Betonkathedrale für die Kunst

22. Dezember 2017 Mehr

Zeitz MOCAA / Kapstadt / Heatherwick Studio

776_9__HR_ZeitzMOCAA_HeatherwickStudio_Credit_Iwan Baan_Atrium at night

 

Der Welt größtes (Beton)Museum ist eröffnet. So zweideutig wie dieser erste Satz, so konträr sind auch die Eindrücke dieser Architektur: ein brutaler Klotz aus Beton, eine aufgeschnittene riesige Bienenwabe oder eine faszinierende Idee zur Nutzung alter, nicht mehr im ursprünglichen Sinn benutzter, architektonischer Substanz?

Genau genommen ist das Zeitz MOCAA das weltgrößte Museum für zeitgenössische Kunst aus Afrika und seiner Diaspora. Südafrika und Kapstadt sind Orte, die seit vielen Jahren mit den Nachfolgen der Kolonialzeit und mit sozialen Ungerechtigkeiten in Verbindung stehen. Die Silobauten in Kapstadt waren fast 90 Jahre lang ein bestimmender Bestandteil der Skyline der Stadt und bis zur Jahrtausendwende auch das Zentrum der Geschäftigkeit im Hafenbereich. Erbaut wurden sie 1924 von der Eisenbahngesellschaft SA Railways und den Hafenbetreibern. Sie sind ein bestimmender Teil des urbanen Charakters und des Ausdruckes der Stadt und deshalb auch unter Schutz gestellt. Diese Getreidesilos, einst ein Wahrzeichen und eine Landmark für den Getreidehandel, den Export von Nahrungsmittel – während im Land die Bevölkerung hungerte. An der V&A Waterfront (siehe Kasten) gelegen, waren lange Zeit auch die höchsten Gebäude im Land. Am 22. September 2017 wurde nun in ihnen, nach vierjähriger Bauzeit, das erwähnte Museum eröffnet. So transformierte sich eine historische Betonlegende in eine nachhaltige, nicht profitorientierte, öffentliche Kulturinstitution, die auch noch Kreativität fördert. Zeitz MOCAA ist eine gewaltige kulturelle Landmark, um das künstlerische Erbe Afrikas sichtbar zu machen, und nach 100 Jahren der Ausbeutung ist dieser Schritt eine Art Wiedergutmachung und Rehabilitierung der afrikanischen Kunst im eigenen Land.

Das Heatherwick Studio aus London ist und war schon längere Zeit für außergewöhnliche Architektur und Visionen bekannt (architektur 04/15). Die Verwandlung des alten Getreidespeichers in ein aufregendes Museum, in ein architektonisches Ereignis, passt zu 100% ins Schema des Teams. Die Bausumme wird mit 30 Millionen Euro kolportiert und zu den Eröffnungsrednern zählten VIPs wie Robert Redford und Kofi Annan.

9.500 Quadratmeter Flächen verteilen sich auf neun Ebenen, diese sind in dem ehemaligen Speicher eingeschnitten wie in einer Skulptur. Die Galerien und das – einer Kathedrale ähnliche – Atrium in der Mitte des Komplexes sind von den Resten 42 röhrenförmiger Silos umgeben. Insgesamt bestand das Volumen aus 116 Silos. 6.000 Quadratmeter verteilen sich nun auf 80 Galeriebereiche und einen Skulpturengarten auf der Dachterrasse, der Rest auf einen zeitgemäßen Archivbereich, Restaurierungsräume, eine Bücherei, Restaurant und Bar sowie verschiedene Lese- und Aufenthaltsräume. Im Museum werden auch noch ein Kostüminstitut, ein Zentrum für Fotografie, ein Kuratorenbereich, Kino, Theaterräumlichkeiten und Kunsterziehung untergebracht. Das Museum ist nur eine der vielen Nutzungen, die Heatherwick an der V&A Waterfront realisiert: Mehrere Restaurants, Bars und auch ein Hotel, das bereits in Betrieb ist, entstehen in den diversen alten Getreidespeichern am Hafen. Aber das Projekt um das Zeitz MOCAA war bei weitem das Schwierigste.

Das „Aushöhlen“ dieser Betonmasse war eine Herausforderung für Architekten und Ingenieure. Thomas Heatherwick beschrieb den Prozess als eine Reise mit ungewissem Ausgang. Es ging zwar darum, etwas Neues zu schaffen, dabei das Alte zu zerstören, aber gleichzeitig musste man sehr sensibel und vorsichtig trachten, den Geist und die Ausstrahlung der Architektur zu erhalten. Das Auge konnte das Ergebnis nie voraussehen. Das erwähnte Atrium besitzt die Form eines Weizenkorns, aufgeblasen bis zu 27 Meter Höhe. Dort, wo die einzelnen Siloröhren angeschnitten sind, ist das Material poliert worden, um einen starken Kontrast zur Rauheit der übrig bleibenden Betonflächen zu bieten. Von diesem Atrium aus gelangt man in die diversen Ausstellungsbereiche.

Die Außenansicht der 57 Meter hohen Architektur wird von einem Sockel aus den Silos mit einem Aufsatz aus nach außen gewölbten Glasfenstern bestimmt. Diese Glasflächen sind aus facettierten Paneelen zusammengesetzt und sind in den existierenden Betonraster wie Waben eingefügt. Der im Inneren, im Atrium sichtbare Wabeneffekt wird an der Außenseite somit wiederholt. Diese Wabenfenster bringen das Licht ins Innere des Gebäudes, ins Atrium, gleichzeitig bieten sie einen kaleidoskopartigen Ausblick in die Umgebung. Von außen wiederum wirken sie wie Spiegelbälle. Sie reflektieren seitlich den „Tafelberg“ oder „Robben Island“, nach unten den Betrachter und nach oben den Himmel und die Wolken.

 

 

Zeitz MOCAA
Kapstadt, Südafrika

Bauherr: V&A Waterfront Holding
Planung: Heatherwick Studio

Nutzfläche: 9.500 m2,
davon 6.000 m2 Ausstellungsfläche
Fertigstellung: 2017
Baukosten: 30 Mio. Euro

 

North-Elevation

Fotos:©Heatherwick Studio

 

Die V&A Waterfront ist – mit 24 Millionen Besuchern – eine der beliebtesten Destination in Afrika. Sie befindet sich im ältesten, noch funktionierenden Hafen der südlichen Halbkugel. Als ein gemischtes Nutzungsgebiet beinhaltet sie auf 123 Hektar Wohnungen, Büros, Hotels, Verkaufsflächen und Gewerbe, Restaurants und Freizeiteinrichtungen für Einwohner und Gäste. Mit dem zeichenhaften Tafelberg im Hintergrund spielt sie eine wesentliche Rolle in der Wirtschaft des Landes.

Die Zeitz Collection wurde 2002 vom Unternehmer Jochen Zeitz gegründet. Sie ist eine der repräsentativsten Kollektionen afrikanischer Kunst der Gegenwart.

 

Text:©Peter Reischer

Fotos: ©Iwan Baan, Antonia Steyn

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Kategorie: Projekte