Endstation Kultur
Die Stadt Aalen schafft direkt am Bahnhof ein neues, lebendiges Stadtquartier. Einen Teil davon bildet KUBAA, der Kulturbahnhof von a+r Architekten. Hinter dem Namen verbergen sich weder weiße Sandstrände noch Palmen, dafür aber jede Menge Raum für kulturelle Veranstaltungen. Rund um die Ruinen eines historischen Ensembles entwickelten die Planer das Gebäude auf dem ehemaligen Gleisareal der Deutschen Bahn als Leuchtturmprojekt und schrieben so ein Stück neue Stadtgeschichte.
Durch seine Lage zwischen Zentrum und dem Osten der Stadt bietet das Areal nordöstlich des Hauptbahnhofs in Aalen die besten Voraussetzungen für ein neues Viertel. Das erkannte auch die Stadtverwaltung und stellte die Weichen für dieses urbane Entwicklungsprojekt bereits vor mehr als 10 Jahren. Seit damals entsteht mit dem sogenannten Stadtoval ein lebendiger Stadtbezirk mit Platz zum Leben, Arbeiten und für die Freizeitgestaltung. Er setzt sich aus einer Wohnsiedlung mit bis zu 250 Einheiten und Gewerbeflächen in östlicher Richtung, zentralen Grünräumen für Erholung und Entspannung und einem Hotel sowie dem Kulturbahnhof entlang der Gleise zusammen.
Das 6,5 Hektar große, ovale Gelände steckt voller Geschichte. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde es von der Bahn genutzt, später von einem Industriebetrieb für Baustahl. Seiner Vergangenheit verdankt der Ort nicht nur seine Identität, sondern auch die historische Bausubstanz. Neben alten Gleiskörpern und anderen Relikten bestand diese aus einem vormaligen Verwaltungsgebäude und einer großen Halle, die früher ein Ausbesserungswerk beinhaltet hatte. All das fiel 2014, als die Arbeiten auf dem Areal bereits in vollem Gange waren, einem Großbrand zum Opfer und wurde großteils zerstört. Übrig blieben nur die vom Feuer gezeichneten Fragmente der geschichtsträchtigen Gebäude. Auf dieser Brandruine baute der Entwurf für KUBAA auf. Die Planer verfolgten das Ziel, das bauliche Erbe zu revitalisieren und in eine zeitgemäße Architektur zu übersetzen, die den Charakter des Ortes erhält und in den Vordergrund stellt.
Die Überreste repräsentieren die Industriearchitektur und die Eisenbahngeschichte Aalens und sollten deshalb bestmöglich in den Neubau integriert werden. Besonders markant waren die Sandsteinfassaden und kurzen Quergiebel. Sie fungieren nun als zentrales Element des neuen Designs. Der Kulturbahnhof setzt sich aus einem Längsteil, der parallel zu den Bahngleisen verläuft, und zwei quer dazu positionierten, kleineren Trakten zusammen. Das gesamte Ensemble basiert auf den Resten der einstigen Grundmauern. Wo es die vorhandenen Originalansichten zuließen, reparierten und komplettierten Steinmetze die Sandsteinoberflächen. Jene Abschnitte, die nicht mehr zu retten waren, ersetzte das Stuttgarter Büro durch stilisierten, gefärbten Sichtbeton. Alt und Neu trifft an manchen Stellen behutsam aufeinander. Diese Übergänge zwischen dem Bestand und den glatten, neu hinzugefügten Steinen bilden den Reiz der neuen Außenhülle und lassen die bewegte Geschichte des Gebäudes erahnen.
Auch bei den Dächern von KUBAA entschied man sich für einen Mix aus Vergangenem und moderner Interpretation. Im Vergleich zu den Fassaden schlug das Planerteam hier aber mutigere Wege ein. Während die Giebel der kurzen Querseiten wie im Original wieder aufgebaut wurden, ersetzt den historischen Längsgiebel ein aufgesetzter Quader. Er ist in Lochblech gefertigt und legt sich wie ein halbtransparenter Vorhang um den mittleren Gebäudetrakt. Durch die perforierten Paneele lässt sich die Gestalt des dahinterliegenden Volumens erkennen. Das gefaltete Blech wirkt kantig und geradlinig, wodurch es einen Bezug zur städtebaulichen Umgebung herstellt. Außerdem bildet es mit seinem dunklen Bronzeton und seiner Feingliedrigkeit einen spannenden Kontrast zu den hellen, massiven Sandsteinfassaden.
In seinem Inneren fasst der Kulturbahnhof die bisher über die Stadt verteilten Kultureinrichtungen an einem gemeinsamen Standort zusammen. Mit diesem pragmatischen Konzept verfolgt die Stadt Aalen einen ressourcenschonenden Ansatz und setzt auf kulturelle Synergien. Für die Organisation der großzügigen Räumlichkeiten kam das „Haus im Haus“-Prinzip zum Einsatz. Anhand von flexiblen Boxen zonierten die Architekten so das entkernte Ensemble und schafften die Voraussetzungen für die unterschiedliche Nutzung. Neben der räumlichen Trennung der einzelnen Funktionen dienen die eingesetzten Boxen zudem der Aussteifung des neuen Tragwerks.
Die öffentlichen Säle mit Kino, Veranstaltungsbereich und Werkstätten sind in den Quertrakten untergebracht. Sie fassen das Hauptvolumen mit dem aufgestockten, neuen Teil ein. In ihm befinden sich im Erdgeschoss ein großer Theatersaal und eine Ausstellungsfläche. Darüber liegen mit Proben-, Kostüm- bzw. Büroräumen sowie der Ballett- und Musikschule die versorgenden Räume, die im Hintergrund einer jeden Kulturproduktion notwendig sind. Die Geschichte von KUBAA wird in sämtlichen Innenräumen erlebbar. Sie bildet eine stimmungsvolle Kulisse für kulturelle Darbietungen und Proben. Dachkonstruktionen und historische Elemente wurden gezielt inszeniert und in die Gestaltung integriert. Neben rohen Stahlträgern sorgen Sichtbeton und heller Sandstein für ein freundliches Ambiente. Dazu kombinierten die Architekten warmes Holz und weiße Akzente. An manchen Deckenuntersichten findet sich darüber hinaus das filigrane Lochblech des Quaders wieder.
Die Stadt Aalen erhoffte sich von dem Projekt einen „Ort mit überregionaler Strahlkraft“. Dank seines besonderen Charmes dürfte KUBAA auch weniger Kulturaffine überzeugen und den gewünschten Anforderungen damit allemal gerecht werden. Mit dem Kulturbahnhof hauchten a+r Architekten der ehemaligen Brachfläche auf eindrucksvolle Weise neues Leben ein und kreierten dadurch einen Ort für Kultur, der seine Vergangenheit nicht leugnen kann. Sie machen vor, wie Revitalisierung und Umnutzung im urbanen Kontext möglich ist und schaffen dabei nicht nur einen baulichen Brückenschlag zwischen Industriezeitalter und Gegenwart, sondern auch in die Zukunft.
Kulturbahnhof Aalen
Aalen, Deutschland
Bauherr: Stadt Aalen
Planung: a+r Architekten
Statik: wh-p Beratende Ingenieure
Grundstücksfläche: 6.434 m2
Bebaute Fläche: 4.008 m2
Nutzfläche: 4.562 m2
Planungsbeginn: Oktober 2016
Baubeginn: Januar 2018
Fertigstellung: Oktober 2020
Baukosten: 15.535.000 € (exkl. MwSt.)
Text: Edina Obermoser
Fotos: Brigida González
Kategorie: Projekte