Aus einem Sturm geboren
Eine neue Schule mit Bibliothek errichtete das CAUKIN Studio auf der von einem Zyklon verwüsteten Pfingstinsel im Inselstaat Vanuatu. Mit viel persönlichem Einsatz und Freiwilligen aus der ganzen Welt wurde in nur acht Wochen der neue Bau fertiggestellt. Nachhaltige Materialien, passive Designstrategien und lokale Fertigungstechniken sorgten für eine Architektur, die weitere Zyklone überstehen soll und es auch tut.
Energie kann man auf verschiedenste Arten definieren, empfinden, umsetzen oder visualisieren. Beim Bauen wird Energie – im fertigen Projekt – meist über die Effizienz, den Verbrauch und somit die Verwendung von Ressourcen verstanden. Energie ist aber auch die Kraft des Menschen, seine Begeisterung, seine Kreativität und Liebe bei der Umsetzung von architektonischen Projekten. Im folgenden Beispiel drückt sich die Energie weniger in einer architektonischen Manifestation, sondern in der klugen Verwendung von Materialien, im persönlichen Einsatz aller Beteiligten und in der Hilfe für die von einer Naturkatastrophe betroffenen Menschen aus.
Der etwa 2.000 Kilometer östlich von Australien gelegene Inselstaat Vanuatu (er entstand 1980 aus dem seit 1906 bestehenden britisch-französischen Kondominium Neue Hebriden) wurde 2015 vom Zyklon Pam schwer getroffen und verwüstet. Die ungeheure Wucht des Sturmes zerstörte fast alles und so auch die Ranwas Primary School, die Volksschule von Ranwas auf der sogenannten Pfingstinsel (Pentecost Island, Teil von Vanuatu). Zurück blieben Kinder, die nun in völlig unzureichenden Notunterkünften unterrichtet werden mussten. Das Tanbok Projekt – eine NGO-Initiative – versuchte im Zuge dieses Desasters eine neue Schule und auch eine Bibliothek zu errichten, welche den harschen, lokalen Wetterbedingungen gerecht werden und auch zukünftigen Stürmen widerstehen sollten.
Der Entwurf dafür stammt vom CAUKIN Studio, einem jungen sozial engagierten Designstudio aus England mit Zweigstellen in den USA und in Indonesien. Sie arbeiteten mit Teilnehmern aus der ganzen Welt im Dorf Ranwas zusammen mit der Dorfgemeinschaft, um das Projekt zu realisieren. Innerhalb kürzester Zeit entwarfen und finalisierten sie das Gebäude und errichteten einen Bau, der mit seinem Zyklon resistenten Holzrahmen, einer gewebten Bambusverkleidung, einer Dachdeckung aus Polykarbonat und Blech eine gut durchlüftete, freundliche Lernumgebung bietet.
Ranwas liegt mitten im Bergland der Insel und die Luftfeuchtigkeit beträgt fast dauernd an die 99% – eine Herausforderung für die Errichtung einer Schulbibliothek. Dieser Bereich bewältigt die extrem hohe Luftfeuchtigkeit mittels sehr sorgfältig ausgeklügelter, passiver Designstrategien. So wird die Lebenszeit der gelagerten Bücher verlängert und garantiert. Man hat die Bücher in einem eigenen, verschlossenen Abteil verstaut, als Verkleidung nahmen die Designer dunkle Metallplatten, um die Temperatur im Innenraum zu erhöhen. So verringert man die relative Luftfeuchtigkeit und erhält eine trockenere Atmosphäre für die Bücher. Der Kamineffekt, das Aufheizen der Außenflächen durch die Sonne erzeugt durch die dunklen Metallplatten, sorgt für einen ständigen Abtransport der Feuchte aus dem Gebäudeteil. Die Bücherregale selbst sind in relativ kleine Stellflächen eingeteilt, so kann mehr Luft zwischen den Büchern zirkulieren und die Feuchtigkeit abführen. Eine schmale Leiter in der Bibliothek führt zu einer kleinen Mezzaninebene, die sich über eine kreisrunde Öffnung auf eine Veranda öffnet und einen gemütlichen Lesebereich für die Kinder darstellt, sozusagen ein kleines Leseversteck.
Gewebte Bambuswände benutzen das höchst nachhaltige Material, das die unmittelbare Umgebung bietet und auch die traditionellen Fähigkeiten der Bewohner zur Fertigung dieser Bauteile. Mit null Kosten entstand eine atmende, in der Erhaltung billige Konstruktion, die jederzeit von den Nutzern betreut und ausgebessert werden kann. Große Fenster an jeder Längsseite des Klassenraumes sorgen für die Querlüftung und ausreichende Belichtung durch Naturlicht – keine Kosten für Elektrizität. Ein starker Kontrast zu den sonstigen dunklen und feuchten Schulen der Inselgruppe.
Die Konstruktionszeit betrug nur acht Wochen und ein Team von 15 Teilnehmern aus internationalen Architekturschulen und Büros arbeitete zusammen mit ca. 50 einheimischen Arbeitern an dem Projekt, man wohnte auch zusammen im Dorf. Und wie es sich für derart interkulturelle, partizipative Projekte gehört, wurden auch viele Details der Konstruktion gemeinsam beim Bauen entwickelt und sozusagen immer wieder neu „erfunden“. Erfahrung und Wissen in einer kulturellen Immersion.
Am 6. April 2020 passierte der Kategorie 5 Zyklon Harold Vanuatu und sein Auge überquerte direkt Ranwas. Von allen Gebäuden der Pfingstinsel wurden 90% zerstört oder schwer beschädigt. In Ranwas überlebten drei den Zyklon, darunter die neue Schule mit ihrer Bibliothek.
Ranwas School
Pentecost Island, Vanuatu
Bauherr: The Tanbok Project Charity
Planung: CAUKIN Studio
Mitarbeiter: Harrison Marshall, David Mahon
Statik: Tom Bule
Grundstücksfläche: 130 m2
Bebaute Fläche: 130 m2
Nutzfläche: 130 m2
Planungsbeginn: 12/2018
Bauzeit: 8 Wochen
Fertigstellung: 09/2019
Text: Peter Reischer
Fotos: Katie Edwards
Kategorie: Projekte