Grube Messel – landau + kindelbacher architekten

6. Juni 2011 Mehr

Grube Messel - landau + kindelbacher architekten

Eine Rückkehr ins Eozän vor 47 Millionen Jahren, das wird den Besuchern des Informationszentrums der Grube Messel bei Darmstadt ermöglicht. Die Architektur orientiert sich an den Schichten der Erde, optisch und pädagogisch. Somit wurde ein Bau geschaffen, der den Alltag vergessen lässt und nachhaltige Erinnerungen und Informationen bietet. Sehr schlüssig wird in einem Rundgang ein zeitlicher Aspekt der Entstehung der Erde vermittelt.

Nur dem jahrzehntelangen Kampf einer Bürgerinitiative ist es zu verdanken, dass hervorragend erhaltene Fossilien von Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Pflanzen aus dem Zeitalter des Eozän heute noch erhalten sind. Denn die Fundstätte, ein stillgelegter Tagebau nordöstlich von Darmstadt, sollte eine der größten Müllkippen Europas werden. Engagierte Bürger und Wissenschafter konnten dies verhindern. Sie stellten einen Antrag bei der Unesco, die die Grube Messel im Jahr 1995 in die Weltnaturerbeliste aufnahm.

Um die Funde auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde 2006 dann ein Wettbewerb ausgeschrieben, den die landau + kindelbacher architekten gewannen. Es entstand am Rande der Grube ein Besucher- und Informationszentrum. Im Gebäude können sich die Besucher über die Geheimnisse der Welt vor 47 Millionen Jahren informieren. Grubenspaziergänge und virtuelle Fahrten in eine Tiefe von 433 Metern sind, neben der Ausstellung der Fundstücke sowie einer kaleidoskopischen Zeitreise, die Höhepunkte des Besucherzentrums.

Fotos

Geologie als Entwurf

Exakt auf die Ausstellung mit ihren spezifischen Anforderungen zugeschnitten, haben die Architekten ein Gebäude geschaffen, das die wechselvolle Geschichte des Ortes sichtbar machen soll. Monolithische Wandscheiben aus grauem Sichtbeton gliedern den Bau: Sie beginnen bei einer bestehenden Winkelstützwand, lösen sich und wandern zur Grube hin – dem eigentlichen Höhepunkt des Ortes. Wie die Schichtungen des hier ehemals abgebauten Ölschiefers geben ihre Knicke sowie unterschiedliche Höhen und Helligkeiten die Grundstimmung vor, erzeugen Enge und Weite, Höhe und Tiefe.
Die äußere Gebäudeform bildet sich auch im Gebäudeinneren ab, wo die Besucher auf einer Fläche von 870 m² sinnbildlich die Erdschichten durchwandern können. Diese Bewegung, dieses Fortschreiten, gipfelt in einem auskragenden Aussichtssteg, von welchem aus man einen Überblick über das gesamte Gelände erhält.
So erwecken die jeweiligen Ausstellungsräume in ihrem Gesamterscheinungsbild sofort Analogien und Verständnis für die dort erläuterte Thematik. Und zwar durch einfache aber wirkungsvolle Mittel der Architektur, wie Enge-Weite, Hell-Dunkel-Effekte, hohe oder geringe Raumhöhen. Die Wahl der Materialien erfolgte bewusst schlicht und zurückhaltend, um den Möglichkeiten freier Bespielbarkeit durch wechselnde szenografische Einbauten nicht im Wege zu stehen. Gleichzeitig ist dabei ein Gebäude entstanden, welches durch seine Gestalt und die geschaffenen Atmosphären den Alltag vergessen lässt und nachhaltig in Erinnerung bleibt.

Wie ein roter Faden

Der Besucher wird intuitiv durch die Ausstellungsräume geleitet und kann sich ungestört auf deren Attraktionen einlassen. Nach der Orientierung im großzügigen Foyer beginnt man den Rundgang mit dem Besuch des Kinos: einem Ort des Ankommens und der Entschleunigung, des Loslassens vom Alltag. Hier wird mit einem einführenden Film ein Überblick über den Ort und seine wechselhafte Geschichte gezeigt.
Von hier an zieht sich ein roter Faden durch die Räumlichkeiten der Ausstellung: Mit einem Zeitsprung in die Zeit des Eozän vor 47 Mio. Jahren begibt sich der Besucher sinnbildlich ins Erdinnere. In einer virtuellen Fahrt „hinunter“ gelangt er auf dieser Reise hinab in 433 m Tiefe – unterstützt durch akustische und optische Simulationen. „Unten“ kann man nun ausgewählte Teile des realen Forschungsbohrkernes physisch besichtigen.
Beginnend im Erdinneren bewegt man sich in dem dunklen engen Raum mit Bergwerkscharakter nach „oben“ – dem Licht entgegen. Dort angelangt hat man die Möglichkeit, die angrenzenden Themengärten zu besuchen, oder man setzt den Rundgang im Inneren des Gebäudes weiter fort.

Im Kontrast zum beengten Bohrkern öffnet sich dem Besucher nun ein hoher, lichtdurchfluteter Raum, welcher die Atmosphäre eines Regenwalds vermitteln soll. Das Leben in und um den damaligen Maarsee von Messel soll mit verbindenden Elementen zu heutigen Urwäldern und Seen erlebbar und nachvollziehbar gemacht werden.
Im darauffolgenden Raum werden mittels Schaulabor die verschiedenen Stadien und Methoden einer Präparation anschaulich vermittelt. Höhe- und zugleich Schlusspunkt der Ausstellung ist die Schatzkammer, wo zum Teil wechselnde Präparate künstlerisch ansprechend präsentiert werden.

Beton als prägendes Element

Beton ist in der gesamten Architektur ein prägendes Element. Gestrichen, beschichtet und immer schalrein verleiht er dem Gebäude eine eigene Note. Allein für die Wände (zweischalig, je 25 cm + Kerndämmung) waren 87 Betonierabschnitte notwendig, wobei sich diese meist durch die Knicke in den Wänden bzw. die Unterteilung in Innen- und Außenwand ergeben haben. Um eine helle, möglichst gleichmäßige Farbwirkung zu erzielen, mussten die Wände schnell ausgeschalt werden. Trotz der zeitlich versetzten Betoniergänge wurde die Betonrezeptur während des ganzen Baus beibehalten. Das Ergebnis ist eine Oberfläche, die im ganzen Haus homogen ist. Die Wände sind als Stahlbetonwände in Ortbeton mit Sichtbetonqualität ausgeführt.
Alle Böden über Erdreich wurden mit einer transparenten Epoxidharz-Beschichtung als Nutzschicht versehen. Im Kino-/Veranstaltungsraum kam ein schwimmender Estrich zum Einsatz, der nach bauakustischer Erfordernis ausgeführt und mit einem staubbindenden Anstrich beschichtet wurde.
Eine Sole-Wasser-Wärmepumpe versorgt das Gebäude über ein Erdsondenfeld (16 Sonden) mit Wärme aus dem Erdreich. Diese wird über Rohrleitungen in den Decken bzw. Fußböden in alle Räume transportiert, und somit wird eine Bauteilaktivierung erzielt. Im Sommer kann dasselbe System zur Kühlung verwendet werden.

Sowohl die Ausgestaltung der einzelnen Räume als auch die Landschaftsarchitektur greifen das architektonische Konzept auf und unterstützen dieses. Im Außenbereich werden im Themengarten die vor Ort vorgefundenen Materialien, wie Ölschiefer oder Rückstände aus der Ölgewinnung, aber auch Bimstein und Tuff die als Vorläufer des heutigen Porenbetons betrachtet werden können, in die Gestaltung integriert. Bis hin zur Verwendung von Pflanzen, welche das Aussehen der Grube in früherer Zeit bereits geprägt haben.

Besucher- und Informationszentrum Grube Messel, Darmstadt, Deutschland

Bauherr: Land Hessen
Planung: landau + kindelbacher architekten
Mitarbeiter: Gerhard Landau, Ludwig Kindelbacher, Constanze Linke
Statik: Sailer, Stepan und Partner GmbH
Grundstücksfläche: ca. 25.000 m²
Bebaute Fläche: 2.060 m²
Nutzfläche: 870 m²
Planungsbeginn: Wettbewerb 2006
Bauzeit: 09/2008–08/2010
Fertigstellung: 08/2010

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Kategorie: Projekte