Erweiterung des LaM in Lille – Manuelle Gautrand

14. April 2011 Mehr

Erweiterung des LaM in Lille - Manuelle Gautrand

Üblicherweise wird Beton mit Grobheit und Schwere assoziiert. Das im Folgenden dargestellte Projekt für einen Erweiterungsbau in Frankreich beweist das Gegenteil. Die Architektin Manuelle Gautrand, die 2002 die ausgelobte Restrukturierung und Erweiterung des Museums LaM in Lille für sich entschied, zeigt neue Wege für ein unter Laien verpöntes Material auf.

Nach vierjähriger Bauzeit, in der Manuelle Gautrand eine einfühlsame Restrukturierung des bestehenden Museumsbaus vornahm und einen 900 m² umfassenden Erweiterungsbau schuf, wurden im September 2010 erneut die Pforten des LaM, eines der wichtigsten Museen Nordfrankreichs für Moderne und zeitgenössische Kunst sowie für Art brut, geöffnet.
Der Besuch lohnt nicht nur wegen der reichen Sammlungen an Kunstexponaten, sondern auch aufgrund der spannungsgeladenen Architektur, die den Besucher in dem parkähnlichen Skulpturengarten inmitten der französisch-flämischen Landschaft empfängt.

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Alt und Neu

In Villeneuve d’Ascq, einem Vorort von Lille, ist auf einer erhöhten Rasenfläche eine Architektur situiert, die nicht nur ein gelungener Ausdruck vom sensiblen Umgang mit der vorhandenen Landschaft ist, sondern auch den Zeitgeist unterschiedlicher Jahrzehnte widerspiegelt. Der Museumsbau setzt sich aus zwei Baukörpern zusammen: Der eine entstand bereits 1985 und wurde von dem französisch-algerischen Architekten Paul Simounet ersonnen, der andere stammt von Manuelle Gautrand und wurde erst kürzlich fertiggestellt.
Ohne in Konkurrenz zu treten, ergänzen sich der orthogonale Altbau mit roter Backsteinfassade und der organische Neubau aus weiß-grauem Sichtbeton.
Die Verschränkung der Baukörper weist eine reizvolle Dialektik auf, die dennoch eine gelungene, selbstverständliche Einheit bildet.
Gemein ist den beiden die Erhebung um bloß ein bis zwei Geschoße, der fast permanente Ausblick auf den Park, die menschlichen Dimensionen und eine zum Erkunden einladende Labyrinth-Form.

Der radikale Unterschied zeigt sich jedoch nicht nur in der Materialität, sondern auch in der Formensprache. Während Simounets Bau eine rationale Raumabfolge aufweist, entschied sich Gautrand für eine fließende Abfolge von Räumlichkeiten. Das so entstandene organische Volumen des Erweiterungsbaus gleicht einer schützenden Hand, die mit fünf Fingern von hinten um den Bestand greift.

Die Fassade des Erweiterungsbaus

Die 2.400 m² umfassende Außenhaut des Neubaus wurde aus selbstverdichtendem Beton gefertigt. Dieser wurde vor Ort gegossen und weist eine spezielle Musterung auf. Insgesamt gibt es 32 unterschiedliche amöbenförmige Motive, die sich als Einbuchtungen unregelmäßig auf der Fassade wiederfinden. Mit Polyurethan ummantelte Holzmodelle wurden hierfür in den flüssigen Beton eingelassen und nach dessen Erhärtung wieder herausgezogen.
Dieselben organischen Formen finden sich auch in den dünnen, vor den Fensteröffnungen situierten Paneelen aus Stahlfaserbeton in ausgestanzter Form wieder. Dadurch ergeben sich untertags interessante Lichteffekte im Innenraum, und in der Nacht wirkt die Fassade bei Innenbeleuchtung luftig leicht.
Manuelle Gautrand entlehnt diesen Effekt den geschnitzten Holzgitter-Fenstern der traditionellen arabischen Architektur und spricht von «Moucharabiehs» (in deutscher Schreibung: «Maschrabiyya»).

Die Sammlung Art brut

Vierhundert Werke der Art brut und damit die mit Abstand wichtigste Präsentation dieser Kunstrichtung in Frankreich sind in dem 900 m² umfassenden Erweiterungsbau von Gautrand zu sehen.
So wie Art brut eine Kunstproduktion von Menschen bezeichnet, die nicht unter dem Einfluss von Traditionen, Schulen oder Moden stehen und auch nicht für den Kunstmarkt arbeiten, so spiegelt auch der dafür vorgesehene Innenraum seine Unregelmäßigkeiten wider.
Im Innern begegnen dem Besucher Knicke und Schrägen. Die Decken und Böden steigen auf oder fallen ab. Die schräg gestellten Wände, die teilweise ausziehbar sind, sind alles, nur nicht parallel. All dies gibt den Parcours durch die ungewöhnliche Kunstausstellung vor.
Um die lichtempfindlichen Papierarbeiten zu schützen und dennoch ins rechte Licht zu rücken, wurde beim Erweiterungsbau auf Oberlichten verzichtet und auf oben erwähnte «Moucharabiehs» gesetzt.

Ein Besuch der Lilloiser Region, die neben Paris den zweitgrößten Ballungsraum Frankreichs darstellt, lohnt nicht nur wegen des oben beschriebenen Museumsbaus LaM – Lille Métropole Musée d’Art Moderne, d’Art Contemporain et d’Art Brut. In nur einer Zugstunde erreicht man diesen aus französischer, belgischer und flämischer Kultur geprägten Landstrich von Paris aus, in 35 Zugminuten von Brüssel und in 80 Eurostar-Minuten von London. Von Wien freilich empfiehlt sich eine Mehrtagesreise!

LaM – Lille Métropole Musée d’Art Moderne, d’Art Contemporain et d’Art Brut

Architekt: Manuelle Gautrand
Projektteam: Manuelle Gautrand, Yves Tougard
Tragwerksplanung: Khepheren
Bauherr: Lille Métropole Communauté Urbaine
Kosten: um die 30 Millionen Euro, inkl. Steuern
Fläche: 11.600 m², inklusive der 3.200 m² umfassenden Erweiterung
Ausstellungsfläche: 4.000 m²
Wettbewerb: 2002
Planung: 2003–2005
Ausführung: 2006–2009
Museumseröffnung: 25. September 2010

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Kategorie: Projekte