen diese Flächen als Fortsetzung des sie umgebenden Waldes. In dem oberen Baukörper gibt es auch große Öffnungen, die wieder durch Spiegelfolien wie Durchblicke wirken. Eine surreale Erscheinung, mitten im Wald.

Sie ist durchsichtig aber doch nicht „durch“-sichtig. Für eine Luxusboutique für Handtaschen in Tokyo entwarf das Büro der NAP Architects eine Fassade, die sowohl Transparenz wie auch ein gewisses Maß an Privatheit für die Kunden im Inneren gewährleistet. Die Architekten konstruierten dazu ein Raster aus scharfkantigem, rostfreiem Stahl. Das Muster entspricht auch dem Innenfutter der Handtaschen. Dann legten sie eine 12 mm Glasplatte darauf, erhitzten das Ganze in einem Ofen auf 675 Grad – das ist die Temperatur, bei der Glas zu schmelzen beginnt. Durch das Eigengewicht sackte das Glas gewissermaßen 10 – 13 mm in die Vertiefungen des Rasters und das Fischgrätmuster war geschaffen. Das Resultat ist ein leicht gewelltes Glas, das den Innenraum (von außen gesehen), wie in einer fröhlichen Stimmung zeigt. Die Taschen leuchten und schimmern hinter der Fassade wie kostbare Juwelen.

Ein ähnliches Prinzip verfolgten dieselben Architekten bei einem früheren Projekt ihres Büros, diesmal in Barcelona. Hier erscheint die Fassade des „OMM Hotel“ wie eine Epidermis, eine Haut, die sich entlang vertikaler Risse oder Linien vom Volumen abschält. Die Aufbiegungen orientieren sich auch hier nach dem Lichteinfall, genauer gesagt, nach der Mittagssonne. Zusätzlich bilden sie einen Lärmschutzschirm und verhindern auch direkte Einblicke in die Zimmer.

 

 

Das „Book Hotel“ der Capella García Arquitectura and SchmidArchitekten in München ist, wie schon sein Name suggeriert, von den Seiten eines Buches inspiriert. Die Fassade besteht aus weißen, wie Buchseiten gebogenen Blättern, die für die Hotelzimmer den Sonnenschutz bieten. Irgendwie denkt man bei diesem Anblick an das berühmte Fingerkino der Kindheit. Eine klassische aber organische Komposition, die sich dem Rhythmus der Straße anpasst und doch auch durch den chromatischen Purismus und den kinetischen Effekt der aufgebogenen Fensterstürze über den Öffnungen heraus sticht. Wie auch in einem Buch ist die Farbgebung schwarz/weiß mit einigen Grauschattierungen.

 

Text: Peter Reischer
Fotos: Peter Bennetts / Shigeo Ogawa / Jose Campos / Morgan O´Donovan / Tomaz Gregoric / Emma Cross / Oki Hiroyuki / Marcin Tomaszewski / Koji Fujii/Nacasa and Partners Inc. / Florian Holzherr / Rafael Vargas

 

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Kategorie: Kolumnen, Sonderthema