Bücher für Bildung – Bibliothéque Alexis de Tocqueville

28. Juni 2017 Mehr

Bibliothèque Alexis de Tocqueville / Caen / OMA + BARCODE Architects

Im Altertum zählten Bibliotheken zu den Orten, die legendenumwittert waren. Seien es die von Alexander dem Großen gegründete berühmte Bibliothek in Alexandria oder die Klosterarchive des Mittelalters,  alte Handschriftensammlungen in den Klöstern von Athos, oder die vielen Universitätsarchive, die zur Bildung und Wissensvermittlung dienten. Heute gibt es unzählige Bibliotheken weltweit, die nach Größe, Schönheit, Extravaganz, Bestand und anderen Kriterien in diversen Listen zusammengefasst werden.
Die New York Public Library zählt mit mehr als 51 Millionen Medien nicht nur zu den größten Bibliotheken weltweit, auch zahlreiche Berühmtheiten wie Bob Dylan, Jackie Onassis, Grace Kelly und Marlene Dietrich sollen es sich hier schon beim Lesen gemütlich gemacht haben. Auch die Biblioteca Joanina in Coimbra, Portugal, ist als ein Prachtstück barocker Architektur sehenswert, oder die Stiftsbibliothek Admont in Österreich.

 

Bibliotheken sind trotz digitaler Zeiten gefragt, ständig werden neue erbaut. Die Bibliothèque Alexis de Tocqueville in Caen, Nordfrankreich, entworfen von OMA und den BARCODE Architects aus Rotterdam, ist ein gutes Beispiel für eine, den heutigen Leser- und Nutzergewohnheiten entsprechende Architektur. Sie ist als Gegenstück zum Elfenbeinturm konzipiert und befindet sich, städtebaulich gesehen, am Schnittpunkt des urbanen Zentrums von Caen mit einem Stadtentwicklungsgebiet. Die vier Achsen des x-förmigen Grundrisses weisen auf vier wichtige Landmarken der Stadt hin: Zwei verschiedene Klöster, den Hauptbahnhof und ein Neubaugebiet.

Im Vergleich zu manch anderen Bibliotheken ist der Bau in Caen eher zurückhaltend gestaltet. Er bietet ca. 12.000 m2 Nutzfläche auf drei Ebenen. Das Volumen ist vom Gegensatz zwischen Masse und Leerraum definiert, der Hauptraum der Bibliothek, im Kreuzungspunkt der Achsen gelegen, bietet einen ungestörten Ausblick in alle Richtungen. Das Konzept des „urbanen Belvederes“ verbindet vier eigenständige Sammlungen – Humanwissenschaften, Wissen und Technologie, Literatur und Kunst – in seiner Mitte zu einem natürlich belichteten Arbeits- und Lesebereich. Die Architekten wollten diesen Bereich der Mitte unbedingt freihalten, also gibt es hier keinerlei Stützen oder Konstruktionselemente, die die Sicht versperren.

 

Die Verglasungen reichen im Kreuzungsbereich vom Boden bis zur Decke und hier fallen auch die „eingedellten“ Glasflächen auf. Die im sogenannten Schwerkraftbiegeverfahren hergestellten Gläser (wie auch bei der Elbphilharmonie) erhalten durch diese sphärische Geometrie eine größere Steifigkeit gegen Windlasten. Bei den Glasscheiben mit bis zu sechs Meter Spannweite ist das ganz vernünftig. Die teils transparent, teils opak ausgebildete Isolierglasfassade umschließt alle vier Flügel des dreistöckigen Gebäudes. Die einzelnen Scheiben werden von hervorstehenden Pfostenprofilen gehalten, die als durchgehende vertikale Linien die Fassaden gliedern.

 

Verglaste Lesebereiche bieten ein Belvedere auf die urbane Umgebung.

 

Die Bibliothèque Alexis de Tocqueville hat zwei vis-à-vis gelegene Ausgänge, einer führt zum nahe gelegenen Wasser und der andere in einen neu angelegten Park. Im offen konzipierten Erdgeschoss befinden sich Ausstellungs- und Seminarräume, ein Restaurant samt Café, ein Auditorium mit 1.650 Sitzplätzen und ein Zeitungskiosk. Im ersten Obergeschoss liegt der große Lesesaal im Herzen des Volumens, erreichbar über eine mit Spiegeln verkleidete Rolltreppe. Im Saal sind Arbeits- und Ruhebereiche verteilt und gegen die Enden der Flügel hin befinden sich die notwendigen Büro-, Verwaltungs- und Arbeitsräume. Im zweiten Obergeschoss ist jeder der vier Flügel des x-förmigen Grundrisses von einer anderen Fachrichtung belegt: Naturwissenschaften, Literatur, Kunst und Geisteswissenschaften. Hier gibt es auch spezielle Bereiche für Kinder. Diejenigen der über 120.000 digitalen und auch physischen Medien, welche nicht über die Bücherregale direkt abrufbar sind, lagern im Archiv des Untergeschosses.

 

Eine mit Spiegeln verkleidete Rolltreppe führt die Besucher in das Obergeschoss.

 

Bibliothèque Alexis de Tocqueville

Caen, Frankreich

Bauherr:            Communauté urbaine Caen la mer
Planung:            OMA + Barcode Architects
Statik:                 Egis Batiments

Grundstücksfläche:    5.200 m2
Bebaute Fläche:          3.470 m2
Nutzfläche:                  11.700 m2
Planungsbeginn:        2010
Bauzeit:                        2013 – 2016
Fertigstellung:           01/2017
Baukosten:                  39,65 Mio. Euro

 

Fotos:  ©Philippe Ruault, Courtesy of OMA
© Delfino Sisto Legnani and Marco Cappelletti, Courtesy of OMA

Text: ©Peter Reischer

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Kategorie: Projekte