Die urbane Insel

16. März 2022 Mehr

Das urbane Entwicklungsgebiet Étoile stellt das Bindeglied zwischen dem Straßburger Zentrum und dem südlich gelegenen Bezirk Neudorf dar. Mit Nolistra gestaltete das Büro LAN Architecture den jüngsten und finalen Zuwachs des Areals. Dafür entwickelte es nicht nur einen, sondern acht Baukörper mit bunt gemischter Nutzung, die mit ihrem pastellfarbenen Farbcode wie eine eigenständige Insel wirken.

 

Nolistra von LAN Architecture

 

Eingefasst vom Saint-Urbain Friedhof, dem Stadtpark Étoile sowie der Schnellstraße E52 fügt sich das Projekt in den städtebaulichen Kontext ein. Dem Namen nach soll Nolistra, der „Nouveau Lieu de Strasbourg“, laut den Architekten zum neuen „Place to be“ in der elsässischen Stadt werden. Dafür entwickelten sie ein achtteiliges Ensemble mit Mischnutzung. Die einzelnen Baukörper sind rund um einen begrünten Innenhof, der auch als Gemeinschaftsgarten genutzt wird, angeordnet und bieten Platz für Wohnungen, Gewerbeflächen, Büros und ein Hotel. Sie ergeben einen in sich geschlossenen, fast intimen Stadtblock, der zum autonomen Ökosystem inmitten der Stadt wird. Gleichzeitig schließt man die Nachbarschaft aber nicht aus – ganz im Gegenteil. Durch die Positionierung der Volumen entstehen gezielte Blickachsen und Verbindungen zur Umgebung.

 

 

Das Design der acht Blöcke ist einheitlich und verleiht dem Projekt seinen Wiedererkennungswert. Sie unterscheiden sich in Höhe und Form, haben aber die gleichen, streng gerasterten Lochfassaden. Seine Identität erhält jeder von ihnen durch einen eigenen Farbton. Dieses Konzept erinnert an eine moderne Interpretation von Haussmann, der einst Einheit in der Vielfalt und vice versa suchte. So erscheint Nolistra wie aus einem Guss und ist doch abwechslungsreich. Im Entwurfsprozess wurde der gesamte Lebenszyklus der Gebäude berücksichtigt und die Konstruktion dementsprechend angepasst. Das Ergebnis sind tragende Außenwände, kompakte Erschließungskerne und offene Grundrisse, die Flexibilität und zukünftige Nutzungsänderungen ermöglichen.

 

Nolistra von LAN Architecture

 

Einen besonderen Fokus legten die Planer außerdem auf die Fassaden. Sie sollten die einheitlichen Ansichten nicht nur abschließen, sondern vielmehr zur verbindenden Hülle werden, hinter der alle Bewohner gleich sind. Nach dem Vorbild der historischen Bauten Straßburgs setzte man deshalb auf Repetition. Dafür kam ein modulares Raster zum Einsatz. Dieses fasst jeweils vier Fenster zu einer Einheit zusammen und wirkt wie ein großes Sprossenelement. Die Öffnungen dienen dazu, die verschiedenen Maßstäbe in Einklang zu bringen: den gebauten und den des Menschen.

 

 

Während die Fensteröffnungen auf größtmögliche Einheitlichkeit abzielen, ist bei der Farbgebung der Betonbauten genau das Gegenteil der Fall. Hier holte sich das Pariser Büro Inspiration aus der Nachbarschaft und von den traditionellen Bauten des Elsass. Das Ergebnis ist eine harmonische Palette an Pastelltönen: Rötliches Braun stellt einen Bezug zum historischen Bestand Straßburgs her. Olivgelb findet sich in den Fachwerkhäusern des Gerberviertels Little France und Himmelblau auf dem angrenzenden Friedhofsgelände wieder. Zartes Rosa verweist auf die Ansichten, der für den Stadtteil Neudorf typischen Gebäude. Der höchste Baukörper ist in dunklem Blau gestaltet und fällt bereits von Weitem auf. Drei Blöcke in Grünnuancen und Grau komplettieren die bunte Komposition.

 

Nolistra von LAN Architecture

 

Das gesamte Projekt folgt einem nachhaltigen Ansatz: Mit einer sinnvollen Dichte demonstriert es, wie zeitgemäße, ressourcenschonende Architektur in der Stadt funktioniert. Man nutzt eine gemeinsame Infrastruktur und fühlt sich zugehörig, genießt aber trotzdem genügend Anonymität. Die Grundrisse der einzelnen Blöcke sind hinsichtlich Effizienz und Komfort optimiert. Sie sorgen neben einer guten Energiebilanz in erster Linie dafür, dass sich die Nutzer wohlfühlen. Insbesondere der zweite Aspekt gewann in Anbetracht der Pandemie an Wichtigkeit. Neben großen Fenstern, durch die jede Menge Tageslicht ins Innere gelangt, verfügt jede Wohnung über eine Loggia oder einen Wintergarten. Diese erweitern in der kalten Jahreszeit den Wohnraum und werden im Sommer zur geschützten Freifläche. Darüber hinaus verbinden sie Innen- und Außenraum und ermöglichen weite Blicke über die französische Stadt.

 

 

Das Nutzungsprogramm von Nolistra gestalteten die Architekten abwechslungsreich. Mit unterschiedlichsten Funktionen ist das Ensemble wie eine kleine Stadt innerhalb der Stadt organisiert. Sechs der Komplexe, darunter auch der 18-stöckige Turm, sind ganz dem Wohnen gewidmet. In ihnen befinden sich insgesamt 178 Wohneinheiten verschiedener Größe. Neben Apartments zum Kauf und zur Miete gibt es auch Sozialwohnungen. Die anderen beiden Blöcke beinhalten ein Hotel sowie Büros. In den unteren Bereichen sind jeweils Shops und Gastronomie untergebracht. Den Abschluss bilden unterirdische Parkplätze. Die Geschäftsflächen mit Kulinarik und Grundversorgung verfügen über bis zu fünf Meter Raumhöhe und ermöglichen einen fließenden Übergang zum angrenzenden Stadtraum sowie dem zentralen Garten hin.

Die kräftigen Farben ziehen sich bis ins Innere der Häuser weiter. Sämtliche Gemeinschaftsbereiche – wie die zweigeschossig ausgeführten Foyers, die Flure und Loggien – folgen dem Design der Fassaden und verstärken damit das Gemeinschaftsgefühl in den einzelnen Blöcken. Die Innenräume sind dagegen schlicht und funktional gestaltet und warten darauf, von den Bewohnern mit Leben gefüllt zu werden.

 

 

Nolistra bietet als urbane Insel alles, was es zum Leben braucht. Bunt sind hier nicht nur die einzelnen Baukörper, sondern auch die Nutzung. Auf subtile Art und Weise gelingt es LAN Architecture traditionelle Komponenten der Stadt aufzugreifen und diese in ein modernes und nachhaltiges Projekt zu übersetzen. Die pastellfarbenen Fassaden sorgen für gute Laune und ermöglichen es dem Planerteam, trotz Wiederholung nicht in Monotonie zu verfallen. Auch wenn wir alle unsere Privatsphäre schätzen – ein Gefühl von Gemeinschaft und ein wenig symbolisches Zusammenrücken tut in Zeiten wie diesen wohl jedem gut.

 

 

Nolistra
Straßburg, Frankreich

Bauherr: ADIM EST
Bauunternehmen: URBAN DUMEZ
Planung: LAN Architecture
Partnerarchitekten: TOA Architectes
Landschaftsarchitektur: Archimed
Statik: CTE

Grundstücksfläche: 45.412 m2
Bebaute Fläche: 24.407 m2
Nutzfläche: 20.180 m2
Planungsbeginn: 2015
Fertigstellung: 2021
Baukosten: 37 Mio. € (exkl. MwSt.)

www.lan-paris.com

 

Kategorie: Projekte