Kristallarchitektur mit goldenem Funkloch
Philharmonie in Szczecin / Polen / Barozzi/Veiga
Die von dem Architekturbüro Barozzi/Veiga entworfenDie von dem Architekturbüro Barozzi/Veiga entworfene Philharmonie in Szczecin, Polen wurde mit dem „Mies van der Rohe Award 2015“ ausgezeichnet. Wie ein weißer Kristall, bei Tag strahlend und in der Nacht leuchtend – so stellt sich diese Architektur in der Reihe der europäischen Kulturbauten dar.e Philharmonie in Szczecin, Polen wurde mit dem „Mies van der Rohe Award 2015“ ausgezeichnet. Wie ein weißer Kristall, bei Tag strahlend und in der Nacht leuchtend – so stellt sich diese Architektur in der Reihe der europäischen Kulturbauten dar.
Wie eine Gruppe weißer Kristalle wächst die Architektur aus dem Stadtboden von Stettin, bei Tag strahlend und in der Nacht leuchtend. Man vermeint in den unregelmäßigen Dach- oder Turmformen eine Analogie zu alten schmalen Stadthäusern – vielleicht in Fachwerk erbaut – zu entdecken, oder die senkrechten Gebäudefugen oder gotische Elemente der Kirchen oder eine Erinnerung an Ladekräne und Masten im Hafen? Oder alles zusammen?
Stettin, heute Szczecin genannt, ist die siebtgrößte Stadt der Republik Polen, gelegen an der Mündung der Oder zum Stettiner Haff, einer der größten Seehäfen des Ostseeraumes und drängt seit einigen Jahren mit Macht auf die Landkarte der europäischen Kulturzentren. 2014 wurde hier die Mieczysław Karłowicz Philharmonie eröffnet – sie steht am Platz des alten, im Krieg zerbombten und später abgerissenen Konzerthauses. Im März 2011 erfolgte der erste Spatenstich, dreieinhalb Jahre später war das Haus fertig – alles für 30 Millionen Euro – sollen sich einige Städte daran ein Vorbild nehmen. Entworfen vom spanisch/italienischen Architekturbüro Barozzi/Veiga aus Barcelona erhielt sie vor einem Monat den „Europäischen Mies van der Rohe Award 2015“ verliehen. Nicht zu Unrecht, denn sie sieht einfach toll aus.
Aus der Entfernung hat man den Eindruck, als ob Christo eine Gebäudegruppe mit spitzen Giebeln in weißen Stoff gehüllt hätte. Aus der Nähe ist die weiße Fassade der zusammengestellten kleinen Häuschen undurchschaubar – eine vorgehängte Fassade aus Metall umhüllt die innere Glashaut. Dazwischen befindet sich eine LED-Installation, welche die Architektur in der Dunkelheit zum Leuchten bringt. So wird die Philharmonie in der Wahrnehmung des Betrachters zu einem Lichtobjekt. Wenn man Glück hat, kann man an einem wolkenlosen Tag sogar die Farben Pommerns – Weiß und Blau – in der Architektur entdecken. In der Außenansicht (wie auch in den nebenliegenden Quartieren) dominiert die Vertikalität und Geometrie der Dachformen.
Die äußere Sparsamkeit in der Erscheinung und die Komposition der inneren Erschließungsräume kontrastieren mit der Expressivität der Haupthalle und der Üppigkeit der Konzerthalle mit ihren blattvergoldeten Vertäfelungen. Der große Saal kann 1.000 Besucher aufnehmen, der Saal für Kammermusik immerhin 200, zusätzlich gibt es multifunktionale Räume für Ausstellungen und Veranstaltungen, ein großes Foyer und Konferenzmöglichkeiten. In Anlehnung an die mitteleuropäische Tradition der klassischen Konzerthallengestaltung wird die Dekoration zu Ornament und Funktion. Der Saal ist nach einer Fibonacci-Sequenz, eine Zahlenreihe, deren Teilung sich mit der Distanz zur Bühne vergrößert, entworfen und gestaltet. Die unregelmäßig aufgebrochenen Wandvertäfelungen sorgen für gute Akustik und das gesamte Volumen ist dermaßen gegen Strahlungen isoliert, dass während einer Konzertveranstaltung garantiert kein Handy klingeln kann und wird.
Die Grundrissgestaltung der Philharmonie ist von einer, den gesamten Block umlaufenden, Raumfolge bestimmt. Hier befinden sich die alle Service- und Nebenräume. Auf der einen Seite bildet sich durch dieses Prinzip der Leerraum für die große Halle und die Kammermusikhalle, andererseits wird so der Kontext zur den umliegenden Bauten hergestellt. Die serielle Modulation der Dächer über den einzelnen Raumsequenzen bildet das zweite expressive Element, das die Integration der Architektur in das fragmentierte, urbane Profil der durch den Weltkrieg stark beschädigten Stadt ermöglicht. So verbindet sich auch die Philharmonie mit ihrer städtischen Umgebung.
Die Innenräume werden durch ein künstliches und gleichzeitig sehr komplexes Volumen geprägt – dieses wird mittels durchgehender Wegführung, die all die Funktionen entlang einer öffentlichen ‚Promenade‘ durch die verschiedenen Ebenen des Hauses verbindet, zusammengefasst. Das ganz in Weiß gehaltene Foyer mit seinen Stiegenanlagen, Garderoben, dem Café und der klaren, räumlichen Expressivität ist atemberaubend. Auf jeglichen Firlefanz hat man zugunsten einer eindrucksvollen Gestaltung verzichtet. Ein wahres Lehrstück für gute Architektur, die aus sich heraus wirkt und keine Behübschungen mehr braucht.
Das Gebäude verwendet hauptsächlich passive Systeme der Energiegewinnung und -kontrolle. Eine doppelte Fassade verbirgt den Großteil der Installationssysteme, bietet eine grundsätzliche Schallisolierung gegen außen und verhindert durch die natürliche Ventilation eine Überhitzung der Räume. Das LED-System, welches zwischen den beiden Außenhäuten verborgen ist, verwandelt den Körper in einen leuchtenden Kristall mit einem Minimum an Energieaufwand. Die Dächer sind vielschichtig aufgebaut, mit Unterschieden über der Halle und den Nebenräumen, um bestmögliche akustische und thermische Bedingungen zu schaffen.
Text: Peter Reischer
Fotos: Hufton + Crow, Jakub Certowicz
Kategorie: Projekte