Aus dem Feuer geboren
Während der Sanierung des Battersea Art Centers in London durch die Haworth Tompkins Architekten, vernichtete ein verheerendes Feuer die sogenannte Grand Hall und weitere Teile des Bauwerkes. Diese Katastrophe war der Anlass, die Folgen dieses Ereignisses in den Prozess einzubeziehen und so zu einer sehenswerten Neuinterpretation der historischen Architektur zu gelangen.
1666 stand fast ganz London während einer Feuersbrunst in Flammen. Aber auch in letzter Zeit reihen sich denkwürdige Brandkatastrophen aneinander: der Crystal Palace 1936, die Valley-Parade-Feuerkatastrophe 1985, Brand im Bahnhof King´s Cross St. Pancras 1987, Brand im Windsor Castle 1992, der Grenfell Tower 2017. In Fachkreisen herrscht die Meinung, dass man es in Großbritannien mit dem Brandschutz nicht so genau nimmt und nur durch Glück bei derartigen Katastrophen nicht noch mehr Menschenleben zu beklagen waren.
Glück im Unglück hatte man auch beim Feuer, das die Grand Hall des Battersea Arts Centres (BAC) in London im Jahr 2015 zerstörte. Die Architekten des Büros Haworth Tompkins (HT) arbeiteten bereits seit 2006 an der Neukonfigurierung und Gestaltung des BAC. Das ehemalige Rathaus, im Südwesten Londons gelegen, war 1893 von E. W. Mountford entworfen worden. Es war „Grade II listed“ (englische Denkmalschutzkategorie), wegen seiner wichtigen politischen Rolle, die es bei der Entstehung der Suffragetten- und Arbeiterbewegung im frühen 20. Jahrhundert hatte. Seit 1974 beherbergte es bereits das BAC, eine der wichtigsten Brutstätten der neuen Kunst der Performance in England. Das Büro HT arbeitete hier bereits seit 2007 mit dem BAC, Theaterkünstlern und den lokalen Vereinigungen zusammen und in einem kreativen, experimentellen Prozess sollte der ganze Komplex zu einem lebendigen, adaptiven Organismus umgeformt werden. Im Betrieb sollten dann die traditionellen Grenzen zwischen Publikum und Künstlern, dem Foyer und Auditorium aufgelöst werden und so eine nahezu unendliche Spielfläche von Kombinationen entstehen.
Man begann mit einer Reihe von improvisierten, nicht invasiven Eingriffen um eine spielerische Strategie für die Veränderung zu testen und eine neue Designsprache für die Architektur zu entwickeln. Die Umbauten fanden stufenweise statt, zuerst im Café und der Eingangshalle als 2015 ein Feuer während der Bauarbeiten die sogenannte Grand Hall komplett zerstörte. Der Schock der Verwüstung brachte aber neue Möglichkeiten für die Gestaltung und die Rekonstruktion. Die aus Ziegeln bestehenden Außenwände der Halle waren zwar angegriffen, konnten aber stabilisiert und in ihrer Tragfähigkeit erhalten bleiben. Das Dach und die denkwürdige, gewölbte Gipsdecke wurden allerdings komplett vernichtet. Also rekonstruierte man das tonnenförmige Dach und anstatt des Gipsgewölbes bauten die Architekten – sozusagen als signifikantes Merkmal eines Change-Prozesses und einer Evolution – eine aus Sperrholzplatten bestehende Decke ein, die sich von den Oberkanten der Seitenwände ausgehend der ursprünglichen Gewölbekurvatur folgend erstreckt. Die Konstruktion aus gefrästen Sperrholzplatten, dreifach mit Abstandshaltern in die Tiefe gestaffelt, bieten eine spektakuläre Neuinterpretation der neobarocken Decke aus Gips. Vor allem der Kontrast zwischen perfekter Decke und den brandbeschädigten Wänden macht den Reiz dieses Projektes aus. Eine neue technische Infrastruktur, verborgen über dieser Decke, bietet nun eine natürliche Ventilation, wesentlich größere theatralische Möglichkeiten und eine variable Akustik um sowohl das gesprochene Wort, wie auch Dramen, Festivals, Hochzeiten und Konzertaufführungen zu ermöglichen.
Die Oberflächen der Hallenwände und der sie umgebenden Gänge sind in dem Zustand belassen worden, wie sie nach dem Brand vorgefunden wurden. Sie spiegeln einen pompejanischen Reichtum an Oberflächen, Strukturen und Farben wider. Beleuchtet werden sie heute von Hängelampen, extra entworfen von Haworth Tompkins und dem Produktdesigner Robert McIntyre. In den Korridoren nimmt eine gelochte, abgehängte Decke sowohl in Farbe wie auch Konzept das Motiv der Tonnendecke der Grand Hall wieder auf. Die Orgel der Halle, entworfen von Robert Hope-Jones, war Gott sei Dank zur Zeit des Brandes größtenteils abgebaut und zur Restaurierung ausgelagert. Sie wurde auf einer Tribüne wieder aufgebaut, um eine größere Flexibilität für die Nutzung der Bodenfläche zu gewährleisten. Demontable Sitzreihen und die umlaufenden Galerien verbinden sich mit der Tribüne und lassen verschiedenste Nutzungen bei Events zu. Die Bar der Grand Hall hat man in Zusammenarbeit mit dem Künstler Jake Tilson, der akribisch die zerstörten Stoffe nach dem Brand rekonstruierte, neu gestaltet und so einen hochinteressanten Blickfang geschaffen.
Die Lower Hall (unter der Grand Hall) wurde vom BAC in einen kreativen Kollaborationsbereich mit der Bezeichnung „Scratch Hub“ umgewandelt. Hier bieten sich Areale für lokale Start-ups, Künstler, gesponsorte Veranstaltungen und soziale Events. An der Außenseite weisen – chirurgisch in der Fassade eingebettet – Signalbalken auf die Eingänge hin. Die Town Hall Road, die leicht erhöht im Osten der Halle verläuft, ist landschaftsgestalterisch behandelt mit gemeinschaftlichen Pflanzbeeten und Sitzbereichen im Freien.
Um das natürliche Licht tief in das Gebäudeinnere zu bringen und um die Orientierung zu verbessern, hat man einen neuen Hof als Veranstaltungsort geschaffen. Und zwar, indem man selektiv einen nicht benutzten Lichthof im Inneren des Bauwerkes entkernte. Die neuen Wandflächen sind mit glasierten weißen Ziegeln belegt, um die Helligkeit des Raumes durch Reflexion des Naturlichtes zu erhöhen, und zwar nicht nur im Hof, sondern auch in den umliegenden Gängen. Man hat generell Wegführungen wieder geöffnet und verbessert und so die Lesbarkeit des ursprünglichen Mountford-Entwurfes wieder hervorgeholt. Das manifestiert auch die konsequente Entwicklung der architektonischen Substanz. Unbenutzte Dachräume und -böden sind in Büros, Dachgärten und Schlafgelegenheiten für „Artist in Residence“ verwandelt worden.
All die Erneuerungen, Einbauten und Rekonstruktionen dieses historischen Gebäudes und die komplette Rekonfiguration seines Innenlebens, verbinden heute Performance, historisches Erbe und die lokale Gemeinschaft, sie machen das BAC für die nächste Phase seines Lebens in unserer, sich rasant ändernden Welt, fit. Architekten und Auftraggeber waren hier gleichberechtigte Partner während des ganzen Prozesses, sie teilten sich die Autorenschaft und erzeugten eine vibrierende, kreative Zusammenarbeit.
Battersea Arts Centre
London, England
Bauherr: Battersea Arts Centre
Planung: Haworth Tompkins
Statik: Price and Myers, Heyne Tillet Steel
Grundstücksfläche: 5.625 m2
Nutzfläche: 2.396 m2
Grand Hall: 570 m2
Planungsbeginn: 2007
Bauzeit: 03/2015 – 08/2018
Fertigstellung: 2018
Baukosten: 22,5 Mio. Euro
Text: Peter Reischer
Fotos: Fred Howarth, Philip Vile, Morley von Sternberg
Kategorie: Projekte