Keramische Landmarke
Mit Ilot Queyries komplettierte MVRDV einen skulpturalen Wohnkomplex in Bordeaux. Rund um einen gemeinsamen Innenhof mit weitläufigen Grünräumen konzipierte ihn das Planerteam als Block mit fast intimer Kleinteiligkeit und einer innovativen Keramikhülle. Das Projekt ergänzt die Stadt im Südwesten Frankreichs um 308 neue Wohnungen, davon 163 Sozialwohnungen, Gewerbeflächen und ein Restaurant auf dem Dach mit spektakulärer Aussicht.
Direkt am namensgebenden Quai des Queyries befindet sich der Wohnbau in La Bastide. Das Viertel am rechten Ufer der Garonne ist bei Einwohnern und Touristen gleichermaßen beliebt. Es lockt mit einem Mix aus pulsierendem Nachtleben, revitalisierten Industriegebäuden, einem gemischtem Kulturangebot, dem botanischen Garten und dem Blick auf die historische Altstadt von Bordeaux auf der anderen Seite des Flusses. Das Projekt wurde in Kooperation mit den lokalen Planern Flint realisiert. Es erstreckt sich auf einem Areal mit rund 23.000 m² Fläche und ist Teil eines neuen, vierteiligen Ensembles, welches MVRDV gemeinsam mit JA Joubert Architecture – dem Büro eines ehemaligen MVRDV-Mitarbeiters – plante. Und damit nicht genug: Für die niederländischen Architekten ist Ilot Queyries eine Art Testlauf. Sie entwickelten bereits vor zehn Jahren einen Masterplan für das angrenzende Stadtviertel Bastide Niel. Dieses soll mit seinen 35 ha sukzessive urbanisiert und in ein neues Wohnquartier für rund 3.500 Familien transformiert werden. Büros, Geschäfte, Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie ein ausgedehntes Wegenetz für Fußgänger und Radfahrer komplettieren das vorgesehene, bunt gemischte Programm. Im Fokus steht dabei, möglichst viele der bestehenden Kasernen, Lagerhallen und Gleiskörper zu erhalten und ein dichtes, aber auch nachhaltiges, dynamisches Umfeld für die Bewohner zu schaffen.
Nach dem Vorbild dieses städtebaulichen Konzepts nutzt der Wohnkomplex die Grenzen des Grundstücks maximal aus. Er setzt sich aus mehreren Volumen unterschiedlicher Höhe zusammen, die sich in ihrer Gestaltung jeweils an der unmittelbaren Nachbarschaft orientieren. Das Ergebnis ist ein mäandernder Baukörper, der sich im Südosten eingeschossig an die niedrigeren Bestandsgebäude anpasst. In der gegenüberliegenden Richtung wächst er bis auf neun Stockwerke an und überblickt Fluss und Stadt. Zum krönenden Abschluss wird hier ein verglastes Restaurant. Der Wohnbau legt sich um einen 5.200 m2 großen Innenhof. Dieser wird liebevoll gestaltet zum Herzstück des Blocks und bietet den Mietern inmitten der französischen Metropole Licht, Luft und ein naturnahes Erlebnis. Auf 200 m Länge wachsen auf der parkähnlichen Fläche üppige Gräser, Sträucher und Bäume in kreisrunden Beeten. Dazwischen schlängeln sich Wege, die zu den Hauseingängen, Passagen und Portalen führen, durch die auch vorbeispazierende Fußgänger einen Blick nach drinnen werfen können. Der halböffentliche Grünraum befindet sich eine Etage über dem Straßenniveau und verbirgt so zugleich die unterirdischen Parkplätze.
Zum Hof hin sind die Fassaden höher, an der Außenseite niedriger ausgeführt. Auch die Neigung der Dächer variiert zwischen 15 und 45 Grad. Die Dachformen wurden entsprechend des Masterplans für Bastide Niel hinsichtlich Faktoren wie Belüftung, Tageslichteinfall und Sonneneinstrahlung optimiert und ergeben individuelle Wohnungstypen für verschiedene Nutzergruppen. Jede der Einheiten verfügt zusätzlich mit Balkon oder Loggia über einen privaten Freibereich und bekommt täglich mindestens zwei Stunden direktes Sonnenlicht. Während der Block im Inneren eine fast intime Atmosphäre kreiert, vermittelt er nach außen ein homogenes Erscheinungsbild. Die zur Straße gerichteten Ansichten sind rundum in profilierte Keramikfliesen gehüllt. Mit ihrem cremefarbenen Ton ziehen sich diese bis auf die schrägen Dächer weiter und machen den Bau zum Hingucker. Die Fliesen fangen das Licht mit ihrer dreidimensionalen Textur ein, zeichnen trotz der monochromen Farbgebung lebendige Schattierungen auf die Wände und verstärken den skulpturalen Charakter des Komplexes. Darüber hinaus sorgt die helle Färbung mit ihrem hohen Rückstrahlungsvermögen dafür, dass die Sonne reflektiert und dem Effekt urbaner Wärmeinseln entgegengewirkt wird.
Laut Hersteller tragen die spezialangefertigten Fliesen auch zur Nachhaltigkeit des Projekts bei: Dank innovativer „Hytect“-Technologie sind die Oberflächen selbstreinigend und garantieren einen langen Lebenszyklus des Materials sowie geringe Wartungskosten. Neben Schutz vor Verunreinigung, Moosbildung und Witterung sollen die antibakteriellen Keramikfliesen sogar Schadstoffe wie Stickoxid abbauen und zu einer besseren Luftqualität beitragen.
Einen kräftigen Kontrast zur hellen Außenhaut bilden die zum Innenhof gewandten Fassaden: Sie sind in rotem Strukturputz ausgeführt, der sich bis in Einschnitte, Durchbrüche und Portale fortsetzt und sich seinen Weg nach draußen zu bahnen scheint. Auch bei der Gestaltung des Parks griffen die Architekten den roten Farbton wieder auf.
MVRDV selbst bezeichnen Ilot Queyries als eine Art „Labor der modernen Stadt, die Intimität, Dichte, Ökologie und Licht vereint“. Rund um die grüne, gemeinschaftlich genutzte Parkfläche des Projekts schufen sie trotz der enormen Größe einen facettenreichen, nahezu intimen Wohnkomplex und zeigen so, dass sich Verdichtung und hohe Wohnqualität nicht ausschließen, sondern vielmehr perfekt ergänzen. Außerdem bereichern die holländischen Planer Bordeaux mit der innovativen Gebäudehülle nicht nur um eine keramische Landmarke, sondern geben mit der nachhaltigen Materialwahl gleichzeitig den Startschuss für das Quartier Bastide Neil – und die französische Stadt der Zukunft.
Ilot Queyries
Bordeaux, Frankreich
Bauherr: Kaufman & Broad, ADIM
Planung: MVRDV
Partnerarchitekten: Flint
Landschaftsplanung: Sabine Haristoy
Keramikfassade: Agrob Buchtal
Grundstücksfläche: 23.000 m²
Planungsbeginn: 2011
Baubeginn: 2017
Fertigstellung: 2021
Text: Edina Obermoser
Fotos: Ossip van Duivenbode
Kategorie: Projekte