Ein Schmetterling zum ‚Super Living‘

19. August 2015 Mehr

 

The W.I.N.D. House / Holland / UNStudio

Ein voll automatisiertes Smart Home in Holland von UNStudio spielt in der Oberliga für sogenanntes ‚Super Living‘. Wenn Geld scheinbar keine Rolle spielt, lassen sich – mit gewaltigem technischen Aufwand – fast utopische Architekturen realisieren.

 

Das Leben in der Zukunft, wie man es vor einiger Zeit nur aus Filmen und SciFi-Romanen kannte, kommt immer näher. Und zwar nicht nur ganz banal zeitlich, sondern vor allem technisch. Gebäudeautomation und die sogenannte ‚Connectivity‘ ermöglichen heute bereits ‚Smart Homes‘, bei denen über Handy, Tablets und Smartphones alles, auch aus der Ferne, gesteuert werden kann und somit ein wesentlicher Gewinn an Komfort, Bequemlichkeit, Energieeffizienz und Sicherheit für den Nutzer entsteht. Das zeitgemäße ‚Smart Home‘ ermöglicht ja nicht nur die Kontrolle und Bedienung diverser Anwendungen und Geräte, es bedeutet auch nicht nur die Installation und Einbindung von bestimmten Materialien, um möglicherweise in Richtung Nullenergiehaus zu gehen, es entspricht vor allem dem Wunsch unserer Gesellschaft nach einem ‚bequemen‘ Lebensstil. Wie auch immer man der Vernetzung, Digitalisierung und dieser „Technisierungs-Mentalität“ gegenübersteht, es ist eine Tatsache, dass sich die Architektur damit beschäftigen muss und dies auch tut.

 


Die Herausforderung für jeden Architekten ist es, ein Design, eine Architektur zu entwickeln, die genau auf diese geänderten und sich ständig ändernden Anforderungen der Bewohner nach Flexibilität in den Grundrissen, nach Nachhaltigkeit und Interaktion mit dem Eigenheim reagiert. Das W.I.N.D. House vom UNStudio unter Architekt Ben van Berkel beinhaltet sowohl Nachhaltigkeit in den Lösungen, wie auch eine Gebäudeautomation für das ‚Super Living‘. Gleichzeitig ermöglicht es Raumflexibilität und die Anpassung an die umgebende Landschaft.

Das Haus befindet sich im Norden Hollands, am Rand einer kleinen Ortschaft und in Meeresnähe. Im Hinterland Wald und an der Vorderseite die weite, offene Polderlandschaft. Das Design des Hauses reagiert nun auf beides – die Lage in der Natur und die Jahreszeiten, es reguliert und maximiert die Auswirkungen und Effekte beider Einflüsse und die innere Organisation der Architektur reagiert auf die Umgebung.

Vom Grundriss her erinnert das Haus an einen Schmetterling oder an eine Blume: Vier, in der Flächenausdehnung relativ gleich große ‚Flügel‘ sind durch Einschnitte voneinander getrennt. Zwei Flügel mit den Schlafbereichen schauen nach Norden, zwei mit dem Wohn- und Essbereich nach Süden. Die privateren Schlaf- und Arbeitsbereiche richten sich nach der Rückseite des Hauses, wo der nahe Wald einen Sichtschutz bietet, während der Aufenthaltsbereich sich gegen Süden, mit expressiven Panoramablicken in die Polderlandschaft richtet. Beide, Vorder- und Rückseite, sind voll verglast und als solche bringen sie zwei völlig unterschiedliche Einflüsse der umgebenden Natur ins Innere. Dachvorsprünge und seitliche Wände, die die Grundrissform in die Natur ausdehnen, rahmen gewissermaßen die Ausblicke in die Landschaft, gleichzeitig entstehen so geschützte Außenterrassen für den Aufenthalt im Freien. Die seitlichen Mauern sind fensterlos – so entsteht ein zusätzlicher Sichtschutz zu den Nachbarn hin. Auch das Einigeln und das Betonen der absoluten Privatheit scheint eine Entwicklung unserer Gesellschaft zu sein.

Im ‚Herz‘ des Hauses, das die vier Schmetterlingsflügel verbindet, ergeben sich Hunderte Blicklinien und Sichtverbindungen zwischen den einzelnen Teilen. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Anordnung der Geschosse im Splitlevelmodus. So entstehen weitere Querverbindungen und Kontakte zwischen allen Bereichen, etwas, das der Kommunikation innerhalb der Familie sicher gut tut. Die variablen Grundrisse erlauben es den Bewohnern, sich – trotz ihrer sich mit den Jahren ändernden Bedürfnisse – den jeweils angepassten Lebensraum zu schaffen. Mit der gesamten Diversität aller Funktionen: Wohnen, Schlafen, Rückzug, Freizeit und Arbeit.

 

 

Als Gegenpart zu den Einbuchtungen in der Mitte der beiden Hauptflügel werden diese beiden durch zwei Einschnürungen, die über die gesamte Gebäudehöhe reichen, voneinander getrennt. In der Östlichen befindet sich der Hauptzugang. Ein offener Stiegenlauf in der Mitte bildet die vertikale Erschließung. Er verbindet den Vorder- mit dem Rückteil mit dem Resultat, dass auf jedem Halbstock neue Sichtachsen mit großartigen Ausblicken in das Innere des Hauses und in die Natur erlebbar werden.

Auf der Eingangsebene liegen die Technikräume und der Carport. Die Stiege führt von hier zu den Kinderzimmern und zum Musikraum auf der ersten Ebene, beide im hinteren Flügel. Von hier geht es weiter zur erhöhten ersten Ebene des Hauses an der Vorder/Gartenseite, hier liegen der Wohnbereich und die Küche mit Essplatz. Im Wohnbereich befindet sich an der Außen/Rückwand ein eingebauter Abstellraum, daneben ein offener Kamin und eine Sitzbank – alle sind in einem einzigen Möbel integriert. Dieses Element bildet einen geschlossenen Hintergrund als Kontrast zur verglasten Vorderseite, die in die Landschaft gerichtet ist. Ein hölzernes Podium als Display, das die verglaste Einbuchtung der Trennung zwischen den beiden Wohnbereichen umkurvt, verbindet unauffällig die Zonen.

Vom Wohnbereich führt die Stiege in die zweite Ebene zum Schlafzimmer der Eltern mit Hamam und Gästebereich, bevor sie weiter zu einer großzügigen Terrasse mit Ausblick leitet.
Fast alle Böden sind mit einem PU Lack beschichtet, der sanfte Farbton verstärkt das ‚Fließen‘ der Architektur von einem Raum zum anderen. Im Schlafbereich ist der Ton eine Nuance dunkler, um die Privatheit dieser Räume zu betonen. Nur das Musikzimmer ist aus Gründen der Akustik mit einem Boden aus Eichenbrettern ausgestattet. Auch die Naturtöne des Lehmputzes an den Wänden und der Decke verstärken die Verbindung mit der umgebenden Landschaft.

Fassaden und Dach sind mit Holzschindeln verkleidet, im Eingangsbereich springen sie leicht vor und zurück und bilden so ein Schattenspiel. Hinter diesen Auswölbungen sind zwei zusätzliche Fenster für Küche und Bad versteckt.
Ein umfassendes Gebäudeautomationssystem ermöglicht eine integrierte Kontrolle des elektrischen Systems, der Solarpaneele sowie aller mechanischen Installationen. Die Masterkontrolle wird über einen Touchscreen gewährleistet, der im Wohnbereich angebracht ist. Mit dezentralen Einheiten lassen sich einzelne Räume steuern. Weitere Eingriffsmöglichkeiten ergeben sich mittels Fernbedienung über eine LAN-Verbindung. Die Sonnenenergie wird durch Solarpaneele am hinteren Teil des Hausdaches gewonnen. Zusätzlich zum integrierten Nachhaltigkeitskonzept des Hauses existiert eine zentrale Luft/Wasser-Wärmepumpe zum Heizen und Kühlen sowie eine mechanische Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die Wärmepumpe sorgt für die zum Heizen und Kühlen notwendige Energie im Winter und im Sommer. Die Verteilung erfolgt über eine Fußbodenheizung mit separaten Steuerkreisen in jedem einzelnen Raum. Die Kondensationsanlage für die Wärmepumpe ist außerhalb des Gebäudes im Garten und das Gerät selbst in den Technikräumen im Keller untergebracht. Der sommerliche Hitzeeintrag wird durch die Verwendung von getönten Gläsern an den vollverglasten Fassaden der Vorder- und Rückseite reduziert. Die Glasbeschichtung lässt natürliches Licht ins Innere und schützt gleichzeitig die Intimsphäre vor unerwünschten Einblicken während des Tages. Wände und Decken des Hauses sind mit einem natürlichen Lehmputz versehen, die Hauptwände bestehen auch aus Lehmziegeln, um eine gesunde Innenraumatmosphäre durch den natürlichen Atmungseffekt des Ziegels zu erreichen.

 

 

Fotos: Fedde de Weert, Inga Powilleit

 

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Kategorie: Projekte