Mitten in der Stadt

22. Januar 2020 Mehr

Neubaugürtel – Goldschlagstraße / Wien / P.GOOD Praschl-Goodarzi ZT-GmbH Architekten

Seit den 1970er Jahren verfolgt die Gemeinde Wien mit der Blocksanierung die sogenannte „sanfte Stadt­erneuerung“. Mehrere Häuser und Höfe werden dabei mit einer liegenschaftsübergreifenden, baulichen Maßnahme in ihrer gesamten Situation und Struktur verbessert. Das reicht von Sanierung über Abriss, Neubau und Nachverdichtung bis hin zu Nutzungskonzepten und Gestaltung angrenzender Freiräume. Blocksanierungen wirken auf das gesamte Umfeld positiv, bei ihrer Umsetzung sind allerdings die Interessen von Hauseigentümern, Altmietern, Anrainern, Nachbarn und der Stadt zu berücksichtigen.

 

 

Vor etwas mehr als zehn Jahren beauftragte der wohnfonds_wien die P.GOOD Architekten (Martin Praschl und Azita Praschl-Goodarzi) mit der städtebaulichen Analyse eines typischen Wiener Gründerzeitblocks. Der Block ist etwa 55 Meter breit und an die 140 Meter lang und liegt nur einen Häuserblock vom Westbahnhof entfernt am Neubaugürtel. Die Substanz war teils schon sehr abgewohnt und desolat, die Verkehrs­anbindung hervorragend, die Gürtelseite sehr laut, der Urban-Loritz-Platz mit Hauptbibliothek und Lugner-City sowie die Wiener Stadthalle und ihr Bad in der Nähe. Der Block erstreckt sich zwischen der sehr ruhigen Goldschlagstraße an der sonnigen Südseite und der Märzstraße im Norden und setzte sich aus neun Gründerzeithäusern der Bauzeit um 1900 zusammen. Die besondere Herausforderung bestand darin, eine durchgehend hohe Wohnqualität zu erreichen.

 

 

Als nachhaltigste Verbesserungsmaßnahme schlugen die Architekten für sechs Häuser und zwei Höfe eine Blocksanierung mit Hofentkernung und partieller Verdichtung vor. Das Erdgeschoss blieb gewerblich genutzt. Zwei Neubau-Implantate im sanierten und aufgestockten Bestand verbessern die Wohnqualität eklatant und wirken sich auch positiv auf das Umfeld aus. Der große Innenhof wurde entkernt und begrünt, der Bestand durch die Neubauten, ein umlaufendes Band aus zwei aufgestockten Dachgeschossen und hofseitige Loggienschichten ergänzt und dadurch aufgewertet. Ein Teil der Einheiten wird weiter von Altmietern genutzt. Insgesamt sind 141 Wohnungen in Größen zwischen 30 m2 und 100 m2, drei Geschäftslokale und ein Büro entstanden. Außerdem gibt es eine Tiefgarage unter dem entkernten Innenhof mit 26 Stellplätzen.

Im Zug der Blocksanierung wurde das desolate Zinshaus an der Adresse Neubaugürtel 15 durch einen hochwertigen Neubau ersetzt, dieser ist durch eine Laubengangerschließung am Gürtel vor Lärm geschützt. Der Laubengang ist dank einer einläufigen Stiege mit Aussichtsfenster an der Morgensonne sehr großzügig. Außerdem ist er durch seine Oberlichten von natürlichem Licht durchflutet. Lufträume, die Durchblicke zwischen den Geschossen ermöglichen, Rampen, eine sichtbar belassene Dachkonstruktion und eine tolle Aussicht werten ihn auf. Eine Rampe im Laubengang sorgt dafür, dass über 90% der Wohnungen behindertengerecht erreichbar sind.

Die restlichen alten Gründerzeithäuser wurden individuell saniert, bestehende Wohnungen zusammengelegt. Jedes Haus ist unterschiedlich in Weiß-, Grau-, Beige- und Gelbtönen verputzt, auch innen sind die Fliesen, Wandfarben, Tür-, Fensterrahmen und Aufzüge pro Haus in einer anderen, jeweils passenden Palette gehalten. Statisch wurde die Substanz in puncto Erdbebensicherheit ertüchtigt und das Dachgeschoss durchgehend zweigeschossig ausgebaut. Ein Großteil der Wohnungen in der Dachzone ist durchgesteckt, alle haben Terrassen oder Loggien, einige sind Maisonetten. Diese neue Dachzone mit ihrer expressiven Form, den eingeschnittenen Öffnungen, raumhohen Verglasungen, teils sehr großen Terrassen und der schuppigen Dachhaut aus Prefa-­Dachpaneelen rahmt den Block in der Dachzone und reagiert mit ihrer differenzierten, geometrischen Ausformung auf den Bestand darunter. Konstruktiv ist das neue Dach ein Stahlrahmen mit Holzausfachung und einer Holzbetonverbunddecke, die aussteifende Wirkung hat. Optisch wirkt es als Klammer, die den Block in der Dachebene zusammenfasst.

Der erste große Innenhof wurde entkernt, um eine Ebene angehoben, begrünt und mit Rampen, Wegen, Blumentrögen und Sitzstufen in unterschiedliche Bereiche geteilt. Es gibt eine Sandmulde für Kinder, einen Kleinkinderspielplatz, Rasenflächen, Bäume und Pflanztröge. An den Rändern liegen die Terrassen der Mieter, die neuen Loggien sind mit semitransparentem Lochblech verkleidet, von dem das Licht reflektiert wird. Loggien und Balkone sind durchwegs zwischen 2,00 und 2,50 Meter tief, sodass man den privaten Raum an der frischen Luft auch gut nutzen kann. Das Wegenetz ermöglicht ein Queren des Blocks von der Löhrgasse bis zum Neubaugürtel, außerdem birgt der Hof unsichtbar die 26 Stellplätze unter der Oberfläche.

 

Eine Besonderheit des Bestandes ist der schmale Hof in der Mitte, der von zwei gründerzeitlichen Trakten eingefasst wird. Dieser wirkt auf dem Plan zu eng, entfaltet vor Ort aber einen sehr spezifischen Charme. Man hat ihn bewahrt und saniert. Sein südlicher, rückseitiger Trakt wurde zum großen Hof hin um einen Neubauteil erweitert. Die dortige hohe Feuermauer wurde mit einem Neubauteil aufgedoppelt. Diese Wohnungen haben einen Alt- und einen Neubauteil und sehen in beide Richtungen. Die Kombination von Altbauqualität mit viel Raumhöhe und den Vorteilen eines Neubaus ist sehr attraktiv: große Fenster, Helligkeit und privater Freiraum in Form von Loggien. Außerdem ist die Lage zwischen zwei Höfen sehr ruhig. Lichtdurchflutete Wohnungen und private Freiräume bieten auch alle Einheiten in den aufgestockten Dachgeschossen. Viele sanierte Wohnungen bekamen Loggien.

 

 

Neubaugürtel – Goldschlagstraße
Wien, Österreich

Bauherr: Premium Bauträger GmbH
Planung: P.GOOD Praschl-Goodarzi Architekten ZT-GmbH
Mitarbeiter: DI Waltraud Derntl, DI Julia Eibel, DI Niel Mazhar
Statik: Ingenieurgemeinschaft Hollinsky & Rusnov & Spreitzer Ziviltechniker GmbH

Nutzfläche: 10.020 m2
Planungsbeginn: 2009
Bauzeit: 2 Jahre
Fertigstellung: 11/2018

 

 

Fotos: Bruno KLomfar, Luftbild: Imagina VisualCollaboration, Innenraum: Thomas Hoffer

Text: Peter Reischer

 

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Kategorie: Projekte