Mehr als nur Fassade
Sauerbruch Hutton plante in Genf den neuen Hauptsitz von Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen). Als Antwort auf den Modus Operandi der medizinischen Hilfsorganisation mit ständig wechselnden Teams entwickelten die Berliner Architekten ein flexibles Raumkonzept. Die anpassungsfähige Gebäudestruktur setzt sich bis nach außen fort, wo eine begrünte Fassade das Projekt energieeffizient abrundet.

Umgeben von Institutionen der UN und Konsulaten fügt sich das Hauptquartier von Ärzte ohne Grenzen in den Stadtteil Morillon ein. Die Teams und Abteilungen der internationalen Organisation formieren sich je nach Einsatz neu. Um möglichst schnell auf Notsituationen reagieren zu können, stand bei der Planung des Neubaus Flexibilität im Mittelpunkt. Darauf reagierten die Planer mit verschieden großen Räumen, die sich je nach Bedarf einfach skalieren lassen. Mobile Raumteiler und Einrichtungsmodule unterstützen das adaptierbare Konzept. Zwischen den Einzel- bzw. Gruppenbüros und den Konferenzräumen laden auf allen sieben Ebenen offene Gemeinschaftsbereiche wie Teeküchen, Sitzgelegenheiten und andere Versammlungsorte zum informellen Austausch ein. Anstelle eines starren Erschließungskerns werden sämtliche Etagen durch ein kaskadenartiges Treppensystem verbunden. Dieses verschränkt die unterschiedlichen Bereiche räumlich und visuell miteinander, schafft fließende Übergänge und fördert die Kommunikation der Beschäftigten weiter. Ein Foyer mit Auditorium, eine Agora und ein öffentliches Restaurant im Erdgeschoss sowie eine Dachterrasse komplettieren das bunte Raumprogramm.
Die raumhaltige Fassade bildet die durchgängigen Arbeitswelten auch an der Außenseite des Gebäudes ab und erweitert die Räume des Bürobaus teils in Form von Balkonen und Loggien ins Freie. Sie setzt sich wie ein Puzzle aus unterschiedlich proportionierten Holzrahmen zusammen, die sich über bis zu drei Geschosse erstrecken. In die Rahmen integriert, sind neben technischen und funktionalen Elementen wie Jalousien, Geländer sowie Be- und Entwässerung auch Pflanzkübel und Klettergitter. Damit schafft das Planerteam die konstruktiven Voraussetzungen für eine vertikale Begrünung der Ansichten. Die Vegetationsschicht soll sowohl den Ausblick rahmen als auch als passiver Klimapuffer dienen. Während die dicht bewachsenen Fassaden im Sommer wie ein Filter als natürlicher Sonnenschutz dienen, gelangt in der dunklen Jahreszeit mehr Tageslicht ins Innere. Das Mikroklima der grünen Hülle bringt nicht nur für den Neubau selbst Vorteile, sondern wirkt sich dank CO2-Absorption positiv auf die Luftqualität im gesamten Stadtquartier aus.
Hinter der grünen Fassade setzte man mit Cradle-to-Cradle-Produkten und regionalem Holz ebenfalls auf nachhaltige Materialien. In den Arbeitsbereichen des neuen Hauptquartiers liegt der Fokus auf warmen, natürlichen Oberflächen, die ein angenehmes Raumklima garantieren. Dazu kommen thermisch wirksame Sichtbetondecken. Technische Installationen finden im Bodenaufbau und in perforierten Metall-Deckenpaneelen Platz. Die schwebenden Segel heizen bzw. kühlen und regulieren zugleich die Akustik. Mit 1,40 m orientiert sich das Raster der Büroflächen außerdem an jenem der Ansichten. Das ermöglicht künftig eine flexible Anpassung der Grundrisse und damit eine lange Nutzungsdauer.
An der Außenseite wird die dreifach verglaste Fassade zusätzlich durch motorisierte Textiljalousien vor Überhitzung geschützt. Diese lassen sich sowohl vom hauseigenen Automationssystem als auch von den Nutzern steuern. Für maximalen Komfort sollen auch die öffenbaren Fensterflügel sorgen, welche die mechanische Belüftung ergänzen. Neben der hocheffizienten Gebäudehülle tragen weitere Planungsentscheidungen zur Nachhaltigkeit des neuen Médecins Sans Frontières Sitzes und damit der Erfüllung des Schweizer Minergie-P-Standard bei: Dazu gehören z.B. eine Photovoltaikanlage auf dem Dach sowie der Anschluss des Hauses an das Wärme- und Kältenetz GeniLac. Dieses setzt mit Wasser aus dem Genfer See auf eine ökologische Temperierung und damit zu 100 % auf erneuerbare Energie.
Text: Edina Obermoser
Fotos: Adrien Barakat, Jan Bitter
Kategorie: Projekte








