Materialvisionen – Cyril Lancelin

19. Oktober 2017 Mehr

Green Chapel / Normandie / Cyril Lancelin
Glas House/ Lyon / Cyril Lancelin

Grün im Walde
Die „Green Chapel“ liegt als teilweises Gedankenkonstrukt mitten in einem Wald in der Normandie.
Diese temporäre Architektur kann transportiert und leicht aufgebaut werden und nach einiger Zeit auch ganz leicht wieder verschwinden. Die Außenwände sind aus sphärenförmigen Körpern aus grünem Polycarbonat gebildet, einem widerstandsfähigen, wetterfesten Material. Dieses Konzept der grünen Kugeln wird in alle Richtungen wiederholt, um die Hüllform zu bilden. Manche der Kugeln sind heller, durchsichtiger, andere weniger, aber alle sind sie transluzent. Die Stirnwand besteht aus einer ebenfalls transluzenten Scheibe. In ihr ist ein Kreuz ausgespart, damit der Körper als Kirche oder Kapelle identifiziert werden kann. Durch die Transluzenz gelangt das Licht des Waldes gefiltert in den Innenraum und sorgt hier für eine ruhige, friedvolle Atmosphäre im Kirchenschiff. Kleine Verschiebungen und Öffnungen bilden den Eingang und Ausblicke in den Wald. Jede Kugel ist mit der nächsten verbunden. „Die Sphäre ist ein Lieblingsinstrument der Ingenieure, wenn multifunktional nutzbare Objekte erstellt werden sollen“ meint Cyril Lancelin dazu. Hier ist das Ergebnis eine Kapelle, die für die Natur gemacht wurde.

Die Vision des Architekten war das Licht, das durch ein Fenster in den Raum eindringt. Ein Raum, der mitten in der Natur liegt, durchlässig für Wind und Regen aber trotzdem vor der direkten Sonnen­einstrahlung geschützt. Er badet förmlich im Sonnenlicht und den schemenhaften Bewegungen der umgebenden Bäume. Man kann ihn betreten, durchschreiten und er kann wieder verschwinden. Mit dem Gedanken dieser Mobilität geht auch eine Reduktion des notwendigen Mobiliars der Kapelle einher: Einfachste Formen von Bänken, Sitzgelegenheiten und Stufen. Wenn die Kapelle verschwindet, bleiben sie als Relikte, als Erinnerungen zurück.

 

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Ein Architekt, der sich (fast) ausschließlich mit Visionen, neuen utopischen Materialien, deren Visualisierung und ihrer Verwendung in der Architektur befasst, ist Cyril Lancelin. Der 1975 geborene Architekt beschäftigt sich seit seinem Diplom 1999 hauptsächlich mit dem „Wohnen“ und seinen Grenzen. Mit seinen Projekten überschreitet er die herkömmliche Auffassung des Gemütlichen, des Wohnbaren und führt neue (utopische) Materialien und Anwendungen in seine Architektur ein. Die zwei hier gezeigten Arbeiten sind beispielgebend für sein Werk, beide sind äußerst perfekt gemachte Renderings, Gedankenprojekte, die eine gewisse Faszination nicht leugnen können.

 

 

 

Hinter Glas
Weiter südlich, in Lyon, hat Lancelin ein weiteres, visionäres Projekt angesiedelt: das Zylinderhaus. Entworfen hat er es, damit es zwischen die Bäume eines kleinen Waldstückes hineinpasst. Kein einziger Baum müsste weichen. Für diese Architektur basiert das Konzept auf der Nebeneinanderstellung eines ganz einfachen Elementes, eines Zylinders. Dieser Körper kann aus Glas, anderen Materialien, offen, halb offen oder geschlossen sein, je nachdem es seine Lage oder die Abgrenzung im Gefüge verlangt. Der Grundriss ist völlig offen, die Zylinder werden wie ein Stempel benutzt, um Bereiche zu definieren. Es gibt keine Gänge in diesem Haus, keine Fenster, alles ist Bewegung und offen zur Außenwelt hin. Natürlich existiert ein Spiel mit den Höhen der Säulen, um die Decken zu bestimmen. Die Möbel markieren und bestimmen den Raum und die momentane Nutzung. Aber die Bewegung kann das Haus jederzeit verändern und neu designen. Alles in dieser Architektur kann der Entwicklung der jeweiligen Bewohner und Nutzer folgen und angepasst werden. Man verschiebt einfach ein paar Zylinder und schon hat man einen neuen Grundriss. Dementsprechend gibt es auch keine Ansichten, keine Fassaden, sondern eine sich wellende Oberfläche, welche die Architektur mit ihrer Umgebung verschmelzen lässt.
Diesen Kriterien entsprechend ist es auch müßig sich über WCs, Küchen, Bäder und derartige Räume Gedanken zu machen – bei unseren technischen Möglichkeiten sind dafür jederzeit Lösungen zu finden. Wichtiger an dieser Architekturvision ist eine neue Auffassung von Raum und von „Benutzen“. „Nutzen“ ist hier nicht mit „Nützlichkeit“ gleichzusetzen. Entsprechend den modernen utilitaristischen Theorien ist diese Architekturauffassung eine Ablösung des Funktionalismus durch einen Hyper-Utilitarismus, der dem weiteren Begriff menschlichen Wohlergehens verbunden ist.

 

Grafiken: ©Cyril Lancelin

Text: ©Peter Reischer

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Kategorie: Projekte