Formvollendete Fassade
Für das Krebsforschungszentrum AGORA in Lausanne entwickelten Behnisch Architekten eine neuartige Außenfassade in Form einer durchgehenden, durchlässigen Sonnenschutzhaut, die eine Überhitzung der Fassaden verhindert und gleichzeitig ein hohes Maß an visueller Transparenz bietet. Neben den technischen Vorzügen besticht die Fassade zusätzlich durch ihre schlichte Eleganz.
Die Fassade eines Bauwerkes ist buchstäblich die Haut über den Knochen, Muskeln und Sehnen des Tragwerks und Innenraums. Wie die menschliche Haut soll diese vor äußeren Einflüssen schützen. Neben dieser Schutzfunktion definiert die Fassade analog unserer Kleidung aber auch den Charakter und Stil eines Gebäudes. Zusätzlich müssen die Architekten das Zusammenspiel von Innen- und Außenraum erfolgreich entwickeln und dabei eine Vielzahl an Einflussfaktoren beachten. Behnisch Architekten ist mit der Fassade des AGORA PÔLE de recherche sur le cancer unweit des Genfer Sees in dieser Hinsicht ein kleiner Meilenstein gelungen.
Der 2018 fertiggestellte Neubau des Krebsforschungszentrums auf dem Campus des CHUV (Centre hospitalier universitaire vaudois) in Lausanne stellt Arbeits- und Forschungsräume für 400 Wissenschaftler und Ärzte unter einem Dach bereit. Die Gebäudeform wurde bei der Konzeption stark von Blickachsen und bestehenden visuellen Beziehungen auf dem Grundstück beeinflusst. Im Erdgeschoss liegt der sogenannte Agora-Bereich, ein Ort der Interaktion, des Treffens und der informellen Besprechungen, der sich zur Talseite hin öffnet. Oberhalb dieses Bereichs befinden sich drei weitere Etagen mit Forschungslabors. Die Agora-Ebene soll die Kommunikation fördern. Hier sind ein Hörsaal, ein Café, ein Restaurant, Konferenzräume und Verwaltungsräume untergebracht. Auf den darüber liegenden Etagen befinden sich jeweils an der Nord- und der Südseite kleinere Gemeinschaftsbereiche, in denen sich die Mitarbeiter der Büros und Labors treffen können. Letztendlich entwickelten Behnisch Architekten für die Fondation ISREC einen skulptural anmutenden, gut ablesbaren Baukörper, der sich in die bestehenden Strukturen einfügt, und gleichzeitig eine identitätsstiftende Präsenz zeigt.
Zu diesem Eindruck trägt maßgeblich auch die einzigartige Fassadenstruktur bei. Im Detail filigran und leicht, fügen sich die Strukturen im Ganzen betrachtet zu einem lebendig wirkenden Gesamten. Ähnlich einem vorüberziehenden Vogelschwarm: die Summe aller Einzelteile zusammengefügt zu einem Bild perfekter Harmonie. So wie die Gebäudeform und die räumlichen Qualitäten von Tageslicht, Proportion und Materialität geprägt sind, so basiert das Konzept der Gebäudehülle auf dem Streben nach einer optimalen Tageslichtnutzung in der Gebäudetiefe bei gleichzeitigem Schutz vor Sonneneinstrahlung.
Besonderheit der Fassade ist deren große Flexibilität, die auf den unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen dahinterliegenden Funktionsbereiche basiert. Ob Restaurant, Café, Verwaltung, Labore, Seminarbereiche oder dienende Räume – die Fassade lässt von außen betrachtet keine exakte Ablesbarkeit zu, bietet aber dennoch individuelle Funktionalität. Mit Hilfe des feststehenden Sonnenschutzes ist eine Regulierung der direkten Sonneneinstrahlung durch individualisierte Neigungen und Tiefen der einzelnen Elemente möglich. In bestimmten Bereichen erlauben öffenbare Fenster zudem eine natürliche Be- und Entlüftung und tragen so zu einem individuellen Klimakomfort bei.
Mittlerweile auch bei anderen Projekten erprobt (unlängst beispielsweise für die ikonische adidas ARENA in Herzogenaurach), wurde die Idee des hochentwickelten, feststehenden Sonnenschutzgitters für das Projekt AGORA zum ersten Mal in der Praxis umgesetzt. Ziel der Architekten war es, einen Sonnenschutz zu schaffen, der einen nahezu ungehinderten Blick nach außen ermöglicht, gleichzeitig aber die Sommersonne fernhält, das Umgebungslicht in die Tiefe des Raumes reflektiert und die Wintersonne teilweise in den Raum einfallen lässt. Keine leichte Aufgabe.
Die Lösung fanden Behnisch Architekten in Form von Gitternetzelementen, die mit unterschiedlichen Geometrien auf das skulptural anmutende Gebäudevolumen reagieren. Die mittels dreidimensionaler Computerprogramme entwickelten Details wurden im Laufe des Projekts mit Unterstützung der Klimaingenieure von Transsolar und des Lichttechnikers Robert Müller von Bartenbach konkretisiert und mit Simulationen verifiziert, bevor die Daten an den Schweizer Hersteller der Fassadenelemente übergeben wurden. Ziel war es, die einzelnen Sonnenschutzflügel auf den jeweiligen Lastensammlern mit gleichmäßigem Fugenbild zwängungsfrei montieren zu können. Das vielschichtige Gebäudevolumen mit schrägen Wänden und Ecken, die sich in geometrisch komplexen Winkeln treffen, wird durch die einheitliche Fassade harmonisiert. Anstatt einzelne Fenster hervorzuheben, wird so ein einheitliches Gesamtbild erzielt. Die Fassade fungiert als unterstützendes, verbindendes Element mit einer vorgehängten Struktur, welche die dahinterliegenden Öffnungen überspielt.
Ein gleichförmiges Gitternetz umspannt das Laborgebäude wie eine zweite Haut. Die einzelnen Fassadenelemente des Gitters unterscheiden sich je nach Fassadenseite in Tiefe und Ausrichtung und sind individuell auf die jeweilige Himmelsrichtung und den Sonnenlichteinfall zugeschnitten. Jede Fassadenfläche verwendet einen bestimmten Typus, bestehend aus zwei gefalteten, miteinander verbundenen Aluminiumteilen, die in ihren Ausprägungen variieren. Eine unsichtbare Befestigung am Lastensammler ist über Laschen an den parallelen kurzen Kanten jedes Fassadenelementes realisiert. Die Aluminiumstruktur des Lastensammlers wird an der Betonbrüstung der inneren Fassade über Stahlkonsolen gehalten, die einen Wartungslaufsteg aufnehmen. Jedes Element ist teilweise mit lasergeschnittenen Löchern versehen, um den Kontrast herabzusetzen und so Blendeffekte zu vermeiden. Anhand von Simulationen wurde die Fassade auf Sonnen- und Hitzeschutz, Lichtoptimierung und Blendung geprüft. Laut der Architekten konnte so nachgewiesen werden, dass die Leistung des feststehenden Sonnenschutzgitters einer fixen Einrichtung mit rein horizontal angelegten Verschattungselementen deutlich überlegen ist. Insbesondere im Hinblick auf die Lichtoptimierung schneide dieses neu entwickelte Sonnenschutzsystem deutlich besser ab als beweglicher Sonnenschutz.
Prinzipiell ist diese Art der fest installierten und für bestimmte Anwendungsbedingungen konzipierte Gebäudehülle auf jeden Fall eine gute Lösung, um die Leistung der Gebäudehülle in Bezug auf ihre Haltbarkeit, Tageslichtoptimierung und Energieeinsparung zu verbessern. Formal gesehen überzeugt die Fassadengestaltung ohnehin – sowohl mit ihren inneren wie äußeren Werten.
AGORA PÔLE de recherche sur le cancer
Lausanne, Schweiz
Bauherr: Fondation ISREC
Planung: Behnisch Architekten, Stuttgart
Statik: ZPF Ingenieure AG, CH-Basel
Grundstücksfläche: 22.500 m2
Planungsbeginn: 2013
Bauzeit: 2015-2018
Fertigstellung: 2018
Text: Linda Pezzei
Fotos: David Matthiessen, Stefan Behnisch
Kategorie: Projekte