Erhalten und gestalten
Wohnungen und Büros, statt Tischtennisbällen und Fahrradlenkergriffen – wo im niedersächsischen Osnabrück einst chemischer Kunststoff für verschiedenste Produkte hergestellt wurde, gibt es nun Raum zum Leben und Arbeiten. Mit Hageloft baute das Architekturbüro Kresings die über 100 Jahre alten Produktionsgebäude des Traditionsbetriebs Hagedorn um. Sie sanierten und erweiterten den Bestand und verhalfen der ehemaligen Fabrik zu neuem Glanz.
Das frühere Chemiewerk stand unter Ensembleschutz und schon einige Zeit leer, bevor sich die Planer aus Münster seiner annahmen. Sie wollten aus dem Komplex moderne Lofts und Arbeitsplätze machen und gleichzeitig seinen industriellen Charakter erhalten. Neben dem L-förmigen Hauptgebäude besteht das Hagedorn-Areal aus einem Pförtnerhäuschen, welches den Zugang zum Gelände markiert und deshalb auch in den neuen Entwurf integriert werden sollte. Dafür stockte das Planerteam den niedrigen Annexbau um ein auffälliges Volumen auf. Es kragt zur Straße hin vier Meter aus und überblickt mit großen Verglasungen auf einer Seite den Verkehr und auf der gegenüberliegenden den Innenhof. Der Kubus beinhaltet eine Mehrzweckhalle, die nicht nur für Events, sondern dank Schallschutz und Bodenfederung auch zum Sport genutzt werden kann. Betreten wird er entweder über eine außenliegende Treppe oder eine schmale Brücke vom Haupthaus aus.
Auch beim vierstöckigen Fabrikgebäude verzichteten die Architekten auf Veränderungen der Bestandsstruktur. Stattdessen rekonstruierten sie diese behutsam und ergänzten sie um ein aufgesetztes Staffelgeschoss. Dieses ist – ebenso wie der neue Multifunktionskubus – in auffälliges Gold gekleidet. Die Kupfer-Aluminium-Paneele sorgen für eine edle Optik und fassen die beiden Industriebauten stimmig zusammen. Mit der Zeit soll die schimmernde Oberfläche natürlich abwittern und mattieren und Hageloft so eine einzigartige Wertigkeit verleihen.
Bei den Originalmauern reichte aufgrund ihres schlechten Zustands eine Sanierung nicht aus. Die alten Bestandsziegel waren ausgebleicht und genügten weder statischen und energetischen noch bauphysikalischen Anforderungen. Aus diesem Grund entschied man sich dafür, die Backsteinansichten modern interpretiert nachzubilden. Zum Einsatz kamen nahezu schwarze Wasserstrichziegel mit dunklen Fugen, die dem 1897 errichteten Vorbild nachempfunden sind. Die Steine für die 2.500 m2 Ansichten wurden speziell für das Projekt von einer Klinkermanufaktur angefertigt. Doppelt gebrannt weisen sie organische Unregelmäßigkeiten auf und wirken dank des Farbtons antik und zeitgemäß zugleich. Sämtliche Sprossenfenster wurden durch neue ausgetauscht und runden mit ihren Holzrahmen den traditionellen Industrielook perfekt ab.
Die beiden Gebäudetrakte fassen – gemeinsam mit den umliegenden Wohnkomplexen – einen begrünten Innenhof ein, in dem sich in Zukunft Mitarbeiter und Bewohner im Freien begegnen. Zum Highlight des neuen Entwurfs wird die, zum ehemaligen Pförtnerhaus hin ausgerichtete, Ostfassade des vierstöckigen Fabrikgebäudes. Diese öffneten Kresings Architekten im Zuge des Umbaus komplett und ersetzten sie mit einer zehn Meter breiten und 13 Meter hohen Glasfront. Raumhohe Verglasungen kennzeichnen auch die übrigen erweiterten Teile. Im Inneren konnten zwei historische Eisentreppen saniert und an heutige Brandschutzvorschriften adaptiert werden. Während eine von ihnen im unteren Bereich mit ihrer Originalpatina die Geschichte des Baus widerspiegelt, erstrahlen die übrigen Geländer und Stufen in kräftigen, bunten Farben.
Konstruktive Stahlunterzüge und -stützen, die an die industrielle Vergangenheit erinnern und offene Grundrisse ermöglichen, prägen das Design der Innenräume. Das kleine Nebengebäude und der anschließende Teil der einstigen Fabrik beinhalten die vielfältigen Arbeitsbereiche einer dynamischen Consultingagentur. Diese wünschte sich für ihre rund 140 Mitarbeiter keine starren Büros, sondern Open-Space-Bereiche und themenbezogene Zonen für Kreativität. Neben unterschiedlich bespielbaren Besprechungsräumen gibt es flexibel nutzbare Arbeitsplätze. Leichte, gläserne Sprossenwände grenzen in den weitläufigen Offices ruhigere Flächen für konzentriertes Arbeiten ab. Vom repräsentativen Foyer gelangt man weiter ins erste Geschoss mit einem Café im 60er-Jahre-Stil. Auch die übrigen Stockwerke sind ein wahres Erlebnis: Die Angestellten können nicht nur ihre bevorzugte Arbeitsatmosphäre frei wählen, sondern sich in den Pausen zwischen knallig-orangem Discofeeling und skandinavisch angehauchtem Minimalismus entscheiden.
Der südliche Gebäudetrakt komplettiert mit 18 Wohnungen das Raumprogramm von Hageloft. Sie sind zwischen 50 und 150 m2 groß und sprechen unterschiedliche Nutzergruppen an. Der Charme der ehemaligen Chemiefabrik bestimmt hier ebenfalls das Bild: Stahlbetonträger und Gusseisenelemente ziehen sich durch alle Räume und verleihen ihnen ein typisch loftartiges Ambiente. Jede der Einheiten ist mit einer Box ausgestattet, die mit Küche, Bad und Einbauschrank alle essenziellen Installationen beinhaltet. Rund um diesen versorgenden Kern ordnen sich die übrigen Funktionen wie Essen, Wohnen und Schlafen frei an. Einige der Lofts verfügen zusätzlich über einen Balkon.
Kresings Architekten revitalisierten mit dem Büro- und Wohnbau ein Stück Osnabrücker Stadtgeschichte. Ohne große Eingriffe in die denkmalgeschützten Strukturen, schufen sie ein spannendes Projekt zwischen Alt und Neu, das sich harmonisch ergänzt und doch klar voneinander abhebt: Glänzendes Gold differenziert zwischen baulichen Erweiterungen und dem schwarzen Bestand. Das Blech wirkt hell und reflektiert das Licht, ganz anders als die dunklen Ziegelfassaden, die es regelrecht zu absorbieren scheinen. Durch Metall und Klinker treffen glattes Material und rauer Stein aufeinander und zeugen nicht nur von handwerklicher, sondern auch von maschineller Produktion. Auf diese Weise entsteht ein modernes, urbanes Ensemble mit industriellem Touch, das mit dynamischen Bürowelten und großzügigen Wohnungen sowohl Mitarbeitern als auch Kunden und Bewohnern ein angenehmes Umfeld bietet.
Hageloft
Osnabrück, Deutschland
Bauherr: Hageloft GmbH
Planung: Kresings Architektur
Team: Kilian Kresing (Projektpartner), Stefan Fuchs (Projektleiter), Hans-Georg Zündorf, Julian Hoffschlag, Raúl Zinni-Gerk, Ralf Tielke, Enzo Augello, André Pannenbäcker, Kai Binnewies
Statik: Ingenieurbüro Ludwig Strathmann
Bauphysik: Ingenieurbüro Michael Beffart
TGA: Eversmann beratende Ingenieure
Brandschutz: nees Ingenieure
Bebaute Fläche: 6.120 m2
Nutzfläche: 4.937 m2
Planungsbeginn: 2017
Fertigstellung: 2020
Text: Edina Obermoser
Fotos: Jette Golz, tammen.de, Roman Mensing
Kategorie: Projekte