Kreuz und quer gedacht
4.600 Quadratmeter Forschungs- und Ausstellungsflächen realisierten CLOU architects mit dem FarmLab im chinesischen Sanya. Der Multifunktionsbau vereint mit Landwirtschaft und Tourismus die beiden wichtigsten Wirtschaftssektoren der Region unter einem Dach und bietet Platz für Showrooms, vertikalen Indoor-Anbau und ein Farm-to-table-Restaurant. Rund um die innovative Forschung im Inneren legt sich eine ebenso smarte Rasterfassade.
Mit ihrem tropischen Klima und den weiten Sandstränden zieht die Insel vor der Südküste Chinas vor allem Urlauber an. Neben dem Tourismus ist auf Hainan aber auch die Landwirtschaft von großer Bedeutung. Der Anbau und Vertrieb von Kaffee, Früchten und Nüssen floriert. Doch nicht nur der Agrarhandel, sondern auch die damit verbundene Forschung erlebt in Sanya, dem Zentrum im Süden des Eilands, einen regelrechten Boom. Denn immer häufiger wird die Nahrungsmittelproduktion – in Folge des Klimawandels – von knappen Ressourcen wie Wasser oder Boden beeinträchtigt. Auch die lokale Regierung erkannte den Bedarf an neuen, zukunftsfähigen Optionen und investiert zunehmend in Projekte dieser Art. Im Zuge dessen entwickelt sich der Nanfan-Bezirk sukzessive zum Silicon Valley der Saatgutindustrie und widmet sich als Hightech-Hub der landwirtschaftlichen Wissenschaft und Technologie von morgen. Im Auftrag der Immobilienfirma Jinmao gestalteten CLOU architects mit dem FarmLab den jüngsten Zuwachs als neuen Fokus im Stadtteil.
Das L-förmige Gebäude entwickelt sich über vier Geschosse in die Höhe und wird von einer auffälligen Hülle umschlossen: Ab dem zweiten Stockwerk verlaufen die Fassaden schräg und werden mit dem Flachdach Teil des oberen Abschlusses. Oberhalb einer teils offenen, teils verglasten Sockelzone legt sich eine enorme Gitterstruktur über den kompakten Baukörper. Für diese ließ sich das Planerteam von den auskragenden Dachkonstruktionen der auf Hainan ansässigen Li-Minderheit inspirieren. Aus den traditionellen Strukturen wurde ein großformatiges Raster, welches dem Neubau sein charakteristisches Aussehen verleiht. Es stellt die erste Schicht der Außenhülle dar, schließt diese allerdings nicht hermetisch ab, sondern lässt mit seiner Transparenz Aus- und Einblicke zu.
Aufgrund von baubehördlichen Entscheidungen durfte das Gitter nicht – wie ursprünglich geplant – als tragende Fassade in Schichtholzträgern gebaut werden. Stattdessen besteht es nun aus einem mit furnierten Aluminiumelementen verkleideten Stahltragwerk. Die regelmäßig angeordneten Rasterträger sind bis zu einem Meter tief. Sie dienen mit ihren breiten Laibungen hauptsächlich als Sonnenschutz und garantieren die passive Kühlung des Sanya FarmLab. Neben der Beschattung sorgt die Dach- und Fassadenebene zudem für die natürliche Belüftung des Gebäudes: Während die Zwischenräume des Gitters an den Seiten offen bleiben, sind sie in den schrägen Abschnitten verglast. Das Glas ist je nach Programm innenseitig bedruckt oder klar, und schützt die Räume als zweite Hülle vor der Witterung. Es reduziert die Solarabsorption um bis zu 70%, lässt gleichzeitig aber jede Menge Licht einfallen und erinnert damit an landwirtschaftliche Gewächshäuser. Dadurch herrscht in dem neuen Zentrum ein durchwegs helles und freundliches Ambiente sowie ein angenehmes Raumklima, das durch die freie Luftzirkulation begünstigt wird. Integrierte Entwässerungsrinnen sammeln das Regenwasser, das anschließend für die Bepflanzung im Gebäude und die umgebenden Grünflächen genutzt wird. Für den ganzheitlichen Ansatz erhielt der Multifunktionsbau unter anderem den Iconic Award für innovative Architektur und wurde beim German Design Award für herausragende Architektur speziell gewürdigt.
Hinter der auffälligen Fassaden- und Dachstruktur verbirgt sich ein bunter Mix aus Außen- und Innenräumen sowie halboffenen Bereichen. Dynamische Grundrisse sollen auf allen Etagen den Austausch zwischen Wissenschaftern, Besuchern und Touristen fördern. Nur die Labore und Büros sind in gestapelten, geschlossenen Glasboxen untergebracht und aktiv klimatisiert. Ein zentraler Kern mit Treppe und Lift nutzt den Kamineffekt und führt warme Luft aus dem Gebäude nach oben hin ab. Rund herum ordnen sich – umschlossen von der Gitterstruktur – mit begrünten Plattformen, Spielflächen für Kinder, Multimedia-Ausstellungen und Café sämtliche öffentlichen Besucherfunktionen an. Im Erdgeschoss kragt die gerasterte Hülle über den Haupteingang und die Erschließungsflächen aus. Besucher empfängt hier nicht nur eine großzügige Lobby, sondern auch eine skulpturale Wendeltreppe, deren Spiralform den Raum beherrscht. Sie wird lediglich durch das Fassadenraster vom Außenraum abgegrenzt und verbindet vertikal die überdachten Freibereiche innerhalb des FarmLab. Ein großes offenes Auditorium rundet das Raumprogramm ab.
Start-ups und innovative Unternehmen widmen sich in dem neuen Mehrzweckgebäude Themen wie Agrarrobotik und vertikalem Indoor-Farming. Die Forschung findet nicht nur hinter verschlossenen Türen statt, sondern wird in den anschließenden Ausstellungsbereichen auch den Besuchern nähergebracht. Diese sollen ihren eigenen Konsum bewusst überdenken und erhalten praktische Vorschläge für einen nachhaltigeren Lebensstil. Die angebauten Lebensmittel kommen im hauseigenen Restaurant direkt auf die Teller der Gäste und machen so das Farm-to-table-Konzept schmackhaft.
Mit dem Forschungs- und Ausstellungszentrum wollten CLOU architects eine moderne Interpretation des Landwirtschaftsbetriebes schaffen, in dem Büro, Labor und Ausstellung nebeneinander und miteinander Platz finden. Diese Vision verkörperten sie in einem Entwurf, der Nachhaltigkeitsbewusstsein auf programmatischer wie architektonischer Ebene thematisiert. Das Sanya FarmLab zeigt neue Wege für die Landwirtschaft der Zukunft auf, lädt zum Entdecken, Verstehen und Probieren ein und wird so zum vielschichtigen Vermittler. Die effiziente Gebäudehülle ergänzt den zukunftsweisenden Ansatz mit ihrem Lowtech-Konzept perfekt und zeigt, wie ein komfortables Raumklima durch passive Planungselemente auch in tropischen Breitengraden ohne flächendeckende Klimatisierung umgesetzt werden kann.
Sanya Jinmao FarmLab
Sanya, Hainan, China
Bauherr: Jinmao Sanya Nanfan Rongmao Real Estate
Planung: CLOU architects
Projektleitung: Jan Clostermann, Lin Li
Team: Na Zhao, Sebastian Loaiza, Julien Douillet, Yaxi Wang, Tianshu Liu, Tiago Tavares, Principia Wardhani, Javier Pelaez, Yiqiao Zhao
Statik/ TGA: Urban Architecture Design
Fassadenplanung: China Building Technique Group
Lichtplanung: Fuzhou Bovs Lighting Design
Grundstücksfläche: 3.485 m2 (Teilfläche)
Bebaute Fläche: 1.280 m2
Nutzfläche: 4.800 m2
Planungsbeginn: Januar 2020
Bauzeit: 12 Monate
Fertigstellung: Juli 2021
Text: Edina Obermoser
Fotos: Shining Laboratory
Kategorie: Projekte