Großstadt-Dschungel
Immergrün, Winterjasmin, Strauch-Efeu und Clematis an der Fassade, auf dem Dach ein Mischwald im Miniformat – ingenhoven associates zeigen, wie grün innerstädtische Architektur aussehen kann. In Kooperation mit den vor Ort ansässigen Tennigkeit Fehrle Architekten revitalisierte das Planerteam die Calwer Passage, eine beliebte Flanier- und Einkaufsmeile im Herzen von Stuttgart und setzte dabei auf intensive Begrünung.
Im Zuge der Umgestaltung galt es das denkmalgeschützte Glasgewölbe der Passage aus den 1970er-Jahren zu erhalten. Der darüberliegende Bestand wich einem siebengeschossigen Neubau, der auf 133 m Länge neben den Gewerbeflächen auch Platz für Büros und Wohnungen bietet. Zum Herzstück des Projekts wird das umfangreiche Begrünungskonzept: Dieses realisierten die Düsseldorfer Architekten gemeinsam mit den Spezialisten von Optigrün. Mit reich bepflanzten Fassaden und Dachflächen soll das Haus künftig für ein gesundes Stadtklima sorgen.
In die Konstruktion der Pfosten-Riegel-Fassade integriert, legen 2.000 Pflanzgefäße sowie Stahlseile bzw. Netze den Grundstein für die ökologische Gebäudehülle mit ca. 11.000 Setzlingen. Das grüne Arrangement kann hier entweder über die Ränder der Töpfe nach unten hängen oder an den Rankhilfen nach oben klettern. Je nach Funktion im Inneren variiert die Vegetation an der Außenseite: Während im Bereich der Büros und Wohnungen weniger dicht bepflanzte Ansichten genügend Tageslicht hineinlassen, ist das Grün vor den geschlossenen Abschnitten wie z.B. den Erschließungskernen enger gesetzt.
Üppig bewachsene Dächer – mit über 40 bis zu 15 m hohen Bäumen – führen den grünen Faden des Wohn- und Geschäftshauses bis oben stimmig fort. Neben dem gemischten Wald im siebten Obergeschoss, der die Silhouette des Baus prägt, laden auf den übrigen Ebenen eine hügelige Landschaft mit Terrasse und Kräuterwiese sowie ein Innenhof mit Garten und Beeten zum Entspannen im Freien ein.
Sämtliche Pflanzen von Fassaden und Dächern wurden so ausgewählt, dass sie das natürliche Erscheinungsbild des Gebäudes immer wieder verändern und die Jahreszeiten widerspiegeln. Anstelle eines immergrünen Blätterkleids entschied man sich deshalb für eine robuste Mischkultur mit diversen Laubformen und vielen verschiedenen Früchten, Blumen bzw. Blüten. Die Anordnung richtet sich nach Kriterien wie Nährstoff-, Licht- und Platzbedarf sowie Wuchsform und Belaubung. Das Zusammenspiel von Rankgerüsten, Substrat und digitaler Bewässerung mit den Gewächsen wurde vorab in einem Mockup analysiert und optimiert.
Nun schafft die lebendige Hülle der Calwer Passage ein angenehmes Ambiente zum Wohnen und Arbeiten und hat im Zentrum von Stuttgart außerdem positive Auswirkungen auf die urbane Umgebung. Für die Innenräume dient die Vegetation als passiver Schall- und Hitzeschutz, der die Luftqualität verbessert, an der Außenseite zusätzlich als Regenwasserretention. Darüber hinaus fördert die Begrünung die Biodiversität, reduziert die Feinstaubbelastung und wirkt im Sommer der starken Aufheizung des Stadtraums entgegen. Damit erweist sich das von ingenhoven associates gewählte, grüne Gestaltungskonzept nicht nur als Hingucker, sondern einmal mehr als wahres Multitalent und Antwort auf die Klimakrise.
Text: Edina Obermoser
Fotos: Ingenhoven Associates / HGEsch
Kategorie: Projekte