Energiegeladen
3,5 Mio. Photovoltaik-Paneele machen Kalyon Karapınar SSP nicht nur zum größten Solarkraftwerk der Türkei, sondern von ganz Europa. Mit 20 Quadratkilometern erstreckt sich die gigantische Anlage für erneuerbare Energie über eine Fläche, die in etwa 2.600 Fußballfeldern entspricht. Bilgin Architects ergänzten den Solarpark um ein effizientes Betriebs- und Kontrollgebäude, welches sich mit seinem innovativen Design harmonisch in das Gelände einfügt und zugleich mit seiner schimmernden Pixelfassade ein markantes Statement setzt.
Die Stromerzeugungsanlage befindet sich in Konya, der flächenmäßig größten Provinz des Landes. Dort nutzt sie ein wüstenartiges Areal, welches sich – bedingt durch den Klimawandel – nicht mehr für eine landwirtschaftliche Nutzung eignet. Mit einer Kapazität von 1.350 MWp soll der Solarpark unter optimalen Bedingungen jährlich fast 3 Mrd. Kilowattstunden Strom erzeugen und so in etwa eine Stadt mit 2 Mio. Einwohnern mit nachhaltiger Energie versorgen. Was in Kalyon Karapınar SSP bis dato fehlte, war ein zentrales Gebäude, an dem die einzelnen Fäden des Kraftwerks zusammenlaufen. Das Büro von Begüm Yılmaz Bilgin und Caner Bilgin konnte den Wettbewerb für die Errichtung mit einem Entwurf für sich entscheiden, der zum einen den menschlichen Maßstab miteinbezieht und zum anderen durch seinen smarten Umgang mit dem Thema Energie überzeugt.
Funktionales Design mit Doppelfassade
Beim Design des Gebäudes setzte das türkische Planerteam in erster Linie auf Funktionalität und Effizienz. In Anlehnung an die gerasterte Struktur der umliegenden Photovoltaik-Freiflächenanlage fiel die Wahl auf ein schlichtes Volumen mit quadratischem Grundriss. Leicht aufgeständert fügt es sich in die flache Topografie ein, ermöglicht aber zugleich weite Ausblicke – ohne zu verschatten oder den Solareintrag der Kollektoren zu beeinträchtigen. Die geringe Höhe soll außerdem verhindern, dass Vögel die reflektierenden Ansichten übersehen und dagegen fliegen. Eines der beiden Highlights des Entwurfes und darüber hinaus das Rückgrat der energetischen Planung ist die zweischichtige Fassade: Vor die rundum raumhoch verglaste Gebäudehülle legt sich eine leichte, vorgehängte Haut aus 7.200 Edelstahlelementen. Diese sind unterschiedlich perforiert und verleihen dem Bau mit vier verschiedenen Lochstrukturen einen pixeligen, schimmernden Look. Jedes der Paneele verfügt über eine fein differenzierte, reflektierende Oberfläche, deren Farbe abhängig vom Lichteinfall changiert.
Parametrische Codes & variierende Perforation
Die Anordnung der Einzelteile erfolgte mithilfe von parametrischen Planungstools in mehreren Layern und einem einzigartigen Muster. Dabei wurden z.B. die Ausrichtung, die Umgebung und die Funktion im Inneren berücksichtigt und in 1:1-Mock-ups eingehend getestet. Das Ergebnis ist den Architekten zufolge ein kinetisches Erlebnis, das den solaren Eintrag auf die Hauptfassade um bis zu 65 % reduziert. Während die Ansichten an bewölkten Tagen die Grenzen zwischen Baukörper und Himmel verschwimmen lassen, macht der durchlässige Vorhang das Kontrollgebäude im Dunklen zum diffusen Leuchtkörper. In den Räumen schirmen die filigranen Bleche der sekundären Ebene je nach Transluzenz die Sonnenstrahlen ganz ab, filtern den Blick nach draußen auf den Solarpark oder bringen mehr Tageslicht nach drinnen. Um Blendung zu verhindern, wurden die Edelstahlelemente an der Innenseite satiniert und die Arbeitsbereiche an den Ost-, West- und Südfassaden zusätzlich mit verdeckten Jalousien ausgestattet. Die Elementfassade sorgt aber nicht nur – abhängig von Tageszeit und Witterungsverhältnissen – für spannende Licht- und Schattenspiele, sondern trägt mit 3 m hohen Fenstern auch zur optimalen Luftzirkulation im gesamten Gebäude bei. Sie wirkt der Wärmeabsorption in der wüstenartigen Umgebung entgegen und schafft ein angenehmes Raumklima.
Luftiges, grünes Herzstück
Im Zentrum wird der schlichte Baukörper von einem organisch geformten Innenhof aufgelockert. Dieser bietet – mit Pflanzen und Bäumen bewachsen – inmitten der kargen Landschaft einen Zufluchtsort und lädt mit Entspannungszonen zu einer Pause im Freien ein. Auch hier kann durch die öffenbaren Glaselemente frische Luft ins Innere gelangen. In Kombination mit der durchlässigen Metallhülle legt der Patio damit den Grundstein für natürliche Querlüftung, anstelle von aufwendiger Klimatechnik. Die Architekten beschreiben den Hof als kleine Oase: „Er schützt vor Wind, Staub und bietet Schatten. Damit trägt er zur passiven Klimatisierung bei und unterstützt die Energieeffizienz des Gebäudes.“ Bei der Auswahl der Vegetation achtete man auf heimische Arten mit wenig Bewässerungs- und Pflegeaufwand. Die Bäume sind so angeordnet, dass sie die Räume mit ihrem dichten Blätterkleid in den Sommermonaten vor der sengenden Hitze abschirmen. Im Winter werfen sie das Laub ab und lassen mehr Licht, Sonne und damit auch Wärme hinein. Eine breite Treppe mit Sitzstufen erinnert an ein Amphitheater. Sie führt vom Patio aus bis auf das – ebenfalls begrünte – Dach. Dort können von einer 360-Grad-Plattform die Sonnenkollektoren des Solarparks überblickt werden, die sich bis zum Horizont erstrecken. Die Dachfläche fungiert als ergänzende Isolierung und Regenwasserkollektor. Sie filtert anfallenden Niederschlag, der anschließend für die Bewässerung genutzt wird.
Raum für technologische Weiterentwicklung
Der zentrale Hof wirkt sich auch auf die programmatische Aufteilung des Neubaus auf dem Kalyon Karapınar SSP-Gelände aus und grenzt betriebsinterne und gemeinschaftliche Bereiche voneinander ab: Rund um den fließenden Ausschnitt befinden sich – zur Gebäudemitte hin orientiert – zunächst die Erschließungsflächen. Entlang der Fassaden sind die übrigen Räume angeordnet. Neben der erforderlichen technischen Infrastruktur zur Steuerung der Anlage gibt es ein großzügiges Foyer, eine Cafeteria sowie Büros und Besprechungsräume für die einzelnen Abteilungen. Halböffentliche Flächen wie ein Mehrzwecksaal bieten Platz für Veranstaltungen, Schulungen, Ausstellungen und Workshops und motivieren Besucher dazu, sich näher mit dem Thema nachhaltige Energietechnologien zu befassen. Zudem sollen diese gemeinschaftlichen Räume zur Öffnung des Betriebs- und Kontrollgebäudes beitragen und Solarenergie-Ingenieure und -Experten aus aller Welt anziehen, um sich in dem Solarkraftwerk in der Wüstenregion zu treffen, auszutauschen und gemeinsame Innovationen voranzutreiben.
Central Control Building
Karapınar, Konya, Türkei
Bauherr: Kalyon Energy
Planung: Bilgin Architects
Statik: Attec Design
TGA & HLK-Planung: Okutan Engineering
Landschaftsplanung: Bilgin Architects + MY Landscape
Infrastruktur: Diyap Project
Elektro & Nachhaltigkeit: ERKE Sustainable Building Design and Consultancy
Lichtplanung: UKON lighting consultancy
Akustik: Mezzo Studio
Bebaute Fläche: 2.778 m²
Nutzfläche: 2.585 m²
Baubeginn: 2021
Fertigstellung: 2023
Baukosten: 6 Mio. USD
Text: Edina Obermoser
Fotos: Egemen Karakaya
Kategorie: Projekte