Ein fliegender Betonteppich

2. Februar 2018 Mehr

Cordoba cultural center / Argentinien / Architects Ivan Castaneda, Alejandro Cohen,
Cristian Nanzer, Inés Saal, Juan Salassa and Santiago Tissot

Ein 200-jähriges Bestehen ist immer ein Grund zu feiern. Erst recht, wenn es sich um eine Republik handelt. Deshalb zelebrierte die Regierung der Provinz Cordoba in Argentinien dieses Jubiläum, indem sie sich ein Kulturzentrum gönnte. Die Architekten Iván Castañeda, Alejandro Cohen, Cristián Nanzer, Inés Saal, Juan Salassa und Santiago Tissot, die es entwarfen und erbauten, bezogen ganz offenkundig gewisse Inspirationen von den brasilianischen Bauten Oscar Niemeyers, der ja den Stahlbeton als formbares und gestaltbares Material in sein Repertoire genommen hatte.
Das 15.000 m2 große Kulturzentrum ist als gebaute Struktur gleichzeitig Teil der Stadt, der Natur, der Kultur und der soziokulturellen Prägungen und Vorlieben der Bewohner. Aber nur formal, denn materialmäßig bietet es einen nicht zu überbietenden Kontrast zur natürlichen Landschaft. Sein 63 x 67 Meter großes, gewelltes Dach ist nicht etwa begrünt, sondern mit 2,5 Zentimeter starken Granitplatten belegt. Der Wunschtraum aller Skater geht hier in Erfüllung und damit auch ein Bedürfnis der Bewohner, sich im Freien aufzuhalten, zu flanieren und Kommunikation zu üben. Besonders in den Abend- und Nachtstunden ist das Areal stark bevölkert.

 

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Ein Kulturzentrum mit Landmarkcharakter errichtet eine Gruppe argentinischer Architekten in Cordoba, Argentinien. Dabei steht nicht so sehr die Architektur als Tektonik im Vordergrund, sondern der Versuch, Gebautes und Landschaft in Einklang zu setzen und der Bevölkerung Raum zum Leben zu bieten.

 

Die Architektur liegt im Sarmientopark im Zentrum der 1,3-Millionen-Einwohner-Stadt zwischen zwei Bauten, dem MEC- Emilio Caraffa Contemporary Art Museum (Architects GGMPU + Mzarch) und dem Province Natural Science Museum. Das architektonische Konzept beruht auf dem Versuch, aus einem Gebäude für die Feierlichkeiten und Darstellung der Geschichte der Provinz Cordoba gleichzeitig eine Landschaft zu kreieren. Ohne die wesentliche Essenz des Projektes zu verwässern, sollten mehrere Funktionen darin untergebracht werden: Der „200-Jahre-Leuchtturm“, eine gedrehte und spiralförmige 90 Meter hohe Betonsäule als Pharos, die durch einen Mast noch auf 102 Meter verlängert wird, kann schon aus mehreren Kilometer Entfernung wahrgenommen werden. Sie markiert den Ort des Kulturzentrums. Zu ihren Füßen befinden sich ein Ausstellungsraum, ein Auditorium und das historische Archiv der Provinz in einem Quadrat zusammen mit den Technik- und Nebenräumen. Dieses Quadrat ersetzt nun, wie ein im Flug versteinerter Betonteppich, ein Stück Landschaft. In der Betonfläche stellt eine große ovale Öffnung die Verbindung zu einem darunter liegenden, grasbewachsenen Hof her. So gesehen sind der Leuchtturm und das gewellte Dach die einzigen tektonisch sichtbaren Teile der Architektur.

 

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Ein Kulturzentrum, das eigentlich kein Gebäude mehr ist: ein Teil der Stadt, ein Teil der Landschaft in der Stadt – eben ein Beispiel, wie anders Architektur auch sein kann

 

Das Gebäude, sofern man es als solches bezeichnen kann, setzt sich aus einem 9 x 9 Meter (oder einem Vielfachen dieser Maße) Raster zusammen. So wird die nötige Flexibilität für zwei Funktionen gewährleistet: die des historischen Archivs und die des Kulturzentrums. Komplettiert und nach außen abgeschlossen wird die Architektur durch Reihen V-förmiger Stützenpaare, die Erdbebensicherheit und die Lastabtragung bieten. Auf der Seite des Pharos trennt eine Stahlbetonwand das halb eingegrabene Auditorium vom Ausstellungsbereich ab. Das Archiv befindet sich in einem Betonsarg, seine Maße sind 9 x 41 x 6,45 Meter und es schwebt 2,6 Meter über der Eingangsebene unter dem Betonteppich. Dieses fensterlose Volumen ist auch von außen als Sonder­element in den ansonsten voll verglasten Fassaden des Kulturzentrums ablesbar. Sein Dach wird ebenfalls von der gewellten Fläche gebildet, aber ohne es zu berühren. Die Isolierung des Sargkörpers ist extrem, um Dauerhaftigkeit und Bestand für die archivierten Gegenstände zu sichern.

Das Projekt als Ganzes stellt ein topografisches und planerisches Instrument dar, welches rege soziale Aktivitäten im öffentlichen Bereich auslöst. In seinem Inneren ruht wie in einem Speicher das institutionelle Programm des Archivs, welches die Provinz verlangte. Im Außenbereich (wie natürlich auch im Inneren) bietet es genügend Möglichkeit für spontane Versammlungen, Festivals und Kommunikation. Von der Positionierung her gibt es keinerlei Wettbewerb zwischen den beiden flankierenden Museen und der neuen Konstruktion, sondern ein gemeinsames System von urbanen Plätzen entsteht. Der vorgelagerte Sarmientopark dient als eine Art Vorzimmer für die Landmark des „Bicentennial Pharos“. Eine Stiegenanlage und weitläufige, frei wählbare fußläufige Verbindungen gestalten und definieren auch zusätzlich den Außenraum. Dieses Beispiel einer städtischen Gestaltung zeigt, dass Architektur nicht immer Funktionen vorgeben muss, sondern auch dem Spiel der Menschen, die sie benutzen, folgen kann.

 

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Das 15.000 m2 große Kulturzentrum präsentiert sich selbstbewusst als Teil der Stadt und seiner umgebenden Bebauung sowie als multifunktionale Antwort auf die Bedürfnisse seiner Bewohner.

 

Plan Gebäude

 

Cordoba cultural center
Cordoba, Argentinien

Bauherr: Córdoba Province Government
Planung: Architects Ivan Castaneda, Alejandro Cohen, Cristian Nanzer, Inés Saal, Juan Salassa and Santiago Tissot
Statik: Engineer Carlos Larsson

Bebaute Fläche: 5.000 m2
Planungsbeginn: 2010
Bauzeit: 4 Jahre
Baukosten: 8,5 Mio. Euro

 

 

Córdoba ist mit 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Argentiniens. Sie liegt etwas nördlich des geografischen Zentrums des Landes, ist Hauptstadt der Provinz Córdoba, größte Stadt der Región Centro sowie industrielles und kulturelles Zentrum Zentralargentiniens mit einer der bedeutendsten Universitäten des Landes, der 1613 gegründeten Universidad Nacional de Córdoba. Die Stadt befindet sich im Übergangsgebiet zwischen den Gebirgszügen der Sierras de Córdoba im Westen und einer geografisch zwischen Pampa und Chaco aufgeteilten Ebene im Osten, die eines der produktivsten Landwirtschaftsgebiete Argentiniens ist.

Fotos: ©Gonzalo Viramonte

Text:©Peter Reischer

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Kategorie: Projekte