Black Box
Mit dem Kunstraum Kassel ist Markus Innauer und Sven Matt eine feinfühlige und dennoch selbstbewusst für sich stehende Ergänzung der hiesigen Kunsthochschule gelungen. Den Neubau setzten die Architekten als hölzernen Pavillon in den Innenhof des denkmalgeschützten Baus von Paul Friedrich Posenenske aus dem Jahre 1962 – eine Entscheidung im Sinne des Vorgängers, der just an dieser Stelle bereits eine Erweiterung vorgesehen hatte.
Beinahe könnte man achtlos an ihr vorbei spazieren, so selbstverständlich und zurückhaltend passt sich die schwarze Box – als wäre sie schon immer da gewesen – in das Gesamtgefüge der Kunsthochschule Kassel ein. Dabei erscheint das Gebäude keineswegs befangen und trotz seiner geschlossenen Fassade noch nicht einmal verschlossen. Schlank und anmutig definiert das Tragwerk die Struktur und Gestalt des Objekts, das ein umlaufender Dachüberstand mit klarer Kante in der Vertikalen begrenzt. Die dunkel gehaltene Fassadengestaltung distanziert den Neubau dabei einerseits vom umgebenden Bestand, rezitiert andererseits den Farbton und die Formensprache der außen liegenden Stahlstruktur des Posenenske-Baus. Die jugendliche Leichtigkeit und Frische des Ausstellungspavillons offenbart sich bei genauerer Betrachtung in der Materialwahl – Innauer Matt Architekten entschieden sich für Holz anstelle von Stahl.
Respektvoller Neuzugang
So zurückhaltend das rechteckige Volumen auf den ersten Blick erscheinen mag, desto überraschender die Erkenntnis, dass der Baukörper zu allen Seiten hin mit seiner Umgebung gleichwertig kommuniziert. Mit dieser Geste zollen die Architekten dem Bestandsgebäude nicht nur den gebührenden Respekt, sondern bieten den Nutzer:innen durch die konzentrische Verortung im Hof auch qualitätsvolle Außenräume von unterschiedlichem Charakter. Diese umfassen unter anderem einen großzügigen Vorplatz sowie einen zurückgezogenen Grünraum mit sieben Beuys-Bäumen.
Die flächigen Glasportale eröffnen erste Einblicke auf den gut 450 Quadratmeter umfassenden Ausstellungsraum im Inneren, der ebenso als studentisches „Ausstellungslabor“ wie zur Herstellung von großformatigen Kunstwerken dienen soll. Um auch die Zwischenräume in Form von Expositionsflächen nutzbar machen zu können, lässt sich die Halle zu allen Seiten hin öffnen. Dank der klaren, inneren Struktur ermöglicht der Kunstraum flexible Nutzungsvarianten von grenzenlos bis räumlich zoniert, wobei sich die einzelnen Fassaden bei Bedarf abdunkeln lassen. Die Atmosphäre rührt neben der Licht- und Akustikstimmung allen voran von den rohen und unbehandelten Holzoberflächen, die ganz subtil Anklänge an die sägerau geschalten Sichtbetonwände der Bestandsgebäude wecken sollen.
Handwerkskunst & Innovationsgeist
Was von außen ein wenig futuristisch und spacig anmutet, entpuppt sich im Innenraum als diffuser Lichtspender. Um gleichmäßig ungerichtetes Licht in den Raum zu holen, entwickelten die Architekten für den oberen Wandbereich der Kunsthalle spezielle Lichtlinsen. 864 Stück dieser gewölbten Glaselemente prägen das äußere Antlitz nicht nur in grafischer Hinsicht, sondern verleihen dem Gebäude auch die gewünschte Sonderstellung im Ensemble, ohne dabei ein aufdringliches Zeichen zu setzen.
Ein Statement ist auch die Entscheidung der Bauherrschaft, das Gebäude als reinen Holzbau zu konzipieren, der die aktuellen energetischen und ökologischen Anforderungen insbesondere bezüglich der Thematik der Nachhaltigkeit erfüllt. Für die stabförmigen Bauteile wie Stützen, Balken und Riegel kam Brettschichtholz zum Einsatz. Die flächigen Bauteile wie Dachschalung und Wandplatten wurden mit Brettsperrholz ausgeführt. Das Handwerk spielte – typisch für den Bregenzerwald, die Heimat der Architekten – in diesem Zusammenhang eine ausschlaggebende Rolle, sodass für Innauer und Matt Tragwerk und Gestalt, Funktion und Wirtschaftlichkeit auch beim Projekt des Kunstraums Kassel im Einklang stehen.
Nachgefragt bei Markus Innauer und Sven Matt
Wie ist das Projekt zustande gekommen, wie lautete das Briefing und wo lagen die größten Herausforderungen?
Im Jahr 2017 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, bei dem wir als junges Büro teilnehmen durften und glücklicherweise den 1. Preis gewinnen konnten. Die Herausforderung bestand darin, in den recht engen Innenhof ein eigenständiges Gebäude zu setzen, das gleichzeitig den wertvollen, denkmalgeschützten Bestandsbau von Posenenske respektiert.
Warum fiel die Entscheidung, was Material und die Konstruktion anbelangt, auf den Werkstoff Holz?
Wir wollten ein Gebäude schaffen, das dem heutigen Zeitgeist in Bezug auf Nachhaltigkeit entspricht. Die Abmessungen des Gebäudes sowie die flexible Nutzung waren für einen Holzbau prädestiniert. Die Materialien im Innenraum sind roh und unbehandelt.
Was hat es mit den Glasaugen auf sich?
Die Lichtlinsen sind eigens für das Projekt entwickelt worden. Glücklicherweise hatten wir mit Glas Marte den richtigen Partner an der Seite und etwas Zeit, um Prototypen zu entwickeln. Wir haben unterschiedliche Formen und Reflektoren getestet und den Lichteinfall über mehrere Monate beobachtet. Die Wahl der Form haben wir in Abstimmung mit dem Auftraggeber getroffen.
Welchen Anforderungen muss ein Raum gerecht werden, der ebenso als studentisches Ausstellungslabor wie zur Herstellung großformatiger Kunstwerke dienen soll?
Der Raum muss flexibel sein und unterschiedlichste Nutzungen zulassen. Das Gebäude basiert auf einem Raster, entlang dessen sich Trennwände verschieben lassen. So können sich Studierende und Lehrende selbst die Räume schaffen, die sie brauchen – die Wandelemente können zu geschlossenen Räumen, aber auch als große Aufhängungsfläche frei arrangiert werden.
Kunstraum Kassel
Kassel, Deutschland
Bauherr: Universität Kassel, Abteilung V (Bau, Technik und Liegenschaften)
Planung: Innauer Matt Architekten
Projektleiter: Tobias Franz
Statik: Merz Kley Partner, Dornbirn, AT
Grundstücksfläche: 22.400 m2
Nutzfläche: 450 m2
Baufläche: 440 m2
Planungsbeginn: 02/2017
Bauzeit: 02/2020 – 02 / 2022
Baukosten: 3,6 Mio. Euro
Text: Linda Pezzei
Fotos: Nicolas Wefers
Kategorie: Projekte