Mann mit Hut

2. Juni 2022 Mehr

In Südtirol, am Abzweig zwischen Pflersch und Wipptal, etwas oberhalb des Ortskerns von Gossensaß, steht mit dem „Steinernen Mandl“ seit 2021 das Wohnhaus einer jungen Familie. Der monolithische Baukörper, der sich im Steilhang vor allem in die Höhe entwickelt, besteht aus Dämmbeton – einem Material, mit dem pedevilla architects ein funktionales wie ästhetisches Statement und ein Markenzeichen setzten.

 

Haus G – Steinernes Mandl – pedevilla architects

 

Das sogenannte „Steinerne Mandl“ lässt sich in den Alpen vielerorts finden. Ein solch prächtiges wie das auf 1.100 Metern oberhalb von Gossensaß gelegene, ist hingegen ein wahrhaft seltenes Exemplar seiner Spezies. Mit stolz geschwellter Brust und keckem Hut stemmt sich der von pedevilla architects entworfene monolithische Baukörper selbstbewusst in den Steilhang. Er scheint dabei, mitsamt seiner monochrom angelegten Gebäudehülle in erdigen Brauntönen, mit den Baumrinden der angrenzenden Wälder, den wilden Brombeerhecken, dem trockenen Unterholz und den Gräsern im Winterhalbjahr eins zu werden. 

 

Haus G – Steinernes Mandl – pedevilla architects

 

Hier in Südtirol, am Abzweig zwischen Pflersch und Wipptal, wo sich nach der letzten Eiszeit ein kanzelartiger Geländevorsprung bildete, befindet sich heute das neue Zuhause einer jungen Familie. Der Anblick des turmartigen Baukörpers vermag dabei genauso zu überraschen und zu verzücken, wie der Rundumblick auf die beiden angrenzenden Täler und bis hinauf ins Hochgebirge. Die Gestalt ergab sich einerseits aus der Topografie eines bis zu 50° steilen Südhangs, andererseits aus Respekt vor dem Ort, dem man so wenig Fläche wie möglich abtrotzen wollte. Zusätzlicher Pluspunkt: das unterste wie oberste Geschoss sind auf diese Weise ebenerdig zugänglich.

 

 

Der Monolith scheint dabei gleichermaßen aus dem Boden gewachsen und fest mit ihm verwurzelt. Zum Schutz vor Wind und Wetter und den teils rauen klimatischen Bedingungen, haben die Architekten ihren „Mann“ in einen 75 Zentimeter dicken Mantel aus Dämmbeton gehüllt. Schützen, Dämmen, Tragen: die schalglatt aus konstruktivem Leichtbeton gegossenen Außenwände fassen alle Funktionen der Fassade in nur eine Schicht und vermitteln den Bewohnern ein Gefühl der heimeligen Geborgenheit. Auf dem Kopf: ein Hut mit breiter Krempe, belegt mit rautenförmigen Betonplatten, die in einem fast 200 Jahre alten Verfahren händisch hergestellt wurden. Ergänzend dazu, wurden auch die beiden Eingänge durch ebenso handwerklich produzierte, rautenförmige Holzschindeln veredelt.

 

 

Dazu die Architekten: „Damit werden die Materialien auch zum Spiegel der lebhaften Geschichte des Ortes, der dank des Silberbergbaus einst zu großem Wohlstand gelangt war und Anfang des 19. Jahrhunderts noch zu einem wichtigen Badekurort wurde. Die Tradition und daraus erwachsene haptische, sinnliche Erfahrungen – wie etwa die des Badens und der Badekultur selbst – machen uns den Wert handwerklich verarbeiteter, zeitloser Materialien bewusst und lassen sie uns langfristig erhalten – bis sie uns überdauern.“

 

 

Aus räumlicher Sicht sind die drei unteren Geschosse aufgrund der Hanglage etwa zur Hälfte im Erdreich verborgen. Edle Materialien wie unbehandelte Tanne für Böden, Fenster, Türen und Möbel, handgearbeitete Terrazzoflächen sowie handwerklich hergestellte Kalkputze schaffen ein neutrales, helles und zurückhaltendes Umfeld, das den äußeren Eindruck im Inneren stringent fortführt. Auf die Farbe des Betons abgestimmtes, brüniertes Messing und handgearbeitetes Glas ergänzen die handwerkliche Materialpalette und verleihen dem Haus Beständigkeit.

 

 

Der Dachraum öffnet sich dahingegen besonders definiert und kraftvoll. Eine introvertierte, kompakt gewendelte Treppe führt – roh und anmutig zugleich – verborgen im Gebäudekern in das Dachgeschoss, das sich zu einem offenen Wohn- und Aufenthaltsbereich auftut, der bis unter das, bis zu sechs Meter hohe, weit auskragende Satteldach reicht und über ein umlaufendes Fensterband den Rundumblick auf Berge und Wälder freigibt. Der ruhig, nüchtern und zurückhaltend gestaltete Raum rückt die wilde Gebirgslandschaft und den Ausblick im Wechsel der Jahreszeiten in den Mittelpunkt des Geschehens. Einzig der zentral angeordnete Kachelofen, mit seinen in Blau- und Grüntönen schimmernden Fliesen, scheint als bewusst platziertes Spiegelbild, die Wiesen und den Himmel im Haus gezielt widerzuspiegeln. Gerade am Abend, wenn es draußen dunkel wird, richtet dieser den Fokus auf den Raum selbst und erinnert an die traditionellen Stuben.

 

Haus G – Steinernes Mandl – pedevilla architects

 

Während sich im unteren Geschoss die zurückgezogeneren, privaten Räume wie Schlafzimmer, Ankleide, Bad und eine Loggia befinden, ist die obere Ebene hell und offen gestaltet. Die Küche verschmilzt dabei nahezu mit der Wandfläche, ein freistehender, massiver Block definiert den Raum und lädt zum gemütlichen Zusammenkommen und regen Austausch ein. Hochwertige Textilien, gezielt platzierte Möbelstücke und ausdrucksstarke Leuchten bestimmen das Bild und fungieren mit Blick auf die umgebende Naturlandschaft dennoch nur als stumme Statisten der Szenerie.

Bei genauerer Betrachtung brillieren auch an dieser Stelle die Details: Die Aufhängung der eigens für den Raum entworfenen Glasleuchte wurde etwa – wie auch die Küchenarbeitsplatte und das Ofenrohr – in edlem Messing ausgeführt,  das massiv gegossene Glas beweist aufgrund der Lufteinschlüsse höchste Handwerkskunst.

 

Haus G – Steinernes Mandl – pedevilla architects

 

Das Wohnhaus erhielt als erstes Dämmbetongebäude die italienweit erreichbare Zertifizierung Klima­Haus A Nature, welche auf eine streng überwachte Evaluierung unter anderem der grauen Energie und der Wohngesundheit zurückgeht. Unter Einbeziehung der intelligent konzipierten Gebäudetechnik erreicht die CO2-Gesamtenergieeffizienz sogar die noch höhere Klassifizierung KlimaHaus Gold, die dem Bauwerk den aktuell höchsten Standard in Sachen Ökologie, Ökonomie und Nachhaltigkeit bescheinigt.

 

 

Dazu passt der Eindruck, man lebe hier an einem unberührten Ort inmitten der Berge. Die großzügige, nach Westen orientierte Terrasse gibt den Blick auf das zu Fuße liegende Dorf frei und vermittelt ein Gefühl der Gemeinschaft und der Zugehörigkeit. Doch wenn es will, dann steht dieses Steinerne Mandl einsam und erhaben ganz für sich und fernab von Alltagsstress und Hektik seinen Mann – höchstens ein zufriedenes, kleines Schmunzeln im Gesicht.

 

Armin & Alexander Pedevilla
„Uns geht es um die Kreisläufe der Materialien, deren Haltbarkeit und Lebensdauer, aber auch um überlieferte Methoden der traditionellen Handwerkskunst. Es geht am Ende darum, dass Materialien leben.“
Armin & Alexander Pedevilla

 

Haus G – Steinernes Mandl
Gossensaß, Südtirol, Italien

Planung: pedevilla architects
Mitarbeiter: Matteo Bolgan, Michael Rollmann
Statik: Ingenieurteam Bergmeister, Vahrn

Grundstücksfläche: 3.750 m2
Bebaute Fläche: 150 m2
Nutzfläche: 383 m2
Planungsbeginn: 03-2019
Bauzeit: 14 Monate
Fertigstellung: 07-2021

www.pedevilla.info

 

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Gustav Willeit

 

Kategorie: Projekte