Auferstehung im Kupferkleid

14. April 2022 Mehr

Sainte-Lucie-de-Tallano ist ein kleines, französisches Dorf im Süden Korsikas. Umgeben von bewaldeter Landschaft besticht es auf 500 m Seehöhe mit seiner malerischen Lage. Vor dieser idyllischen Kulisse befindet sich auch das Kloster Saint-François. Amelia Tavella Architectes nahmen sich des in die Jahre gekommenen Bauwerks an, renovierten es und erweiterten es um einen Anbau mit perforierter Kupferhülle.

 

Kloster Saint-François in Sainte-Lucie-de-Tallano

 

Die korsische Gemeinde in den Bergen lockt Besucher mit ihrem ländlichen Charme und französischer Romantik. Sie überblickt die Berge und Hügel der Alta Rocca. Neben dem angenehm maritimen Klima ist die Ortschaft von gepflasterten Straßen und Gässchen sowie traditionellen Steinbauten geprägt. Einer von ihnen ist das Franziskanerkloster aus dem 15. Jahrhundert. Die einst repräsentative Klosteranlage liegt mit Blick auf das Dorf und die Gebirgsketten vor einem kleinen Olivenhain und wird rückseitig vom Friedhof begrenzt. Sie setzt sich aus zwei Baukörpern zusammen: dem Haupttrakt mit Kirchturm und einem Nebengebäude. Sie sind parallel ausgerichtet und spannen einen geschützten Platz auf. Beide Strukturen waren vor der Renovierung regelrecht von der Natur in Beschlag genommen worden. Die Vegetation überwucherte die Mauern, wuchs zwischen den Steinen und sorgte als grüne Schutzhülle dafür, dass diese weder einstürzten noch erodierten. Insgesamt war die Bausubstanz der Klosterkirche besser erhalten, das andere Volumen befand sich hingegen in einem ruinösen Zustand.

 

Kloster Saint-François in Sainte-Lucie-de-Tallano

 

Amelia Tavella erkannte die Magie des Ortes und machte es sich mit ihrem Team zur Aufgabe, das klerikale Duo wiederzubeleben. Dafür wandelten sie laut eigenen Angaben auf den Spuren der Vergangenheit und ließen die Geschichte, die das Kloster erzählt, in ihren Entwurf miteinfließen. Den Haupttrakt erhielten sie zur Gänze und sanierten die denkmalgeschützten Gemäuer mit Bedacht. Beim zweiten Teil der Klosteranlage waren größere Eingriffe nötig. Hier ersetzten die Architekten die Hälfte der ursprünglichen Steinstruktur durch einen neuen Erweiterungsbau. Dieser bildet die Form des Hauses nach und stellt das ursprüngliche Volumen wieder her. Anstatt des massiven Naturmaterials besteht die Ergänzung aus einer leichten Kupferkonstruktion. Diese schließt entlang einer schrägen Bruchkante direkt an die Bestandsmauern an und führt das Satteldach fort. Neben dem massiven Trakt wirkt sie wie eine filigrane Silhouette des Sakralbaus.

 

 

Die neue Kupferhülle besteht sowohl aus vollflächigen Metallplatten, als auch aus durchlöcherten Paneelen. Kleine quadratische Ausnehmungen überziehen die Ansichten in unregelmäßigen Abständen. Während sie im unteren Bereich kleiner sind und die Fassaden geschlossener wirken lassen, werden die Löcher mit zunehmender Höhe größer und legen sich dort nur noch wie ein zarter Vorhang vor den Bau. Sie sind inspiriert von sogenannten Maschrabiyya-Gitterstrukturen, die bei islamischen und mediterranen Bauten traditionell der Belichtung und Belüftung dienen. Von außen blitzen hinter den perforierten Abschnitten die Fenster durch, innen kreieren die ausgeschnittenen Pixel ein spannendes Spiel aus Licht und Schatten. Das Kupferblech erscheint je nach Tageszeit, Sonneneinstrahlung und Betrachtungswinkel in unterschiedlichen Farbtönen. Es zeigt sich in kräftigem Orange, passt sich mit seinem subtilen Glanz den rötlich-braunen Dächern des Bestands an oder schimmert mit der natürlichen Patina leicht bläulich.

 

 

Der Annexbau orientiert sich nicht nur an der Kubatur des Originals, sondern auch an dessen Rhythmus und den architektonischen Elementen. So sind an beiden Querfassaden jeweils die charakteristischen Rundbögen zu finden. An der dem Innenhof zugewandten Seite führt das französische Planungsbüro, hinter den gewölbten Portalen, den Kreuzgang fort. An der gegenüberliegenden Front markiert ein Bogen den Eingang zum Gebäude, über den man direkt zum Klosterplatz gelangt. Eine Treppe gleicht hier den, durch die bewegte Topografie bedingten, Niveauunterschied aus. Im Zuge der Restaurierung und Erweiterung erhält das Nebengebäude des Saint-François Klosters eine völlig neue Funktion. Als Kulturzentrum soll es zum neuen Treffpunkt in Sainte-Lucie-de-Tallano werden, der Jung und Alt anspricht. Neben Ausstellungsflächen im unteren Bereich gibt es im Zwischengeschoss Gemeinschaftsbereiche und einen Lesesaal. Eine Mediathek, Beratung und Spielflächen für Kinder unter dem Dach komplettieren das Raumprogramm. Auch das Areal zwischen Kirche und dem revitalisierten Trakt wird neu genutzt: Eine kleine Bühne bietet hier Platz für Outdoor-Aufführungen.

 

 

Mit dem Projekt wollten Amelia Tavella Architectes nicht nur der Vergangenheit des Bestands Respekt zollen, sondern gleichzeitig die Geschichte weitererzählen. Sie selbst fassten diese Intention in poetische Worte und beschreiben den auf Ruinen basierenden Entwurf für das Kloster Saint-François als „Umarmung von Historie und Moderne“. Aus diesem Grund überdecken Alt und Neu einander nicht, vielmehr respektieren sie sich gegenseitig und fügen sich zu einem neuen Ganzen zusammen. Dieser Ansatz kommt auch über die Materialwahl zum Ausdruck: Kupfer verwittert, wandelt sich mit der Zeit und könnte sogar komplett rückgebaut werden. Damit greift es den Geist des Ortes auf und übersetzt ihn in eine zeitgenössische Architektur. Der neu rekonstruierte Gebäudeteil ergänzt das Klosterensemble behutsam und bringt als Anlaufpunkt für kulturelle Veranstaltungen frischen Wind in das soziale Leben des korsischen Bergdörfchens. Mit biblischen Worten könnte man hier wohl von einer Art Auferstehung sprechen.

 

 

Kloster Saint-François
Sainte-Lucie-de-Tallano, Korsika

Bauherr: Collectivité de Corse
Planung: Amelia Tavella Architectes
Denkmalschutz: Perrot & Richard
Statik: ISB
TGA: G2I
Akustik: Acoustique & Conseil
Baubeginn: 2019
Fertigstellung: 2021

www.ameliatavella.com

 

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Thibaut Dini

 

Kategorie: Projekte