Der Daumen als Identität

10. April 2015 Mehr

 

Die Welt des Marketing und der Werbung besteht daraus, das Augenmerk auf ganz bestimmte Dinge zu lenken. Heute ist – aufgrund der sogenannten OOH-Werbung (out-of-home advertisement) –  die CI (Corporate Identity) vieler Firmen in der urbanen Umgebung allgegenwärtig.

 

 

Es ist eine extrem wirkmächtige Werbe- und Kommunikationsform, da sie auf einem zwar ständigen, aber äußerst kurzfristigen Kontakt besteht. Diese stille aber doch lärmende Aussage agiert wie eine Überlagerung der gebauten, architektonischen Sprache. Ohne Scheu benutzt sie gebaute Volumina um ihre Sichtbarkeit zu steigern und die Botschaft zu verstärken. Ihr Beitrag zur urbanen Kultur reicht vom Hinzufügen zur chaotischen visuellen Kakofonie bis zur Inspiration der „Street Art“.

Dadurch, dass die Front die einzige Lichtquelle für die Innenräume bildet, musste man im Inneren einen Lichthof oder ein Atrium schaffen – also wiederum Raum „verlieren“ – und viel Kunstlicht verwenden. Auch wird so die gesamte Straßenansicht zu einer ununterbrochenen Reihe von rechteckigen Fassaden. Die Architekten wählten also für ihre Klienten die extrudierte Form eines Daumenabdruckes zur Unterscheidung von den anderen Architekturen der Umgebung. Die halbelliptische Form lässt neben dem gebauten Raum einen nach oben immer größer werdenden Bereich frei. Dieser bringt natürliches Licht in alle Arbeitsräume, gefiltert durch eine Haut aus lamellenförmigen Blenden. An den Kanten der Bodenplatten der einzelnen Geschosse sind Pflanztröge positioniert und so wird jeder Winkel der Büros mit Grün gefüllt. Die sich nach oben hin verjüngende Gebäudeform entspricht der inneren Hierarchie der Organisation, wie auch der notwendigen Nutzung von Tageslicht. Auch der Anstieg der Erwärmung in den oberen Etagen wurde dabei berücksichtigt. Je weiter oben, desto mehr sind die Büros mit Mitgliedern der Managementebene besetzt und desto höher ist auch das Dienstalter der Jeweiligen.

 

 

Die Vorderseite der Architektur ist auf eine laute, verkehrsreiche Straße gerichtet. Sie dient als Lärmschutz und gleichzeitig als Hitzeschild gegen die solare Erwärmung. Die Verglasung der Fassade ist durch einen roten, perforierten Aluminiumschild geschützt. Die gestanzten Löcher sind kreisrund und das Logo der Firma wird durch Wiedereinfügen der ausgestanzten Scheiben auf einer Drehachse visualisiert. Durch den Luftzug hinter und durch die Aluminiumscheiben drehen sie sich und erregen so die Aufmerksamkeit der Passanten. Damit ist das Logo immer präsent und wird gesehen. Es ist das Prinzip der Fahne oder des Springbrunnens und ähnlichen bewegten Objekten, die den Blick auf sich ziehen. Gleichzeitig hebt sich  die  Ansicht nicht nur eben durch die halbelliptische Form, sondern auch durch ihre Dynamik von den Nachbarhäusern ab.

 

The Digit / Indien / Anagram Architects

Bauherr: Pioneer Publicity Corperation Privali Limited, India
Planung: Architekt Vaibhav Dimri
Mitarbeiter: Vaibhav Dimri, Madhav Raman, Aditi Singh, Richa Gupta
Statik: BMSF Design Consultant Delhi
Bebaute Fläche: 140 m²
Planungsbeginn: 01/2012
Bauzeit: 2,5 Jahre
Fertigstellung: 09/2014
Baukosten: 85.000 Euro

 

Anagram Architects

sind ein Architektur- und Design-büro, das 2001 in New Delhi von Vaibhav Dimri und Madhav Raman gegründet wurde. Die Mitarbeiter sind Absolventen der School of Planning and Architecture, New Delhi. Die Aufgaben des Büros reichen von der Planung öffentlicher Infrastruktur, über Urban Design, Bühnenbilder bis zum Möbel- und Interiordesign. Sie haben unter anderem beim brick 2010 Wettbewerb einen Preis für ihr SAHRDC (South Asian Human Rights Documentation Centre)-Projekt erhalten.

 

Text: Peter Reischer / Fotos: André J. Fanthome, Ayush Prakash

 

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Kategorie: Projekte