Zurückfinden zu einer ganzheitlichen Planung

4. November 2022 Mehr

Interview: Juri Troy beschäftigt sich als Architekt seit Jahren mit den Themen klimagerechtes und ressourceneffizientes Bauen und gibt dieses Wissen als Lehrender auch an Studierende weiter. Mit seinem Büro juri troy architects – mit Sitz in Wien – widmet sich der gelernte Steinmetz der Entwicklung von nachhaltigen Gebäudekonzepten und der Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen wie heimischem Holz. Im Interview spricht der gebürtige Vorarlberger über das Potenzial ganzheitlicher Planungsansätze und deren individuelle Aspekte und Herausforderungen. Für mehr Nachhaltigkeit in der Architektur und der Bauwirtschaft bedarf es seines Erachtens auch eines Umdenkens auf politischer und gesellschaftlicher Ebene.

 


© Wolfgang Schmidhuber-Tindle

 

Auf Ihrer Website ist die Rede von „nachhaltigen Gebäudekonzepten“ – was verstehen Sie darunter genau?

Um den ökologischen Fußabdruck eines Gebäudes zu reduzieren, wirken viele Aspekte zusammen: Es geht sowohl um Herkunft und Menge der eingesetzten Ressourcen als auch um eine optimierte Planung. Neben flexibler Nutzungskonzepte spielen auch Faktoren wie Standort, Orientierung und Energiequellen eine Rolle. Für ein nachhaltiges Gebäudekonzept gilt es eine Reihe von Entscheidungen zu treffen. Während man es vor etwa 100 Jahren noch als selbstverständlich erachtete, alle Aspekte des Planens und Bauens mitzuberücksichtigen, geriet dieser Ansatz leider sukzessive in Vergessenheit und führte zu einer immer einseitigeren Denkweise. Nachhaltigkeit lässt sich aber nicht an einer einzigen Komponente wie beispielsweise dem Heizwärmebedarf messen. Deshalb geht es mir in erster Linie darum, wieder eine ganzheitliche Betrachtung von Projekten zurückzuerlangen.

Wenn es um nachhaltige Gebäudeplanung geht – wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen?

Bei all diesen Entscheidungen einen Fokus zu finden, ist bestimmt die größte Herausforderung – und diesen dann auch zu kommunizieren. Bei einzelnen Komponenten wie etwa der Betriebsenergie stellt sich das noch relativ einfach dar, sobald es aber um die Klassifizierung eines ganzen Gebäudes geht, wird es oftmals komplex und schwieriger einzuordnen. Für eine ganzheitlichere Einschätzung – auch von Investorenseite – fehlen hier schlichtweg die Instrumente und damit auch das Bewusstsein. Dass beim Thema Nachhaltigkeit viele verschiedene Kriterien wichtig sind, wäre auch der Politik klarzumachen.

 


Beim Haus am Berg minimieren Holzmassivbauweise und regionales Holz den CO2-Konsum. Das gesamtheitliche Energiekonzept des „Aktivhauses“ beruht auf Fernwärme aus dem örtlichen Biomasseheizwerk sowie Photovoltaikmodulen auf dem Dach. © Studio 22

 

Wie entwirft man einen nachhaltigen Bau für zukünftige Generationen, der nicht in ein paar Jahrzehnten ausgedient hat?

Früher arbeitete man viel mehr nach der Trial-and-Error-Methode. Bauweisen, die im Zuge natürlicher evolutionärer Prozesse entstanden sind, modifizierte man langsam. Was nicht funktionierte, entwickelte man weiter. In den letzten 70 Jahren arbeitete man eher umgekehrt und jedes Projekt wurde zu einem eigenen Prototyp. Bis man Schwachstellen identifizierte, hatte man schon zig weitere Bauten mit noch mehr Defiziten errichtet. Das merkt man häufig bei Umbauprojekten mit einem gründerzeitlichen Bestand, der in den 60er- bzw. 70er-Jahren erweitert wurde: Während der Gründerzeitbau seine Qualitäten bewahrte, müssen die Ergänzungen aufgrund fehlerhafter Planung oft abgerissen werden. In meinen Augen geht es darum, zu dieser ganzheitlichen Denkweise zurückzufinden –  und damit meine ich nicht, genau wie vor 100 Jahren zu bauen, sondern eben auch clevere Innovationen wieder sinnvoll einzusetzen.

Kann man sich nachhaltiges Bauen – insbesondere in Zeiten der Teuerung – überhaupt noch leisten?

Ich denke die Frage muss anders­herum gestellt werden: Können wir es uns in Zukunft noch leisten, nicht so zu bauen? Momentan wird die Verantwortung auf jeden einzelnen Bauherrn abgewälzt. Aufgrund von wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ist das umweltschädlichste Bauen auch das günstigste. Anstatt Anreize für nachhaltige Rohstoffe zu schaffen, achtet man auf den Profit, subventioniert Erdölprodukte und Beton weiter und hinterlässt dabei einen kaputten Planeten. Das stellt einen vor die Entscheidung, entweder günstig oder nachhaltig zu bauen. Um das zu ändern, müssen ökologisch nicht verträgliche Bauweisen teurer und deren Folgekosten miteinkalkuliert werden. Kurioserweise scheint das Verursacherprinzip in der Bauindustrie nicht zu gelten – hier wird der für den Schaden Verantwortliche, nicht mit den Folgen konfrontiert.

 


Der Passivhauskindergarten Deutsch-Wagram setzt auf nachwachsende Baustoffe wie heimisches Fichtenholz. Während die Photovoltaikpaneele den Energiebedarf nahezu decken, regulieren eine Wärmepumpe mit Tiefenbohrungen und eine Lüftungsanlage mit Wärmetauscher das Raumklima. © Juri Troy

 

Was macht einen Baustoff für Sie nachhaltig? Was muss er leisten können?

Eigentlich ziemlich viel – glücklicherweise wachsen genau diese Baustoffe aber bei uns. Diese Relation ist auch global betrachtet interessant: Die natürlich vorkommenden Materialien eignen sich im jeweiligen Klima meist am besten zum Bauen, sei es Tropenholz, Fichte oder Stein. Es gibt keinen Baustoff, der per se überall auf der Welt der nachhaltigste ist. Bei uns in Österreich stellt Holz sicherlich einen der cleversten Bau­stoffe für die Zukunft dar. Es gibt auch eine ganze Palette an nachwachsenden Dämmstoffen, denen noch zu wenig Beachtung geschenkt wird. Zu einer ganzheitlichen Betrachtung gehört natürlich ebenso ein gezielter Einsatz von anderen Materialien wie Glas und Blech, um die Naturwerkstoffe zu schützen und ihre Haltbarkeit zu verlängern. Auch hier gilt es, anstelle von neuen Erfindungen wieder mehr unserer seit Jahrhunderten entwickelten – und auch beherrschten – Logik des Konstruierens und Bauens zu folgen.

Sind Nachhaltigkeit und Funktionalität beim Thema Material bzw. Bau­stoff immer vereinbar?

Ich denke, das ist in der Regel gut vereinbar. Das Material gibt immer eine eigene Logik vor und hat Auswirkungen auf die Konstruktion. Ich sehe das aber nicht als Einschränkung, sondern als Grundlage für die jeweilige Architektursprache, die uns auch unsere Baukultur mitgibt. Im letzten Jahrhundert führten neuartige Materialien plötzlich zu einer völlig neuen Architektursprache – und mit ihr kam es zu jeder Menge Übersetzungsproblemen. Bei der Betrachtung vieler Gebäude hat man das Gefühl, dass manche dieser Sprache bis heute nicht mächtig sind.

Gibt es (technologisch) für Sie besonders interessante Trends, sei es hinsichtlich Materialien, Gebäudetechnik o.ä.?

Im Materialsektor gibt es viele Entwicklungen, aber generell erscheint mir die Bauwirtschaft sehr träge. Für die heute eingesetzten Produkte gibt es genaue Verarbeitungsrichtlinien und Verfügbarkeiten – das bestimmt den Markt, bei neuen oder alternativen Materialien gerät man hingegen schnell an seine Grenzen. Ein gutes Beispiel ist Lehm: Will man bei uns mit Lehm bauen, erweist sich das vermeintlich simple, intelligente Material aufgrund des Arbeitsaufwands schnell als Luxusbaustoff.

Gebäudetechnisch habe ich den Eindruck, der Trend geht wieder mehr in Richtung Low-Tech. Viele Dinge haben sich über die Jahre in ihrer Wirkungsweise relativiert – Stichwort Komfortlüftung. Gebäudetechnikanlagen beinhalten selbst graue Energie und die Einsparungen wiegen das unterm Strich nicht immer auf. Auch das Passivhaus ist, denke ich, nicht das Maß aller Dinge, welches überall die sinnvollste Lösung darstellt. Stattdessen sollte man Energiestandards projektspezifisch betrachten – was uns wiederum zur Ganzheitlichkeit zurückführt.

 


Im Inneren des Haus 3B in Bottenwil sorgen Holzoberflächen für eine angenehme Raumatmosphäre. Dachfenster leiten das Tageslicht gezielt in die Zimmer in der oberen Etage. © Jürg Zimmermann

 

Was wäre Ihr Wunsch für die Architekturszene in Österreich? In welche Richtung sollte es gehen?

Weniger Neubauten, mehr Bauen im Bestand. Man sollte künftig viel genauer abwägen, wofür es sich noch rentiert, neues Material einzusetzen. Allein die Tatsache, dass wir ohne entsprechende Regelungen und Novellen in der Bauordnung aus Profitgier jedes Gründerzeitgebäude abreißen und durch einen verdichteten Stahlbetonbau ersetzen würden, sagt einiges aus. Momentan produzieren wir Unmengen an Abfall, die dann auf einer Deponie landen, nur um noch mehr Gewinn zu generieren. Da geht es um Grundsatzfragen in der Bauwirtschaft und unserer gesamten Gesellschaft. Wie sich das in der Architektur äußert, ist, denke ich, dann nur eine Reaktion darauf.

Wie ließe sich diese nötige Transformation in der Architektur bzw. Bauwirtschaft erzielen?

Ich habe mir als Gedankenexperiment schon öfter die Frage gestellt, was passieren würde, wenn von heute auf morgen keine neuen Ressourcen mehr für den Bausektor zur Verfügung stünden. Von diesem Zeitpunkt an müsste man entweder mit dem Bestand umgehen oder dürfte nur noch so bauen, dass der ökologische Fußabdruck in Summe gleich bleibt. Nach einem anfänglichen Entsetzen würde es, glaube ich, zu einer Neubewertung der Situation kommen. Bestand wäre auf einmal viel mehr Wert und es gäbe weniger ungenutzte und leerstehende Gebäude. Letztendlich käme es zu einer völlig neuen Ausrichtung des Themas Bauen und Planen. Und genau das bräuchten wir, denke ich – solange wir weitermachen wie bisher, werden wir die Kurve nicht kratzen können.

www.juritroy.com

 

 

 

Interview: Edina Obermoser

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen