Ein Raumwunder
Für einen Fotografen hat die Architektin Helga Blocksdorf ein ehemaliges Stallgebäude in der Uckermark in ein großzügiges Studio verwandelt, dessen Raum zwischen Introversion und Extroversion mäandert, auf puristische Materialien und Formen setzt und einzig ein Element – die skulpturartig ausformulierte Treppe in das Dachgeschoss – in den Mittelpunkt des Entwurfes rückt.
Rieckshof. Ein Name, ein Ort, ein historisches Nebengebäude. Drumherum nur die für Norddeutschland typische weite Naturlandschaft, Wiesen und Wälder. Der in Berlin ansässigen Architektin Helga Blocksdorf ging es bei diesem Bestandsprojekt daher – all der offensichtlichen Romantik der malerischen Alleinlage zum Trotz – hauptsächlich darum, das Potenzial des Ortes an sich herauszuarbeiten. Für einen Fotografen verwandelte sie gemeinsam mit ihrem Team eine alte Scheune nordöstlich von Templin in „Das Studio Uckermark“.
Der Auftragsvergabe war bereits 2018 ein kleiner Realisierungspitch vorausgegangen, den die Architektin auch dank ihrer feinsinnigen Herangehensweise für sich entscheiden konnte. Ihre Antwort auf das extrem knappe Baubudget: das Ausmaß an Eingriffen möglichst gering halten, ohne dabei an räumlicher Qualität und nuancierten Details zu sparen. Glücklicherweise war das Dach bereits um das Jahr 2012 saniert und mit einer kunstvoll ausformulierten, raumbildenden Nagelbinderstruktur versehen worden. Blocksdorf nutzte die Zonierung des Bereichs für die Anordnung der Umkleiden und Stauräume.
Das Fotostudio dient dem Bauherren als temporärer Arbeitsort fernab der Großstadthektik. Entsprechend konzentriert sich der Raum zunächst ganz nach innen, der Fokus liegt auf der Produktion des gewünschten Bildmaterials vor der „weißen Wand“ – der ehemalige Stall dient dabei nur als abstrakte Hülle. Am Boden des Aufnahmebereichs ein neu gegossener, rauer Heizestrich, unter dem Dach die engmaschige Nagelbinderstruktur aus hellem Holz. Massive, lineare Bauelemente wie ein Ringbalken und ein mittig platzierter Unterzug mit Stützvorlagen aus Stahlbeton teilen das Volumen des Bestandsgebäudes in der Wahrnehmung in einen introvertierten Arbeitsbereich auf der linken und einen extrovertierten Teil mit Besprechungstisch, Kochmöglichkeiten, Dusche und WC auf der rechten Seite.
Indem sie die Einbauten in einer Art Wandmöbel gebündelt und kompakt an die kurze Stirnseite rückte, konnte die Architektin die Räumlichkeiten bewusst offen und luftig halten. Und ein besonderes konstruktives Element bewusst in Szene setzen: die Treppe, die sich aufgrund der baulichen Gegebenheiten des Dachgebälks und der erforderlichen Höhe unter dem First relativ zentral im Raum befindet und mittig im Dachgeschoss ankommt. Sie soll als eine Art Scharnier für den Raum wirken, Sinnbild sein für die Überlagerung von Entwurf und Konstruktion. Ziel Blocksdorfs war es, eine ganzheitliche Wahrnehmung des Raumes durch die Nutzer zu erzielen, auszuloten, wo die Grenzen des gerade noch Machbaren liegen, und dann den Versuch wagen.
Im Falle Rieckshofs haben sich die Experimentierfreude und der Gratwandel der Architektin offenbar gelohnt. Ein Großteil des Budgets floss in die Ausführung von Boden, Fenstern und Öffnungen sowie die Belichtung des oberen Geschosses. In Kombination erzeugen diese nicht zugleich greifbaren Maßnahmen die besondere Atmosphäre des von bis zu 60 Zentimeter dicken Felssteinmauern umrahmten Ortes. Kleine, bereits vorhandene „Gucklöcher“ prägen die Fassade – neu ist nur eine großzügige Öffnung, die in der Achse des Stalltores positioniert einen kompletten Durchblick durch den Raum nach außen ermöglicht. Eine aus bauphysikalischer Sicht betrachtete Schlüsselstelle, die just an dieser Stelle mit der konstruktiven Herausforderung des Projekts ein Nadelöhr bildet und am Scheitelpunkt von Treppe, Fenster und Dachgebälk eine unfassbar dichte architektonische wie gestalterische Ebene definiert.
Den Modellen, Fotografen und dem gesamten Produktionsteam eröffnet sich – ähnlich dem kurzen Auftauchen aus dem tiefen Ozean an die Meeresoberfläche – an dieser Stelle für einen Moment ein ungezähmter Ausblick in die hügelige Weite der Uckermark.
Rieckshof – Umbau einer Scheune
Rieckshof, Deutschland
Bauherr: Karel Kühne Photograph
Planung: Helga Blocksdorf / Architektur
Mitarbeiter: Samuel Barckhausen, Arne Maxim Koll, Sofia Melliou
Bauleitung: Alexander Zimmermann
Statik: Bauplanung und Statikbüro Christian Hergt
Grundstücksfläche: 4.354 m2
BGF: 194 m2
Nutzfläche: 98.7 m2
Planungsbeginn: 11 / 2018
Bauzeit: 19 Monate
Fertigstellung: 06 / 2021
Baukosten: 150.000 EUR
Text: Linda Pezzei
Fotos: Ruben Beilby
Kategorie: Projekte