Das Parkhaus der Zukunft

15. Januar 2020 Mehr

The biggest cycle parking in the world

Ector Hogstaad Architecten und die Stadt Utrecht setzen ein Zeichen. Im August 2019 wurde in der viertgrößten Stadt der Niederlande das weltweit größte Fahrradparkhaus eröffnet. Rund 12.500 Fahrräder finden auf drei Etagen unterhalb des Bahnhofs Platz. Ein luftiger Baldachin verbindet die Bahnhofshalle mit einem gegenüberliegenden Einkaufszentrum und schafft einen attraktiven Ort der Begegnung.

 

 

Eine Fahrradstadt von Weltformat zu werden, lautete ein Ziel des „Action Plan“ Utrechts. Mit der Fertigstellung des weltgrößten Fahrradparkhauses im August dieses Jahres dürfte die viertgrößte Stadt der Niederlande diesem Ziel einen großen Schritt nähergekommen sein. Auf drei Ebenen findet sich direkt unter dem Bahnhof nun Platz für 12.500 Fahrräder. Eine aussagekräftige Zahl bei einer Einwohnerzahl von rund 350.000.

Wie in den gesamten Niederlanden ist das Fahrradfahren auch in Utrecht aus dem Alltag nicht wegzudenken. Nahezu jeder Einwohner besitzt mindestens ein Modell und 60% aller Fahrten in die Innenstadt werden per Rad erledigt. Utrecht setzt immer weniger auf das eigene Auto, baut hingegen das öffentliche Nahverkehrssystem aus und bietet attraktive Anreize zur Fortbewegung mit eigener Muskelkraft. Westlich der Stadt entsteht wie zum Beweis momentan der Planstadtteil Leidsche Rijn, der bis 2025 rund 80.000 Einwohner beherbergen soll. Wegweisend beim größten Städtebauprojekt der Niederlande sind nicht nur die kleinteiligen Siedlungsstrukturen, sondern allen voran ein weitverzweigtes Radwegenetz, an das alle öffentlichen Einrichtungen angebunden sind.

 

Während besagtes Radwegenetz in Utrecht bereits vorbildlich ausgebaut ist und über die Niederlande hinaus als Vorzeigeprojekt dient, mangelte es bis dato an adäquaten Stellflächen für die vielen Gefährte. Im Zuge des Umbaus des Hauptbahnhofs Utrecht Centraal wurde daher 2011 ein geladener Architektenwettbewerb für den Neubau eines Fahrradparkhauses ausgelobt. Die in Rotterdam ansässigen Ector Hogstaad Architecten konnten dabei mit ihrem in Zusammenarbeit mit Sant & Co und Royal Haskoning DHV erarbeiteten Entwurf überzeugen.

Während die Architekten die Parkflächen versteckt auf drei Ebenen unter dem Bahnhof anordneten, sollte die darüberliegende und bis dato wenig attraktive Fläche zwischen der Bahnhofshalle und dem Einkaufszentrum „Hoog Catharijne“ zu einem belebten Platz und Treffpunkt mit großer Aufenthaltsqualität aufgewertet werden. Seit den 70er Jahren war die Bahnhofshalle nur über einige Gänge des gegenüberliegenden Einkaufszentrums zugänglich. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde und wird der Bahnhof – einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte der Niederlande mit Ursprung im Jahr 1843 – mitsamt Umgebung sukzessive erneuert. Zuletzt im Jahr 2016 durch eine moderne Glas-Konstruktion des Architekturbüros Benthem Crouwel. In diesem Zuge wurde bereits im Sommer 2017 ein Teil des Fahrradparkhauses (rund 6.000 Stellplätze) eröffnet. Mit der Fertigstellung kamen nun weitere 6.500 Plätze zum (nach eigenen Angaben) größten Fahrradparkhaus der Welt hinzu.

Eine „wegweisende Architektur für eine immer bessere Zukunft“ zu bauen, lautet das Credo des Architekturbüros Ector Hogstaad. Damit lagen die Planer mit den Gestaltern der Stadt Utrecht auf einer Linie. Die Fahrradbewegung liegt dabei voll im Trend – und das nicht erst, seitdem immer mehr E-Bikes auf den Markt kommen. Der Verzicht auf das Auto und der Umstieg auf umweltschonende Fortbewegungsmittel haben nicht nur positive Auswirkungen auf die Luft und das Klima, sondern auch auf den öffentlichen Raum. Einst zubetonierte und asphaltierte Grachten werden nun renaturiert, verkehrsberuhigte Begegnungszonen geschaffen und in der Innenstadt damit Läden und Cafés belebt.

Aber auch innerstädtische Brennpunkte oder „Schandflecke“, zu denen die Gegenden um die großen Bahnhöfe erwiesenermaßen häufig zählen, können durch gezielte städteplanerische Maßnahmen entschärft und sogar ins Gegenteil verkehrt werden. Bestes Beispiel ist der neue Bahnhofsvorplatz in Utrecht. Ein leichter, lichtdurchlässiger Baldachin bietet Schutz vor Wind und Wetter und ermöglicht einerseits den überdachten Übergang vom Einkaufszentrum in die Bahnhofshalle, andererseits schafft die gelochte Decke einen geschützten Raum zum Verweilen, einen Treffpunkt für Reisende und Einheimische. Die Konstruktion scheint, trotz ihrer Ausmaße, nahezu über dem Platz zu schweben, wobei die massive Tragstruktur zwischen den Gucklöchern in den Himmel beinahe verschwindet.

 

 

Drei der Betonsäulen, die den riesigen Baldachin tragen, reichen bis auf das Parkdeck hinab. Trompetenförmig verjüngen sich die Elemente von fünf Metern Durchmesser in Bodennähe bis auf 1,2 Meter unter dem Dach. Jedes Element wurde einzeln gegossen. Dort, wo die Säulen durch kreisrunde Ausschnitte in den Deckenplatten gen Himmel streben, wirken sie fast wie versteinerte Bäume. Und zwischen all dem Beton, Stahl und chemisch behandelten Holz möchte man die Säulen berühren und zum Leben erwecken, mögen diese sich doch tatsächlich in richtige Mammutbäume verwandeln und der Umgebung etwas Urgefühl einhauchen.

Wenn auch in Wirklichkeit nicht ganz so naturnah, so verleihen die strapazierfähigen Materialien dem Fahrradparkhaus dennoch einen rohen und archaischen Charakter. Über großzügige Atrien, in denen sich auch die Treppenhäuser befinden, gelangt viel Tageslicht ins Innere. Zusammen mit mehreren Tunneln bieten sie Orientierung und schaffen direkte Verbindungen zum oberhalb liegenden Platz, dem Hauptgebäude und den Bahnsteigen. Aus den Außenwänden ausgeschnittene Fensterflächen geben den Blick auf die Bahnsteige und den Busbahnhof frei. Keine Spur von Beklemmung oder schummrigen Ecken, das Parkhaus wirkt genauso bunt und fröhlich wie seine Benutzer – das mag auch an dem Unterschied der meist stinkenden Automobile zu den hier zu findenden filigranen Flitzern liegen.

„Bequemlichkeit, Geschwindigkeit und Sicherheit“ sind die drei Schlagworte, die laut den Architekten die maßgeblichen Eckpunkte des Entwurfs bilden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, können die Fahrradfahrer auf flachen Rampen bequem bis zum nächsten freien Stellplatz radeln. Diese sind nummeriert und farbig markiert. Bildschirme bei der Einfahrt und ein elektronisches Leitsystem zeigen freie Plätze an. Ein Stellplatz ermöglicht es, ein Rad ebenerdig und eines darüber abzustellen. Die Fahrradwege sind in einen warmen Rotton getaucht, bieten genug Platz für sicheres Fahren auch für Ungeübte oder Familien und halten stets seitliche Flächen zum Absteigen parat. So bleibt der Verkehr auch bei großem Andrang in den Stoßzeiten immer im Flow.

Zusätzliche Einrichtungen wie eine Fahrradwerkstatt, ein Fahrradverleih und mehrere Etagenmanager kümmern sich um die Bedürfnisse der Benutzer. Das Gebäude ist rund um die Uhr geöffnet und wird bewacht. Das Parken ist – wie es sich für eine fortschrittlich agierende Gemeinde gehört – bis zu 24 Stunden kostenlos. Mit 1,25 € Tagesgebühr halten sich die Kosten aber auch für Dauerparker in Grenzen.

 

 

Man kann also tatsächlich von einem Parkhaus der Zukunft sprechen, denn über kurz oder lang werden wohl immer mehr Gemeinden den positiven Nutzen einer Förderung des öffentlichen Nahverkehrs erkennen (müssen). Ein unkontrollierter Straßenbau hat bereits vielerorts zur Versiegelung wertvoller Grünflächen geführt, riesige Einkaufszentren in der Peripherie tragen zum Absterben der Dorfkerne bei und die Luftverschmutzung hat vielfach ein unerträgliches Maß erreicht. Zeit umzudenken und im wahrsten Sinne des Wortes auf die Zukunft zu bauen. Die Bürger sparen im besten Falle nicht nur viel Zeit und Geld, sondern erhalten auch wertvolle Naherholungsflächen direkt vor der Haustür zurück.

Das Fahrradparkhaus in Utrecht setzt mit Sicherheit ein starkes Zeichen. Direkte positive Auswirkung sind attraktive Stadtflächen, frei von herumstehenden- und liegenden Rädern, ein neues Zentrum sowie zeitsparende Wege. Von Anfang an wurden ökologische Aspekte bei der Planung des Projektes berücksichtigt. In Zusammenarbeit mit Sant & Co entstand so beispielsweise ein Konzept für den Bahnhofsvorplatz, das elf Bäume und eine kleine Wasseranlage vorsieht. Dennoch bleibt das Material Beton als Gestaltungselement relativ markant. Aber wer weiß,  vielleicht werden die versteinerten Mammutsäulen eines Tages doch noch zu echten Bäumen und die Natur erobert sich unsere Städte wieder ein kleines Stück mehr zurück.

 

The biggest cycle parking in the world
Utrecht, Niederlande

Bauherr: Gemeinde Utrecht
Planung: Ector Hogstaad Architecten
Mitarbeiter: Joost Ector, Max Pape, Chris Arts, Stijn Rademakers, Gijs Sanders, Ralph Sijstermans, Lesley Bijholt, Romy Berntsen, Daniel Kees Bongers

Grundstücksfläche: 21.500 m2
Bebaute Fläche: 8.750 m2 (Parken)
Parkplätze: 12.500
Fertigstellung: 2019

 

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Petra Appelhof

 

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Kategorie: Projekte