Eine kühne Antwort – Jiaxing Island
Jiaxing Island / Jiaxing / MORE Architecture & AIM Architecture
In China wachsen urbane Gebiete, Städte und Siedlungen in weniger als einer Dekade von S auf XXL. Dieser rasante Aufschwung bringt oft den Verlust des Maßstabes und der Menschlichkeit mit sich. Natürlich herrschen im „Land der Mitte“ andere Rahmenbedingungen, nicht vergleichbar mit dem Westen. Man soll nicht den Fehler machen, Zivilisationsprozesse in anderen Kulturen mit den eigenen Maßstäben und Gesetzen zu beurteilen. Architekturbüros, die sich in China betätigen, versuchen oft, ein europäisches, oder westliches Entwurfskonzept auf ihre chinesischen Projekte zu übertragen. Diese Projekte tragen dann aber maximal zu einer Globalisierung der Architektur weltweit bei, sicher nicht zu einem prozesshaften Weg einer urbanen, zivilisatorischen Entwicklung.
Die in Shanghai beheimateten Architekturbüros MORE Architecture and AIM Architecture riskierten im Projekt Jiaxing Island, einem von Mischnutzung geprägten Klubgebäude, viel: Sie entwarfen, als eine kühne Alternative zum Großformat und zur Wiederholung der in China üblichen Architekturen, einen Körper wie ein kleines Dorf. Eine Herausforderung für die traditionelle chinesische Auffassung des Urbanismus. Die Planer schufen durch ihre Interpretation des Bauvolumens menschliche Proportionen, öffentliche Bereiche und eine ausgesprochen auf die Nutzer orientierte Architektur.
Ein Klubgebäude mit den unterschiedlichsten Nutzungen von Wohnen über Kultur, Kunst, Freizeit, Sport und Essen haben die Büros von MORE Architecture & AIM Architecture in der Nähe der Städte Shanghai und Hangzhou, auf Jiaxing Island geschaffen. Ein kleines Dorf, autofrei und mit auf den Menschen ausgerichteten Maßstäben und Anordnungen.
Am Rand des sich schnell urbanisierenden Jiaxing, einer Ein-Millionen-Stadt zwischen Shanghai und Hangzhou, befindet sich Jiaxing Island in einem unbarmherzig dynamischen Kontext. Hier ist die Auswirkung der radikalen Transformation von Land in dicht verbaute Umwelt am stärksten spür- und sichtbar. Luftaufnahmen zeigen das ganz deutlich. Die kleine amorphe Insel mit dem Gebäudekomplex wirkt in der Nachbarschaft der rasterförmig angelegten Urbanisierung wie ein Fremdkörper, wie etwas Eingeschlossenes. Vier Wegachsen durchschneiden den rechteckigen Gesamtkörper und formen so die acht differenzierenden Volumina. Das mag zwar eine Referenz an städtebauliche Prinzipien des Rationalismus sein, aber wie so oft, kommt es auf die Maßstäbe und Größenverhältnisse an. Und die sind hier in fassbaren Relationen geblieben.
Die einheitliche Farbgebung der Fassaden aus spanischem Sandstein bringt eine Ruhe und Ausgeglichenheit in die Gestaltung des zentralen Platzes.
Der Platz in der Mitte wird durch ein stufenförmiges Auditorium, gebildet aus Sitzstufen, bereichert. Von der untersten Ebene kann man einen unter dem Gebäude liegenden, großen Vortragssaal erreichen. Die großzügigen Stufen dienen als Zugang und auch als Sitzgelegenheiten für Freiluftveranstaltungen, oder auch einfach nur als Ruheplatz. Der Platz ist auch ein toller Spielbereich für Kinder, sei es die der Hotelgäste oder derjenigen, welche die angebotenen Shortstay-Appartements buchen. Durch die Situierung im Zentrum trägt er auch zur Durchmischung der verschiedensten Besucher bei, die sich im Komplex aufhalten.
Acht Körper vermengen und vermischen sich zu einem Gebäude, sie bieten Hunderte von Programmen, Nutzungsmöglichkeiten und Erfahrungen an. Die diversen Funktionen – Büro, Wohnbereiche, Hotel, Galerie, Restaurant, Kindergarten, Sport, Schwimmbecken – sind über die verschiedenen Bauteile verstreut, richten sich jedoch alle zu einem zentralen, mittigen Platz hin. Die Programme koppeln sich im ersten Obergeschoss, wo man über die Verbindungsbrücken durch das vielfältige Angebot wandern und auswählen kann. In den einzelnen Blöcken gibt es teilweise auch Höfe, welche die Durchlüftung und Belichtung der Räume sicherstellen.
Die Architektur selbst ist das Gegenteil von eintönig. Gerade von dem zentralen Platz in der Mitte aus ergeben sich vielfältige Perspektiven, Aus- und Durchblicke, welche den Raum bereichern. Die Fassaden, komplett mit spanischem Sandstein verkleidet, sind in den Gehachsen eher geschlossen. Zum Platz hin gliedern sie sich in eine reiche Vielfalt von Vor- und Rücksprüngen, Öffnungen und geschlossenen Flächen auf.
So bietet das Projekt einer ganzen Reihe von klassischen, urbanen Konzepten Chinas Paroli: Diese wären die strikte Nord-Süd-Ausrichtung, die Großformatigkeit und auch die von Autos dominierten Straßen und Verbindungen sowie Plätze als Ausdruck und Anspruch von Macht. Von all dem ist hier nichts zu spüren – die Architektur bietet eine autofreie Zone in einer urbanen Stadtumgebung, vielschichtige Funktionen und eine Betonung öffentlicher Bereiche und Plätze.
Jiaxing Island
Jiaxing, China
Bauherr: Jiaxing Huazhang Real Estate Ltd.
Planung: MORE Architecture & AIM Architecture
Statik: CSCEC / Zhang Ye & Tian Le
Grundstücksfläche: 16.000 m2
Bebaute Fläche: 6.600 m2
Nutzfläche: 11.500 m2
Planungsbeginn: 06/2012
Bauzeit: 3 Jahre
Fertigstellung: 10/2016
Pläne: ©MORE Architecture & AIM Architecture
Fotos: ©Dirk Weiblen
Text: ©Peter Reischer
Kategorie: Projekte