Mehr Baum als Raum
„Der gute Nachbar“ – das von querkraft architekten konzipierte urbane, autofreie IKEA Einrichtungshaus und Hostel setzt ein Zeichen im Herzen von Wien. Die öffentliche Dachterrasse sowie 160 Bäume auf und rund um das Gebäude sind eine Reaktion auf den „Urban Heat Island-Strategieplan“ der österreichischen Hauptstadt – und zeigen, was möglich ist, wenn ein offener Bauherr und ein innovativ agierendes Architekturbüro zueinander finden.
Das Klima in Stadt und Grätzl bringt die Bewohner zunehmend zum Schwitzen. Die Antwort der Wiener Umweltschutzabteilung: der Urban Heat Island-Strategieplan (UHI STRAT). Das gemeinsam mit Wissenschaftlern und mehreren Fachabteilungen der Stadt entwickelte Maßnahmenpaket zeigt Möglichkeiten auf, wie städtische Hitzeinseln zukünftig abgekühlt werden können – nämlich durch strategisch eingesetzte Beschattung und Belüftung, adäquate Materialwahl sowie Regenwassermanagement oder Gebäudebegrünung. Der neue IKEA am Westbahnhof macht vor, wie dies konkret funktionieren kann.
Urban, autofrei, lebendiger Stadtbaustein – so präsentiert sich die 2021 eröffnete IKEA-Filiale in Wien und geht dabei weg vom gewohnten geschlossenen Kasten in blau und gelb weit draußen auf der grünen Wiese. Der Entwurf der ortsansässigen querkraft architekten zollt damit dem vom Bauherren im Vorfeld eines dreistufigen Wettbewerbs ausgegebenen Slogans „We want to be a good neighbour“ Respekt und wurde in mehreren intensiven Workshops partizipativ erarbeitet. Im Sinne einer lebendigen und ökologischen Stadt und dank der ausgezeichneten Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz wurden Parkplätze gestrichen – dafür laden eine öffentliche Dachterrasse und eine vorgelagerte, begrünte durchlässige Pufferzone zwischen Innen- und Außenraum zum entspannten Verweilen ohne Konsumzwang ein. Falls doch Shopping-Laune aufkommen sollte: Im Wiener Raum ist eine Lieferung des Einkaufs mittels – noch zum Teil – elektrisch angetriebener Flotte möglich.
Die Infrastruktur im und um das Gebäude ist bewusst sichtbar belassen, um den Raum aktiv erlebbar zu gestalten. Diese Offenheit ermöglicht zudem ganz natürlich Interaktionen und wirkt barrierefrei auf die Nachbarschaft. Folglich wurde die Eingangsebene als belebter Ort konzipiert, der über einen großzügigen Luftraum mit der vorgelagerten Verkaufszone entlang der Mariahilferstraße verbunden ist. Im Inneren des Gebäudes ermöglicht ein durchgehender Luftraum Blickbeziehungen zwischen den Ebenen. Entstanden ist ein luftiger, naturnaher Baukörper, der einem bunt gefüllten Regal gleicht, aus dem jeder wählen kann, wonach ihm gerade ist: Konsum, Freizeit, Auszeit, Urlaub. Die Auszeichnung mit dem Greenpass® Platinum Zertifikat kommt also nicht von ungefähr, denn der markante Solitär ist auf mehreren Ebenen nachhaltig gedacht:
Struktur: Die Grundrisse und die Tragkonstruktion aus vorgefertigten Stahlbetonstützen mit einem Raster von zehn auf zehn Metern sind bewusst offen und flexibel gestaltet, sodass eine Umstrukturierung jederzeit problemlos möglich ist – wie die hybride Nutzung als Verkaufsfläche und Hostel bereits jetzt beweist. Positiver Nebeneffekt: ein Haus, das 24/7 lebt.
Material: Bei der Auswahl der verwendeten Materialien wurde generell großer Wert auf Aspekte der Nachhaltigkeit und Ökologie gelegt, was mit dem Zertifizierungsgrad BREEAM Excellent gewürdigt wurde. Neben der Trittschalldämmplatte, dem Bodenbelag und den Dämmstoffen setzten die Architekten auch im Innenausbau auf den Einsatz von emissionsarmen Baustoffen.
Grün: 160 Bäume sind auf und rund um das Gebäude verteilt. Das bringt nicht nur Natur in die Stadt, sondern spendet auch Schatten und sorgt durch die Verdunstungskälte für ein angenehmeres Mikroklima. Bienenstöcke, Insektenhotels und Nistplätze fördern außerdem die Biodiversität.
Haustechnik: Lifte, Fluchttreppen und technische Elemente wurden aus dem Gebäude heraus nach außen verlagert. Um eine effiziente Versorgung des Gebäudes sicherzustellen, liegt der Haustechnik ein einfaches Prinzip zugrunde – kurze Distanzen und direkter Zugriff. Auf dem Dach wurden zudem auf einer Fläche von 500 m2 280 Solar-Paneele installiert, die einer Gesamtleistung von 88 kWp entsprechen.
Die Idee des dreidimensionalen Parks in der Stadt – einer Naherholungsfläche und Begegnungszone von Nachbarn und Besuchern – passt zu IKEA im
21. Jahrhundert und scheint laut zu rufen: entdecke die Möglichkeiten!
3 Fragen an querkraft
Was macht diesen IKEA anders als andere und was verleiht dem Projekt eine Vorbildfunktion?
Der größte und augenscheinlichste Unterschied ist die Lage des IKEA im Stadtzentrum. Durch diesen besonderen Standort an einem Knotenpunkt der öffentlichen Verkehrsmittel wurden Parkplätze obsolet und das Konzept des Einrichtungshauses konnte neu formuliert werden. Durch die intensive Begrünung rund um und auf dem Gebäude konnten mehr Bäume gepflanzt werden, als dies bei einem herkömmlichen Park auf dem Bauplatz möglich gewesen wäre. Dieser dreidimensionale Park wirkt sich spürbar auf das Stadtklima aus, er kühlt und wirkt positiv auf die emotionale Gesundheit seiner Nachbarschaft.
Wie wichtig ist eine qualitativ hochwertige Architektur auch für etablierte Marken – sehen wir hier einen neuen Trend?
Für uns hängt Qualität stark mit Nachhaltigkeit zusammen. Wir wollen Gebäude planen, die von ihren Nutzer:innen geliebt und wertgeschätzt werden, nur so kann emotionale Nachhaltigkeit erreicht werden. Wir beobachten in bestimmten Teilbereichen ein Umdenken in diese Richtung, es geht nicht mehr bei allen Betrieben ausschließlich um Gewinnmaximierung. Mit Auftraggeber:innen, die diese Werte teilen, arbeiten wir gerne zusammen. Und was so eine kooperative Zusammenarbeit mit dem gleichen Ziel – ein Gebäude für die Nutzer:innen und deren Umgebung zu gestalten – erreichen kann, sehen wir bei dem IKEA am Westbahnhof.
Wie smart ist das Gebäude hinsichtlich seiner Funktionalität, Haustechnik und Nachhaltigkeit?
Das Gebäude ist höchst effizient gestaltet, die gesamte Haustechnik wurde an den Rand, in die rund 4,5 Meter tiefe umlaufende Außenzone gelegt. Das und der flexible Grundriss, der gänzlich ohne Schächte auskommt, ermöglichte eine offene Grundrissgestaltung, welche rasche Anpassungen an diverse Nutzungen erleichtert. Auch der Energieeintrag konnte aufgrund der umlaufenden Beschattungszone massiv reduziert werden. Durch die hybride Bauweise (Stahlträger mit Betondecken) wiederum wurde der Bedarf an Baustoffen minimiert, die Erdbebenaussteifung wird mittels diagonaler Stahlrohre statt der üblichen massiven Betonkerne erreicht. Die Kühlung des IKEA erfolgt über die Betonkernaktivierung in den monolithischen Deckenplatten, die ohne weiteren Fußbodenaufbau auskommen. Alles effiziente und ressourcensparende Maßnahmen.
IKEA wien westbahnhof
Wien, Österreich
Bauherr: IKEA Einrichtungen Handels-GesmbH
Planung: querkraft architekten
Mitarbeiter: Carmen Hottinger, Veronika Felber, Stefanie Klocke, Ursula Konzett, Sonja Mitsch, Faiban Partoll, Maximilian Quick, Margarita Shileva, Johanna Sieberer, Michael Voit
Statik: Thomas Lorenz ZT GmbH, (Wettbewerb: Werkraum Wien)
Bauphysik: Ingenieurbüro P. Jung
Haustechnik: RHM GmbH
Kostenmanagement: Werner Consult ZTGmbH
Elektrotechnik: TB Eipeldauer + Partner GmbH
Brandschutz: FSE Ruhrhofer & Schweitzer GmbH
Grünraum: Kräftner Landschaftsarchitektur, Green4Cities
Nutzfläche: 26.200 m2
Planungsbeginn: 01/2018
Bauzeit: 10/2019-08/2021
Text: Linda Pezzei
Fotos: Hertha Hurnaus, Christina Häusler
Kategorie: Projekte