Moderne Höhlen-Architektur

28. November 2024 Mehr

Das Richard Gilder Center für Wissenschaft, Bildung und Innovation – kurz Gilder Center – soll im American Museum of Natural History (AMNH) in New York City eine neue Museums-Ära einläuten. Mit seinem skulpturalen Stein-Design ruft der Neubau von außen auf den ersten Blick eher Assoziationen mit vergangenen Epochen hervor. Im Inneren belehrt der Entwurf von Studio Gang Besucher aber eines Besseren und zeigt sich mit seinem höhlenartigen Charakter als einzigartiger Raum zum Erforschen und Entdecken.

 

 

Ensemble mit langer Tradition

An der Upper East Side Manhattans direkt am Central Park gelegen, erstreckt sich das prestigeträchtige Museum über vier Häuserblocks. Im Laufe seines 150-jährigen Bestehens wurde der zehnteilige Komplex sukzessive an veränderte Anforderungen angepasst. Die Architekten aus Chicago realisierten mit dem Gilder Center nun das jüngste Projekt, das sich seit seiner Eröffnung 2023 (mit rund vier Jahren Verspätung) in die Reihe der Umbau- und Erweiterungsarbeiten einfügt. Der Zubau befindet sich an der nordwestlichen Seite des Campus, wo er an der Columbus Avenue eine markante Eingangssituation kreiert. Mit einer felsenartigen, 2.200 m2 großen Vorhangfassade fügt sich das Center zwischen die bestehenden Trakte ein und zieht dabei die gesamte Aufmerksamkeit auf sich.

 

 

 

Riesiges Steinmosaik

Die Front des Gebäudes besteht neben großflächigen Verglasungen aus 5.500 Natursteinpaneelen mit je bis zu 300 kg. Diese fügen sich mosaikartig, in einem diagonalen Muster aneinander und wurden in Zusammenarbeit mit der Firma Hofmann Naturstein realisiert. Das Besondere dabei? Bei den Steinen handelt es sich um einzigartig gekrümmte Unikate. Jedes einzelne Element erfasste man zunächst in einem BIM-Modell und setzte es schließlich zu einer Ansicht zusammen. In Anlehnung an die Umgebung und den historischen Bestand fiel die Wahl auf Milford Pink Granit, ein lokales Material. Der Naturwerkstoff zeichnet sich durch seine spezielle Färbung aus und kam bereits bei den übrigen Trakten des American Museum of Natural History zum Einsatz. Anstelle der namensgebenden Rosatöne wurden für die steinerne Außenhaut jedoch bereits direkt im Steinbruch in Massachusetts Blöcke mit weiß-grauer Färbung ausgesucht. Die Maßrohblöcke schiffte man dann zur Weiterverarbeitung ins deutsche Werk des Natursteinfassaden-Spezialisten, wo die Paneele mit Fünf-Achs-Fräsen und unter Berücksichtigung einer Fertigungstoleranz von nur 1  mm Stück für Stück geformt wurden. Zurück in den USA montierte man die sandgestrahlten Steine schließlich mithilfe eines – ebenfalls eigens entwickelten – Steckdornsystems auf einer Stahlunterkonstruktion. Die aufwendige Vorhangfassade dient aber nicht nur als optischer Hingucker: Eine Sustainability Targeting LEED Gold-Zertifizierung belegt, trotz des Transportweges, dass sie sich auch in Sachen Nachhaltigkeit und Effizienz nicht zu verstecken braucht. Die Verkleidung aus Stein schützt das Museum, in Kombination mit passiven Maßnahmen wie schattenspendenden Bäumen und tief in den Wänden sitzenden Fenstern, vor Überhitzung und sorgt ganzjährig für ein angenehmes Raumklima des Gilder Centers.

 

 

Neues Campus-Bindeglied

Von innen nach außen entwickelt, sollte das Center nicht nur als Erweiterung des bestehenden Museums, sondern auch als künftiges Bindeglied fungieren. Mithilfe von neuen Verbindungen schafften es die Architektin Jeanne Gang und ihr Team, die insgesamt zehn Gebäudeteile stimmig zusammenzuschließen. Sie öffneten diverse Sackgassen, ersetzten diese mit einem durchgängigen Wegesystem und konnten dadurch sowohl die Funktionalität als auch das Besuchererlebnis des gesamten Museumscampus verbessern. Ein licht- und luftdurchflutetes Atrium fungiert mit seinen tiefen Sitzstufen als Herzstück des Gebäudes. Es bereitet den Museumsbesuchern einen imposanten Empfang und weckt zugleich spielerisch den Forscherdrang. Außerdem verknüpft der fünfstöckige Bereich die rundherum anschließenden Ebenen über Brücken, skulpturale Räume und gewölbte Öffnungen, lässt erste Einblicke auf Exponate zu und ist – ebenso wie die von der Natur inspirierten Außenansichten – rundum organisch geformt. Sämtliche Oberflächen erinnern mit ihrer porösen Struktur an durch Wind und Wasser geprägte Steinformationen. Das Ergebnis ist eine gigantische Höhle, die als beeindruckende Landschaft mit fließenden Übergängen erkundet werden will.

 

 

Wie aus einem Guss

Die geschwungenen Wände und Bögen bilden als lastabtragende Elemente zugleich das strukturelle Rückgrat des Gilder Centers. In Kooperation mit dem Statikbüro Arup und unterstützt durch parametrische Entwurfstools wurde die Geometrie auf die Fundamente abgestimmt. Um die freien Formen konstruktiv umsetzen zu können, fertigte man anhand von digitalen Gebäudemodellen individuell geformte Bewehrungskörbe an. Auf der Baustelle kam mit Spritzbeton eine Technik aus dem Infrastrukturbereich zum Einsatz, bei welcher der flüssige Beton direkt auf die Unterkonstruktion aufgebracht wird. So erzielte das Team von Studio Gang zum einen eine durchgängige, fugenlose Optik der Innenräume, zum anderen ließ sich durch den Verzicht auf Schalungen der Abfall reduzieren.

 

 

Interaktive Lernlandschaft

Dank zahlreicher neuer Funktionen erhalten Interessierte im Inneren des Erweiterungsbaus künftig die Möglichkeit, noch tiefer in die Arbeit und Sammlungen des American Museum of Natural History einzutauchen. Über die einzelnen Geschosse verteilt, bietet das Gilder Center auf fast 22.000 m2 jede Menge Platz für Ausstellungs- und Galerieflächen, in denen sich alles um die Welt der Insekten dreht. Dazu gehören z.B. ein Insektarium und ein Schmetterlings-Vivarium mit lebenden Insekten, interaktiven Exponaten und großformatigen Modellen, die dazu einladen, den Lebensraum der Tiere kennenzulernen. Lehr- und Forschungsräume für Schulkinder bis hin zu Wissenschaftlern sowie eine Bibliothek komplettieren das kulturelle Raumprogramm mitten in der US-Metropole. Die Gestaltung und Konzeption der Ausstellungsbereiche übernahmen Ralph Appelbaum Associates in Zusammenarbeit mit dem Museum.

 

 

Richard Gilder Center for Science, Education, and Innovation
Manhattan, New York City

Bauherr: American Museum of Natural History
Planung: Studio Gang
Statik/Akustik: Arup
Fassadentechnik: Buro Happold
Steinfassade: Hofmann Naturstein
Landschaftsplanung: Reed Hilderbrand
Ausstellungsplanung: Ralph Appelbaum Associates          
Lichtplanung: Renfro Design Group

Nutzfläche: 21.368 m²
Baubeginn: 2019
Fertigstellung: 2023
Baukosten: $ 465 Mio.

www.studiogang.com

 

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Iwan Baan

Kategorie: Projekte