Werkbundsiedlung Wien

21. März 2016 Mehr

Wachgeküsst?
Werkbundsiedlung Wien / P.GOOD Architekten
Selbst wenn man einen ‚echten‘ Wiener fragt, wo denn die Werkbundsiedlung zu finden sei – erhält man im besten Fall die Antwort: „Da irgendwo in Hietzing!“ Man sollte dieses Unwissen aber nicht als Ignoranz brandmarken, denn auch Architekturbeflissene wissen nicht so genau, wie man in dieses Juwel gelangen kann. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln – übrigens recht schwierig. Das liegt an der einzigartigen Lage der Siedlung am Rand des Wienerwaldes. Sie befand sich zur Zeit ihrer Errichtung, anfangs der 1930er Jahre, am westlichen Rand des verbauten Stadtgebiets südlich des Hügelzuges Girzenberg – Roter Berg, eines Ausläufers des Wienerwaldes. Inzwischen ist die Umgebung, meist mit von Rasenflächen umgebenen Ein- und Mehrfamilienhäusern, weitgehend verbaut worden; Girzenberg und Roter Berg wurden als Schutzgebiet großteils unverbaut erhalten.

Werkbundsiedlung Wien

Namen wie Josef Frank, Ernst Lichtblau, Adolf Loos, Richard Neutra, Ernst Plischke, Gerrit Rietveld, Josef Hoffmann, Margarete Schütte-Lihotzky, Oskar Strnad, Clemens Holzmeister geben einen nur unvollständigen Eindruck der architektonischen Qualität und des Könnens, das für dieses Projekt versammelt wurde.
Im Unterschied zu früheren Bauten stand bei der Wiener Werkbundsiedlung ‚Wirtschaftlichkeit auf engstem Raum‘ im Vordergrund. Es sollte ein ‚neues Wohnen‘ geschaffen werden. Die Häuser sind tatsächlich, gemessen an heute üblichen Raum- und Wohnungsgrößen, sehr klein. Sie vermitteln aber immer wieder – durch die für die frühe Moderne signifikante Funktionalität – höchste Ökonomie im Detail und durch geschickt gesetzte Ausblicke und Sichtbezüge eine erstaunliche Geräumigkeit.

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs fielen sechs Häuser den Bombardierungen zum Opfer; sie wurden durch Neubauten anderer Architekten, u. a.
Roland Rainer, ersetzt. 1983–1985 wurden 56 der nach dem Krieg verbliebenen 64 Häuser von Adolf Krischanitz und Otto Kapfinger (als Konsulent) renoviert; Krischanitz baute westlich neben dem Haus Woinovichgasse 32 ein kleines Museum der Siedlung.
2012, 80 Jahre nach der Eröffnung, begann die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt die erforderliche neuerliche Restaurierung und Renovierung der Siedlung. Als Ergebnis einer europaweiten Ausschreibung sind P.GOOD Architekten als Generalplaner mit der Sanierung der 48 Häuser der Werkbundsiedlung beauftragt worden. Insgesamt wird das Revitalisierungsprojekt, das in vier Phasen angelegt ist, in ca. fünf Jahren abgewickelt werden. In der ersten Phase wurden drei Gebäude von Gerrit Rietveld und ein Wohnhaus von Josef Hoffmann saniert. Vorgang einer Sanierung kann natürlich nicht das Verpacken der Häuser in Styropor – wie man es üblicherweise bei Sanierungen macht – sein. Nicht nur weil der Denkmalschutz ein Argusauge darauf wirft, mit der üblichen Wärmedämmung würden die Proportionen der Häuser, der Fassaden verändert und viele Details zerstört werden. Ökologie wird bei der Restaurierung der Werkbundsiedlung im Einklang mit dem Denkmalschutz berücksichtigt. Durch die Kombination unterschiedlicher technischer Maßnahmen im Dämmbereich (Sockelisolierung etc.) und durch den Einbau moderner Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung und hocheffizienter Heizsysteme wird auch ohne den Einsatz von herkömmlichen Wärmeschutzfassaden eine Reduktion des Heizverbrauchs um ca. 50 Prozent sichergestellt.

Die Architekten trachteten bei diesem architekturhistorisch herausragenden Ensemble danach, unter Einbeziehung aller Aspekte des Denkmalschutzes den Originalzustand, gleichzeitig aber auch einen zeitgemäßen Wohnstandard herzustellen. Die vorhandene Originalsubstanz wurde nachhaltig renoviert und bewahrt, während nachträgliche Veränderungen, wie etwa Überputzungen oder Verkleidungen, entfernt wurden. Die Restaurierung von erhaltenen Sicht-oberflächen wurde mit den gleichen Materialien und Handwerkstechniken, wie bei der Errichtung der Werkbundsiedlung im Jahr 1932 durchgeführt, und so auch im Detail ein historisches Erscheinungsbild wieder hergestellt. In den leer stehenden Häusern des Architekten Gerrit Rietveld in der Woinovichgasse 16 und 20 und in einem-Josef Hoffmann-Haus in der Veitingergasse 85 sowie in einem bewohnten Gerrit-Rietveld-Haus in der Woinovichgasse 18 konnten auch im Inneren umfangreiche Revitalisierungsmaßnahmen gesetzt werden. Fenster und Türen, die Böden, Decken und Wände wurden instand gesetzt sowie die Sanitärräume erneuert. Im Zuge der ersten Sanierungstranche konnten etwa die sehr kleinen Bäder in den Rietveld-Häusern neu organisiert und durch zusätzliche Bäder im Kellergeschoss ergänzt werden. In den Rietveld-Häusern wurden überdies die in Skizzen und Briefen dokumentierten, aber bei der Errichtung nicht ausgeführten Grundrissvarianten für das Erdgeschoss nachträglich realisiert.

Werkbundsiedlung Wien
Wien, Österreich

Bauherr
WISEG Wiener Substanzerhaltungsg.m.b.H. & Co KG

Planung
P.GOOD / Praschl-Goodarzi Architekten ZT-GmbH

Projektleitung
DI Waltraud Derntl

Mitarbeiter
DI Thomas Held
DI Julia Eibel
Mag Nicole Kirchberger
DI Niel Mazhar
DI Zafer Sak

Statik
Werkraum Wien Ingenieure ZT-GmbH

Bebaute Fläche
48 Häuser

Nutzfläche
3.890 m2

Planungsbeginn
2010

Bauzeit
2010 – 2016

Fertigstellung
11/2016

Baukosten
8,5 Mio Euro

Energieeinsparungen
Haus Hoffmann
160,59 KWh/m2a (von 292,07 auf 131,49 KWh/m2a)

Haus Rietveld
95,43 KWh/m2a (von 197,54 auf 102,11 KWh/m2a)

 

Fotos: ©P.GOOD, Peter Reischer, Adsy Bernart
Text: Peter Reischer

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Kategorie: Magazin, News