Auf den Spuren von Jules Verne
Die Architekten des Prager Studios OV-A haben ein ehemaliges Kohlelager aus den 1930er-Jahren für die Universität für Chemie und Technik mit viel Fingerspitzengefühl und inspiriert von Jules Verne in einen Hörsaal umgewandelt. Der rekonstruierte Raum wird von den Studenten für Vorlesungen, Zusammenkünfte und andere informelle Aktivitäten der Universität genutzt.
Der Projektname UHELNA steht in der tschechischen Sprache für „Kohle“ und ist treffender Namensgeber für eines der spannendsten Umnutzungsprojekte aus der Feder des Architekturstudios OV-A. Für die in Prag ansässige Universität für Chemie und Technologie (VŠCHT) verwandelten die ortskundigen Planer ein ehemaliges und bis dato ungenutztes Kohlelager in einen multifunktionalen Hörsaal mit besonderem Flair.
Lange Zeit lag das unscheinbare Bauwerk im Innenhof des geschichtsträchtigen Gebäude-Ensembles versteckt, das dazumal von der Prager Architekturikone Antonín Engel, im Zuge der Quartiersentwicklung rund um den Platz Vítězné Náměstí, entworfenen worden war. Der Architekt, Stadtplaner und Architekturtheoretiker gilt als der letzte Meister der Neorenaissance und des Neoklassizismus in der tschechischen Kultur und prägte gerade das Stadtbild des umgebenden Viertels Dejvice (bis heute) maßgeblich mit.
Zurückhaltend unter einem schlichten Blechdach verborgen, drohte das alte Kohlelager seit Mitte der 80er-Jahre langsam in Vergessenheit zu geraten, bis Jiří Opočenský und Štěpán Valouch auf Wunsch der Universität hin begannen, den Raum Stück für Stück für sich zu entdecken und zu erobern. Die Atmosphäre erinnerte die Architekten sofort an die Romane von Jules Verne. Und so machte sich das Kreativ-Team vielleicht nicht auf zur Reise zum Mittelpunkt der Erde, doch zumindest zur Expedition eines ihnen unbekannten Terrains. Gerade die Kombination aus dem geschichtlichen Hintergrund, der pragmatischen Eleganz der rohen Industriearchitektur und der besonderen räumlichen Qualität, galt es für die Architekten folglich in ihrer Aura zu erhalten. Ein entscheidender Pluspunkt: Während man bei dem Lagern von Kohle gemeinhin an dunkle, niedrige Kellerlöcher denkt, überrascht UHELNA mit Luftigkeit, Tageslicht und ästhetisch ansprechenden konstruktiven Details.
Bis 1985 diente der, als einfaches Industriegebäude errichtete, Kohlespeicher seinem ursprünglichen Zweck – nämlich der Versorgung des angrenzenden Kesselraums. Er bestand aus zwei Behältern mit schrägem Boden, einem oberen Versorgungsgang und einem unteren Entnahmegang, von dem aus die Kohle in Metallwagen zu den Kesseln gefahren wurde. Der zentrale Turm oberhalb des Ganges enthielt ursprünglich einen Wassertank für den Betrieb des Kesselraums. Nachdem das Lager obsolet geworden war, fungierte es als Abstellkammer für ungenutzte Gegenstände.
Die Re-Aktivierung und Umnutzung zu Studienzwecken erforderte neben einem intelligenten Raumkonzept erhebliche strukturelle Eingriffe. Eine Öffnung der Struktur im Sinne des Platzgewinns sowie das Schaffen von ebenen Böden stellten daher die oberste Priorität dar. Einen der schrägen Böden versahen OV-A mit Holzstufen zum bequemen Sitzen, um diesen Bereich als Hörsaal nutzen zu können. Die gegenüberliegende Wand kann mit einem, an der Decke befestigten, Beamer bespielt und so neben Vorlesungen auch für Präsentationen oder Filmabende genutzt werden.
Der zweite schräge Boden wurde komplett entfernt, sodass eine großzügige, freie Fläche entstanden ist, die Diskussionen und Vorträgen die perfekte Bühne bietet. An den Wänden wurden Monitore befestigt, die bei Bedarf eingeschaltet werden können. Gleiches gilt für die Beschallungsanlage. Eine kleine Bar ermöglicht die Versorgung mit Getränken und fördert den informellen Austausch und das studentische Netzwerken.
Das neben der smarten Raumnutzung oberste Ziel bestand bei allen Maßnahmen darin, die spezifische Betonstruktur und damit den ursprünglichen Charakter des Raumes so weit wie möglich im Originalzustand zu belassen. Dazu wurden die Oberflächen vor Ort gereinigt, behandelt und – wo nötig – ausgebessert. Der industrielle Look wurde durch minimalistische Akzente, in Form von groben Treppengeländern aus geschweißtem Stahl mit Gitterdraht, sowie sichtbaren Kabelführungen, Lüftungsrohren und Heizkörpern subtil – und dabei freilich mit einem Augenzwinkern – unterstrichen: jedes Detail ist letztlich in seiner optischen Ausführung wohl durchdacht. Einzig die hölzerne Dachkonstruktion befand sich in einem solch schlechten technischen Zustand, dass eine Kopie das Original ersetzen musste.
Auch die Böden, dieser in ihrem großen Ganzen sehr rohen Hülle, wurden in Anlehnung an die vormalige Nutzung aus Epoxidharz gegossen. Einzig eine hinzugefügte dämpfende Wandverkleidung aus Heraklithplatten sorgt für die notwendige Regulierung der Raumakustik. Während der Barbereich sich mit seiner metallisch spiegelnden Oberfläche nahezu zu entmaterialisieren scheint und auch die neu eingebaute Treppe als Verbindung der oberen und unteren Ebene durch den Einsatz von unbehandeltem, geprägtem Schwarzstahl dezent in den Hintergrund tritt, sticht das Auditorium förmlich aus dem Gesamtbild hervor. Das lebendig gemaserte Eichenholz wirkt warm und einladend und macht es so zum echten Anziehungspunkt.
Weitere Designelemente wie die Pendelleuchten, die Stühle, Tische und Garderobenständer fügen sich in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Materialität perfekt in die Szenerie ein und setzen kleine Akzente. Dabei lohnt der Blick von der oberen Etage ganz besonders: Das konstruktive Stilleben, das sich dem Betrachter eröffnet, gleicht einer Startrampe aus Beton und Stahl, bereit für das nächste Spaceshuttle zur Expedition ins Weltall. Jules Verne lässt grüßen.
UHELNA, Umnutzung eines Kohlelagers
Prag, Tschechien
Bauherr: University of Chemistry and Technology, Prague, CZE
Planung: OV-A, ov architekti s.r.o.
Mitarbeiter: Jiří Opočenský, Štěpán Valouch, Romana Bedrunková
Projektkoordination: Stavaři, s.r.o.
GU: MOZIS s.r.o.
Statik: Ladislav Fornůsek
Bebaute Fläche: 225 m2
Nutzfläche: 222 m2
Planungsbeginn: 2015
Bauzeit: 2018-2019
Fertigstellung: 2019
„Unsere Bauten zeichnen sich durch eine authentische, detailorientierte Gestaltung mit starkem Bezug zum Ort aus. Beim Entwurfsprozess stehen der Dialog mit dem Bauherrn, klare betriebliche Zusammenhänge und die baulichen Details im Vordergrund. Im Sinne unserer Auftraggeber suchen wir nach zeitlosen Designlösungen und einzigartigen Raumkonzepten. Jeder Bauherr, jeder Standort und jedes Bauvorhaben bieten einen neuen Kontext und damit neue Perspektiven.“ OV-A
Text: Linda Pezzei
Projektfotos: Václav Novák
Teamfoto: Jan Zátorský
Kategorie: Projekte