Die Quadratur des Kreises – ÖAMTC

20. Juli 2017 Mehr

ÖAMTC-Zentrale / Wien / Pichler & Traupmann Architekten (PxT)

 

 

Die Architektur
„Ein Kreis ist die Menge aller Punkte, die von einem Punkt (Mittelpunkt) den gleichen Abstand haben.“ Diese mathematische Definition des Kreises entspricht vielleicht dem Grundgedanken des neuen ÖAMTC-Zentralgebäudes der PxT Architekten in Wien, Erdberg. Überschaubarkeit, kurze Wege, eine hohe Effizienz aller Abläufe und auch gerade die Kreisform setzen ein Zeichen für Mobilität.

Eigentlich ist jedoch nur Weniges in dieser Architektur wirklich kreisförmig. Das Gebäude ist in der Form von fünf Speichen angelegt. Die Ringfassade ist das architektonische Highlight der Architektur und bildet gleichzeitig das verbindende Element, das sich von Speiche zu Speiche erstreckt. So dient sie einerseits als Schutzwand zur Wiener Südosttangente, andererseits konnten so die Fluchtwege aus den Büroräumlichkeiten konstruktiv in die Stahlkonstruktion integriert werden. Somit wird die Tiefe des Bürogebäudes ausgenutzt und die Treppenhäuser konnten kleiner gehalten werden.

Aber die raffinierte Hüllform des architektonischen Körpers, fast eine Raumskulptur, erweckt im Auge des Betrachters den Eindruck der Kreisform. Innere Strukturen ordnen sich der äußeren Form unter. Den Schwung dieser umhüllenden, aus Glas und Stahl bestehenden, bogenförmigen Fassade nehmen die einzelnen Teile jedoch wieder mit ins Innere der Architektur. Dass hier auch orthogonal angeordnete, rechteckige Einzelräume, Säle und Lagerbereiche zu finden sind, tut dem Grundgedanken der Architektur keinen Abbruch. Die Kreisform, das Zentrale ist übermächtig und „verschluckt“ alle anderen Eindrücke: Das Zeichen (oder die Landmark) bleibt im Gedächtnis des Betrachters bestehen. Und das ist die eigentlich bemerkenswerte Leistung der Architekten: Sie haben ein Zeichen geschaffen, das einprägsam ist, Identität vermittelt und doch nicht protzt.

 

Sehr informativ und übersichtlich gliedern sich die Bereiche um das Zentrum der Architektur. Von der „gläsernen Kanzel“, dem Schalter aus können Kunden genau sehen, was mit ihren Fahrzeugen passiert.

 

Im Wesentlichen gliedert sich die 230 m lange, bis zu 35 m auskragende und bis zu 17 m hohe Ringfassade von außen nach innen in fünf Schichten. An der Außenhülle sitzt eine um 42° schräg geneigte Pfosten-Riegel-Glasunterkonstruktion, gefolgt von der ersten, äußeren Rampenebene, den Diagonalen des Hauptfachwerks und der inneren Rampenebene. In zwei Feldern ist eine zusätzliche Rampenebene und somit eine fünfte Tragebene erforderlich. In vertikaler Richtung gliedert sich die Ringfassade wie folgt: An der unteren Fassadenkontur wurde ein 300 Tonnen schwerer Hohlkasten ausgebildet, der die Breite der ersten drei Hüllenschichten abdeckt und als Untergurt der Hauptfachwerkskonstruktion fungiert. Auf diesen stützt sich vertikal, im Bereich des äußeren Hohlkastenstegs, die Glasunterkonstruktion auf. Die Glasunterkonstruktion besteht aus Formrohren und stützt sich horizontal auf den Rampen der äußeren Rampenebene ab. Nahe des inneren Hohlkasten­stegs schließen die Diagonalen des Fachwerks an und erstrecken sich bis zum Obergurt der Ringfassade, welcher als liegendes Fachwerk mit segmentförmig gebogenen Profilen ausgeführt wurde. Die Lasten aus der Fassade werden teils in das hintere, stehende Fachwerk und teils in den Hohlkasten eingeleitet, der diese dann an den Betonbau abgibt.

Betritt der Kunde nun den „Schalter“ in der ÖAMTC-Zentrale (die zweite Ebene von unten), so befindet er sich auf einer überdimensionalen, gläsernen Kanzel, inmitten der Werkstatt, in welche die Techniker  die zuvor abgestellten Fahrzeuge  über eine Rampe ein Geschoss tiefer gefahren haben. Vom Schalter öffnet sich jedoch auch ein großzügiger Luftraum nach oben, durch den eine Treppe in die Lobby führt. Auf dieser Ebene kann man das Gebäude von der U3-Station Erdberg kommend zu Fuß betreten. Weiter nach oben fädeln sich alle wichtigen Elemente des ÖAMTC-Stützpunktes an einer vertikalen Achse auf. Auf der Eingangsebene liegen der Veranstaltungssaal, Konferenzräume und ein TV-Studio. Eine Ebene höher befindet sich das so wichtige Callcenter, als zentrischer Raum ausgebildet – es ist ständig mit der Außenwelt online verbunden. Alle diese Bereiche sind rund um ein zweigeschossiges Foyer herum angeordnet. Dieses ist aber zugleich auch die erste Ebene des großen Büroatriums, von dem aus die Weg- und Sichtbeziehungen nach oben führen, bis zum Helikopterlandeplatz am Dach. Das großzügige, von runden Galerien gefasste Atrium, bietet aufregende Perspektiven auf allen Ebenen. Auch die Einsatzeinheit WEGA, eine Sondereinheit der österreichischen Polizei in der Bundeshauptstadt Wien hat dieses sechsgeschossige Atrium bereits für spektakuläre Abseilübungen benutzt. Die gesamte Architektur ist eben in vielerlei Hinsicht interessant.

 

Die neue ÖAMTC-Zentrale in Wien stellt einen eindeutigen Kontrast zu der umliegenden Bebauung aus funktionalen Indus­trie- und Gewerbebauten dar. Trotz der (ebenfalls) größtmöglichen Funktionalität erzielten die PxT Architekten durch Entwurf und Formgebung eine Landmark, die ein eindeutiges Signal setzt.

 
Der Flugplatz
Mitten in der Stadt, in einem Gebiet mit hauptsächlich gewerblichen und industriellen Nutzungen, direkt neben der Tangente (der meist befahrenen Straße Österreichs), war die Genehmigung für diesen vollwertigen Flugplatz ein Spießrutenlauf durch die Behörden. Für die Lande- und Sicherheitszone des Heliports, der sich am Dach des Gebäudes befindet, mussten spezielle Absturzlasten berücksichtigt werden. Der auskragende Teil des Heliports umfasst hauptsächlich die Sicherheitszone und das Fangnetz. Im Bereich der runden und ebenfalls auskragenden Landeplattform wurden eine Betonplatte sowie Schwerlastgitterroste eingesetzt, von denen das Fangnetz nach außen gespannt wird. In unmittelbarer Nähe zum Heliport befinden sich der Hangar, der Crewbereich und die Lüftungszentrale. Der Hangar besteht aus einer klassischen verzinkten Stahlkonstruktion, die auf Einbauteilen im Beton verankert ist.

Neben den baulichen gab es auch betriebliche Bedingungen, welche von der Gebäudetechnik berücksichtigt werden mussten. Man muss sich nur vorstellen, dass durch den sogenannten „Downwash“ – er entsteht beim Landen des Helikopters durch die nach unten gepresste Luft – bei Regen das Wasser in großen Mengen in die Umgebung geschleudert wird. Personen des Rettungspersonals dürfen am Weg zum Helikopter nicht durch dieses sogenannte „stehende Gewässer“ waten müssen. Das heißt, jedes durch Regen oder anderen Niederschlag auftretende Wasser, auf der insgesamt 1.630 m² großen Fläche, muss schnellstmöglich weggeleitet werden können. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wurden für die Entwässerung spezielle Systeme eingesetzt. Diese sollen einerseits den Menschen vor dem Wasser schützen, andererseits auch das Wasser vor dem Menschen. Denn es geht nicht darum, Wasser nur in die Kanalisation einzuleiten, sondern es als wertvolle Ressource zu nutzen. Also muss es nach dem Auf- oder Abfangen auf der Betonfläche gereinigt werden. Allfällige Benzin- oder Ölanteile werden in Mineralölabscheidern herausgefiltert, das „saubere“ Wasser kann dann in Versickerungssystemen im Erdreich dem natürlichen Kreislauf wieder zugeführt oder in die Kanalisation eingeleitet werden.
Große Flächen wie Landeplätze werden üblicherweise nicht mit Punktentwässerungen (da kämen zu viele und aufwendige Gefälle zusammen), sondern mit einer Linienentwässerung und Rinnensystemen bewältigt. Sie bieten geringere Bauhöhen und das war am Dach dieses Gebäudes aus konstruktiven Gründen eine Notwendigkeit.

Speziell ist auch das Material, aus dem diese Rinnen hergestellt werden. Es ist ein sogenannter Polymerbeton. Normaler Beton wird aus Zement, dem „Zuschlagsstoff“ und Wasser hergestellt. Polymerbeton besteht auch aus einer Gesteinskörnung, wird aber mit einem Polymerharz versetzt. Er bindet in wenigen Minuten ab und weist bei gleicher Dichte wesentlich höhere Festigkeitswerte auf – Bauteile wie die Rinnen können somit schlanker und leichter konstruiert werden.
Beim Heliport wurden insgesamt 290 Laufmeter Flachrinnen verbaut. Die Belastbarkeit der Rinnen ist D400, das heißt 400 Kilonewton (40 Tonnen) Druckbelastung hält das Material aus. (Laut Norm gilt diese Belastungsklasse auch für Fahrbahnen von Straßen sowie Seitenstreifen von Straßen und Parkflächen, die für alle Arten und Gewichtsklassen von Straßenfahrzeugen geeignet sind.) Und natürlich ist auch die 104 m2 große Fassadenfläche am Helikopterflugplatz für eine sichere und schnelle Ableitung großer Regenmengen sowie mit einer Rückstaureserve bei schlagartig anfallendem Regen gesichert mit Entwässerungsrinnen geschützt.

 

Am Flugplatz für den ÖAMTC-Helikopter werden angesichts der Größe des Feldes die Her­ausforderungen an die Entwässerungssysteme klar ersichtlich.

 

 

 

Wien, Österreich

Bauherr:            ÖAMTC
Planung:            Pichler & Traupmann Architekten ZT GmbH
Mitarbeiter:      Team Pichler & Traupmann Architekten
Vorstatik:          FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH
Statik:                Unger Stahlbau Ges.m.b.H., Ebner ZT GmbH
Stahlbau:           Unger Stahlbau Ges.m.b.H.
Linienentwässerung und Rinnensysteme:     ACO GmbH

Grundstücksfläche:     14.913 m2
Bebaute Fläche:           9.325 m2
Nutzfläche:                   20.027 m2
Planungsbeginn:         2013
Bauzeit:                          01/2015 bis 12/2016
Fertigstellung:              2016

Fotos: ©Toni Rappersberger

Text: ©Peter Reischer

 

 

 

 

 

 

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Kategorie: Projekte