Wir müssen im Grunde alle Architekten werden

15. Januar 2019 Mehr

Ein Interview mit Stephan Ferenczy von BEHF Architekten über die Notwendigkeit des Architekten für die Gestaltung unserer Welt:

 

Was ist Architektur / Was ist nicht Architektur? Und was ist eigentlich gute Architektur?

Architektur ist gebaute und gestaltete Umwelt in verschiedenen Dimensionen, Bereichen und Sphären. Architektur kann mit oder ohne Architekten, mit oder ohne Plan entstehen. Architektur kann ver- und behindert werden. Architektursubstanz unterliegt dem Wandel und der Vergänglichkeit. Gute Architektur ist sich ihrer Aufgabe, Verantwortung und Haltung bewusst.  

Was muss / Was kann Architektur heute leisten?

Architektur muss – wie alle anderen Fachbereiche des Denkens und Handels einer Gesellschaft auch – Antworten auf die Herausforderungen ihrer Zeit finden.
Diese Fragen sind im Wesentlichen

• die Gerechtigkeit der Verteilung
• die Freiheit der Menschen an Positionen, Bedürfnissen und Bewegungen
• die Gesundheit der Zivilisation
• der Umgang mit Ressourcen
• das Bildungs- und Diskursniveau
• die Belastbarkeit der Städte

 

Stephan-Ferenczy

Architekt Stephan Ferenczy, Mitbegründer von BEHF Architekten, ist verantwortlich für zahlreiche Places to be, im Wohn- wie auch im Gewerbebau. Foto:©Markus Kaiser

 

Vor einiger Zeit habe ich einen jungen Architekten gefragt, ob er es nicht schade findet, dass so viel schöne Landschaft verbaut ist. Er meinte: Gerade durch gute Bauten, werde Landschaft doch erst schön. Wie sehen Sie das?

Es stimmt, dass Landschaft durch Architektur schöner werden kann. Der menschliche Eingriff kann eine erstrebenswerte Option zu grundsätzlichen Verbesserungen darstellen. Dennoch müssen wir mit unseren Ressourcen behutsam umgehen und einen Bedarf an Unberührtheit und Natur befriedigen.

Ist in Österreich noch mehr als genug Raum für Neubauten oder sollte die Zukunft des Planens Ihrer Einschätzung nach mehr in Umbau und Renovierung liegen?

In Österreich besteht noch viel Raum für Neubauten, jedoch in welcher Qualität und in welcher Funktion?
Eine sensible Schutzhütte aus Holz in den Bergen macht oft mehr Sinn als mancher private Nachbau von Versailles in einem Villengürtel.
Auch Umbauten und Renovierungen sind anspruchsvolle, wichtige Aufgaben einer lebendigen Welt. Grundsätzlich geht es um die Verdichtung und Unterschutzstellung der Ballungszentren. Eine Stadt muss sich in einem gewissen Maß verwandeln und erneuern dürfen.

Wo sehen Sie dabei die Aufgabe des Architekten?

Die Hauptaufgabe des Architekten ist es, Verständnis für die Anliegen der sehr verschiedenen, sich oft widersprechenden Positionen zu entwickeln und sich auf diese konstruktiv und kreativ einzulassen. Neben den Tatsachen der Physik und des Baurechts bestehen Ansprüche der Wirtschaftlichkeit und einer – von wem auch immer bestimmten – Marktnachfrage. Schlussendlich muss der Architekt Antworten entwickeln und Gedanken finden, die alle diese Aspekte befriedigen und zudem den eigenen Werten, dem Anspruch an das Schaffen, entsprechen. Dabei ist es oft die größte Begabung eines Architekten, aufzutreten und zu überzeugen, ein inneres Rückgrat zu besitzen, auf das Gegenüber einzugehen und Vertrauen und Gefolge aufzubauen. 

Wer braucht Architekten heute noch? Häuslbauer, Immobilienentwickler oder Baumeister kommen doch auch so ganz gut zurecht, oder?

Nur ein Schelm denkt, dass er keinen Architekten braucht. Gute Architekten und gute Architektur stellen schlicht und ergreifend einen Mehrwert dar.
Architekten sind eine wichtige – nicht die wichtigste – Position eines Teams, das zusammenarbeitet. Wird eine Rolle in einem Projektteam nicht professionell besetzt oder seiner Funktionen beraubt und entmachtet, fällt sie aus, so scheitert das Projekt. Hier gelten dieselben Gesetzmäßigkeiten wie beim Segeln und beim Fußball.

Ist „Architekt“ noch ein Beruf mit Zukunft? Die Ausbildung zum Architekten ist meist lang und aufwendig. Der Stundenlohn im Großraumbüro ist dagegen mäßig.

Die Fragen „Wie lange studiere ich?“ und „Was verdiene ich?“ sind seltener geworden. Die Jugend besinnt sich weniger auf Gewinnorientierung und zeitliche Allokationseffizienz, sie erkennt die Bedeutung von Aufgabenstellung und Sinnhaftigkeit von Produktion, Teamarbeit und Arbeitsatmosphäre. Hier hat die Architektur einen Stellenwert, die gutes Erschaffen und Existenz erfüllen kann.
Die Vermengung und Interdisziplinarität von Architektur mit  anderen gesellschaftlich relevanten Themenfeldern wie Kunst, Bildung, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit etc. geben der Architektur eine gewisse „Mutter-Rolle“, aus der sich zahlreiche andere Disziplinen und Herausforderungen ableiten lassen, hier entsteht also viel Raum für tatkräftige engagierte kreative Menschen.

Wo legen sich dem Beruf die meisten Hindernisse in den Weg?

Die Idee, einen Architekten in Standesrecht zu prüfen, bevor er vom Landeshauptmann auf Zuverlässigkeit eingeschworen und vereidigt wird, erlaubt die Frage nach Gegenwartsbezug. Die österreichische Ziviltechnikergesetzgebung und -kammer hat hierbei etwas charmant verstaubtes. Sie ist kein Hindernis, aber auch kein großes Sprungbrett. Hindernisse im Beruf sind: Der alltägliche Kampf um die Verteilung und sinnlose Wettbewerbe, die hochqualifizierte Leistungen versenken.

Fachhochschule, Kunstuni, TU – spielt es eine Rolle, welchen Weg man wählt? Wie gut ist die Ausbildung eigentlich?

Eine gute Ausbildung zeichnet sich durch Vielschichtigkeit und Differenziertheit aus.
Wer heute sein Studium in Rekordzeit absolviert und sonst nicht viel von der Welt gesehen und verstanden hat, wird sich schwer tun, ein relevanter Ansprechpartner für die Fragen unserer Zeit zu sein.

Und brauchen wir noch mehr Architekten, eventuell auch in anderen Bereichen, als Fachplaner, als Entwickler, in der Politik?

Wir müssen im Grunde alle Architekten werden. Die Kompetenz Architektur ist im Verhältnis zu ihrer Langfristigkeit und Bedeutung für die Gestalt unserer Umwelt viel zu wesentlich und wichtig, als dass man sie vernachlässigt.
Leider ist Architektur (und Architekturgeschichte) kein selbstverständliches Schulfach, so wie Zeichnen, Mathematik und Musik, sondern unterliegt oft bloß geschmäcklerischen Erkenntnissen aus dem eigenen, meist privaten Horizont.

Was müssen andere leisten, damit Architektur (besser) funktioniert?
Wie würde Ihr Wunschzettel an die Politik, die Baubranche, Fachplaner, Bauherren etc. aussehen?

Die Wertschöpfungskette Städtebau-Architektur-Wohnraumbewirtschaftung sollte saniert werden. Die Wertschöpfung aus Architekturbeiträgen würde eine wesentliche – vor allen Dingen langfristige – Steigerung erfahren, wenn die Honorare für Leistungen der Architekten als Öffentlichkeitsinteressen als relevant erkannt und z.B. steuerrechtlich begünstigt absetzbar wären.
Die Bewertung der Architektur als mehr oder weniger geduldeter Störfaktor in einer auf mittel- bis kurzfristige Gewinnauswertung orientierten Bau-, Baustoff- und Immobilienindustrie müsste durch kooperative Zusammenarbeit aller Betroffener Korrekturen erfahren.
Und das Wettbewerbswesen sollte durch Honorarfestlegungen (vgl. Deutschland) wieder „kultiviert“ werden.

 

Kolumne PEOPLE Teil 14

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Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen