Musikalische Bildung – Universität für Musik Wien

10. Juli 2017 Mehr

Sanierung und Erweiterung der Universität für Musik und darstellende Kunst / Wien
Architekt DI Reinhardt Gallister

Wien ist eine Weltstadt, vor allem eine der Musik. Deshalb lag es nahe, die auf zig Positionen in der Stadt verteilten Institute, Säle, Klassenräume und Büros der Universität für Musik und darstellende Kunst auf wenige Standorte zu konzentrieren – jeder mit einem inhaltlichen Schwerpunkt: die  Kirchenmusik etwa in der Seilerstätte, das Reinhardt-Seminar und der Operngesang samt neuer Studiobühne und dem Schönbrunner Schloßtheater in Penzing, die Ausbildung der Musikpädagogen im Kloster der Salesianerinnen am Rennweg.
Seit 1996 arbeitet Architekt Reinhardt Gallister nach einem von ihm gemeinsam mit der Universität erstellten Masterplan am Herzstück der Musik-Uni. Es ist ein Projekt, das eher von der Öffentlichkeit unbeobachtet stattfand.  Auf dem Gelände der ehemaligen „Veterinärmedizinischen“ entlang der Schnellbahnlinie im dritten Bezirk entstand von 1996-99 der neue Campus der Universität für Musik und darstellende Kunst mit zahlreichen Zu-, Neubauten und einem restaurierten historischen Bestand. Bis heute wird dort in größeren und kleineren Schritten ständig weitergebaut. Der zur Bahn gerichtete Haupttrakt am Anton- von-Webern-Platz (in den Jahren 1821 bis 1823 von Johann Aman errichtet) wurde als Erstes saniert, hier beschränkte sich Gallister auf Rückbau, Klärung und Präzisierung der Substanz. Viele architektonische Eingriffe ergaben sich aus der neuen Widmung für die Musik – insbesonders  aus den Erfordernissen der Bau- und Raumakustik. Die Ästhetik der Formensprache leitet sich zwingend aus der Funktion ab. So gehen etwa die mit Schattenfugen vor die unebenen Mauern gesetzten Paneele flächenbündig über in schalldämmende Türblätter, die wiederum nur den außen sichtbaren Teil der schalltechnisch notwendigen Doppeltüren für die Musikunterrichtsräume und Konzertsäle bilden. Dieses so vor die Mauer gestellte Paneel, in das nun eine oder mehrere Türen bündig eingeschnitten sind, zieht sich in seinem warmen Buchenholzton in der Türlaibung nach innen und weitet sich im Saal wieder zum Paneel aus.

 

Im dritten Wiener Gemeindebezirk findet man auf dem Areal der ehemaligen „Veterinärmedizin“ heute, auf einem mit alten Bäumen bestandenen Campus, das wunderschöne Ensemble der Universität für Musik und darstellenden Kunst. Architekt Reinhardt Gallister hat hier in einer 20 Jahre andauernden Arbeit eine Oase der Musik, Kunst und Bildung geschaffen.

 
Ein besonderer Vorteil des Altbaus ist, dass die große Masse der oft mehr als einen  Meter dicken Ziegelmauern hervorragende schallisolierende Eigenschaften besitzen. Die Fensterwände zum Hof hin konnten unverändert bleiben und damit den architektonischen Gesamteindruck bewahren.

Einen weiteren funktionell bedingten Minimaleingriff bedeuten die abnehmbaren Blechpaneele in den Gangdecken  entlang der Mittelmauer. Sie ermöglichen die erforderliche Zugänglichkeit und Nachrüstbarkeit der Installationen und trennen wie eine breite, betonte Fuge architektonisch die neu eingebauten Decken vom massiven Altbestand. Aus akustischen Gründen werden von hier aus – stichähnlich – die Erschließungen der einzelnen Räume vorgenommen, um direkte Schallbrücken zwischen Musikräumen zu vermeiden. In einigen großen Sälen hat man die ursprünglich  bestehenden Geschoßdecken entfernt und damit zweigeschossig hohe Räume mit dem für Musik nötige Volumen geschaffen.

 

Die langen, tonnenförmig überwölbten Gänge im Gartentrakt haben etwas Klosterähnliches. In den angeschlossenen Übungsräumen ist das Tonnengewölbe in den Fensteranschnitten noch sichtbar.

 

Direkt hinter dem südlichen Seitenflügel des Haupttraktes befindet sich im Hof ein Neubau der zur Universität gehörenden Filmakademie Wien mit Studios, Kulissenwerkstatt und -depot. In einer weiteren großen Ausbaustufe 2005 – 2007 konnte der Gartentrakt im Osten des Campus für die Konzertfachausbildung  in den Streich- und Blasinstrumenten adaptiert werden. Aus den früheren Stallungen mit Futterboxen und im Dach befindlichem Heulager wurden moderne, akustisch hervorragend ausgerüstete Klassenzimmer. Dazu ließ der Architekt sämtliche nichttragende Querwände und Abmauerungen entfernen, wodurch ein fast klosterähnlicher Charakter entstand.
Ein über eine Länge von 200 Meter durchgehender – mit einer Tonne überwölbter –  Gang erschließt nun im Erdgeschoss die Musikräume, die ebenfalls Tonnengewölbe besitzen. Da konkave Decken durch die Fokussierung der Schallwellen akustisch extrem problematisch sind, entwickelte man ein abgehängtes konvexes Akustiksegel, in das auch die Beleuchtungselemente integriert sind. Ebenfalls in Buche furniert, trägt es mit dem Parkettboden zu einer wohnlichen Raumstimmung bei, ohne dass der Bestand des Tonnengewölbes ausgeblendet wird. Die in den Gewölbeansatz hinaufgreifenden Anschnitte der Rundbogenfenster bleiben sichtbar. Diese schallschutztechnischen Maßnahmen hat Architekt Gallister zusammen mit dem Akustikspezialisten Karl Bernd Quiring (siehe architektur 05/13, Opernhaus Linz) in langer Arbeit, Tests und Experimenten entwickelt.

Die modernen Zubauten an den Mittelteil des Gartentraktes nehmen genau jene Kubatur ein wie im Originalensemble 1823.  Durch massive Kriegsschäden  war hier keine schützenswerte Altsubstanz mehr vorhanden. Architekt Gallister setzte an diese Stellen jene Funktionen, die in der nicht unterkellerten Gewölbestruktur des historischen Bestandes nur schwer zu realisieren wären: moderne Vortragssäle, Studios, Erschließungskerne, Haustechnikzentralen und dergleichen. Vorallem aber auch die beiden mehrgeschossigen Foyers in Stahl-Glas-Konstruktion, die sich zum eigentlichen Schatz des Campus hin öffnen – dem baumumrahmten zentralen Grünraum.

Die dreigeschossige Ansicht des historischen Mitteltraktes hat eine einfache „Lochfassade“, allerdings wird diese, durch in den Fensteröffnungen an der Südseite angebrachte, vorstehende Sonnenblenden, zu einer aufregenden Licht- und Schattenspielfläche bei Tag. Hier zeigt sich, wie der als spröde bezeichnete Klassizismus des Johann Aman durch minimale Veränderungen zu einem fast metaphysischen Bild eines Giorgio de Chirico wird.

Das Gesamtprojekt zeichnet sich auch dadurch aus, als Architekt Gallister eine enorme Liebe und Detaillierung in die architektonische Gestaltung investierte. Sowohl die restaurierten Bauteile – der Haupttrakt am Anton-von-Webern-Platz an der Bahnlinie – wie auch die neu errichteten Zubauten der Mensa, Bibliothek oder Filmakademie, sind einerseits gestalterisch schlüssig in das Ensemble eingebunden, andererseits haargenau auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmt. Mit einfachsten Mitteln, zum Teil nur durch einfachen Rückbau der Substanz, schuf er Räume, welche dem Geist der ursprünglichen Architektur als auch der heutigen Zeit entsprechen. Finanzielle Mittel, die durch diese Vereinfachungen erspart werden konnten, investierte man in die Akustik der Säle und Klassenräume. So entstanden Räume, die sogar Stardirigenten wie Zubin Mehta zu einem ausdrücklichen Lob an den Architekten veranlassten.

Das stetige „Wachsen“ der Uni und ihres Campus dauert nun schon fast 20 Jahre. In mehreren Realisierungsschritten wurde das 1823 errichtete Ensemble für seine neue Widmung konsequent umgestaltet. Das Ziel der bisherigen Baustufen war, die einstige großzügige Ordnung der Anlage wiederherzustellen und durch das Einfügen moderner Architektur funktionell, technisch und gestalterisch in die Gegenwart zu holen. Dieser spannungsvolle Gegensatz zwischen massiv gemauerten historischen Bauten und filigranen, vom Boden abgehobenen Stahlkonstruktionen erfährt bei der neuen Bibliothek nun einen gewissen Höhepunkt.

Ein aus Glas und Stahl entworfener Zubau anstelle eines desolaten Ziegelanbaus vor dem ehemaligen Anatomiegebäude an der Nordseite des Campus ermöglicht eine funktionelle räumliche Organisation des erforderlichen Raumprogrammes einer zeitgemäßen Bibliothek.

 

Mit verschiebbaren Wand- und Deckenpaneelen hat man die Akustik in den Vortrags- und Konzertsälen in den Griff bekommen.

 

Das historische Anatomiegebäude mit den früheren Seziersälen wurde ebenfalls komplett saniert und mit einem weiteren Geschoss im Dach versehen. Zwei Baukörper erweitern es nun um zusätzliche Flächen und Funktionen: im Osten – nahe den Werkstätten – ein Büro- und Wirtschaftstrakt  und im Westen eben der Zubau für die Bibliothek. Im komplett verglasten und transparent wirkenden Erdgeschoss befinden sich der Empfang und die Bücherausgabe – zum Grünraum des Hofes hin orientiert. Die Transparenz des Zubaues ermöglicht von außen den Durchblick auf die sorgfältig renovierte Hauptfassade des Altgebäudes. In zwei Untergeschossen ist der klimatisierte Tiefspeicher mit seinen Kompaktregalanlagen verborgen. Im weit auskragenden ersten Stock befindet sich der Freihandbereich für Bücher. Konstruktiv ist hier zu erwähnen, dass der stählerne Fachwerkträger, welcher die Südseite des ersten Stockes der Bibliothek bildet, in einem Stück aus Linz geliefert wurde. Er ist 27 Meter lang und fünf Meter hoch und wurde mit zwei Autokränen an einem Tag an die jetzige Position gehoben und montiert.

Im Sinne einer nutzerfreundlichen Bibliothekslandschaft gelangt man über eine gläserne Verbindungsbrücke  zum Freihandbereich für Noten im ehemaligen Anatomiegebäude. Hier ist die vermutlich weltweit strukturierteste Notenbibliothek zu finden. Fein säuberlich geordnet stehen die Noten in Regalen für die interessierten Studenten bereit. Die Weitläufigkeit und Übersichtlichkeit der Räume konnte nur durch ein rigoroses Entfernen sämtlicher Zimmerchen und Zwischenwände erzielt werden. Die so eingesparte Belastung wird kann für die Regale samt Inhalt verwendet werden.
Einer der beiden ehemaligen Seziersäle im Erdgeschoss des Altgebäudes dient heute als Lesesaal der Bibliothek, der andere als Bankett- und Veranstaltungssaal. Durch das Bewahren der hohen, gusseisernen Säulen blieb der architektonische Charakter dieser beiden Säle erhalten. Um jedoch die Säulen als tragende Konstruktion brandschutztechnisch unverkleidet lassen zu können, musste man allerlei Kunstgriffe durchführen. Es war ja das Gewicht der Notenbibliothek im ersten Stock sowie der gesamte Dachausbau mit Musiksälen statisch zu bewältigen. Also ertüchtigte man die wichtigen Außenpfeiler mit Kunststoffinjektionen derart, dass über jeweils zwei große Träger  – welche die Lasten des obersten Geschosses abfangen – diese in die Grundmauern übertragen werden konnten.

In der Mitte dieses Traktes befindet sich ein Stiegenhaus in druckbelüfteter Ausführung. Im Brandfall wird hier ein Überdruck erzeugt, sodass kein Rauch aus den angrenzenden Räumen eindringen kann, es also rauchfrei bleibt. Gleichzeitig sorgt die Steuerung einer Ausgleichsklappe dafür, dass der Überdruck nie zu groß wird, um die Funktion der Fluchttüren zu beeinträchtigen. Druckbelüftete Stiegenhäuser bilden in Neubauten kein Problem, stellen jedoch in einem historischen Altbau eine echte Herausforderung dar.

 

Der neue Lesesaal mit den alten Eisensäulen.

 

Die Musiksäle im Dachgeschoss des „Anatomietraktes“ öffnen sich visuell über große Dachverglasungen zum Himmel. Auch hier ist auf die bestmögliche Akustik geachtet worden. Abgehängte Segel kühlen die Räume und folgen gleichzeitig in ihrer Geometrie den Erfordernissen der Raumakustik. Stoffbespannte Paneele befinden sich geparkt in Wandnischen und können zur Anpassung der Halligkeit an die jeweilige Nutzung hervorgezogen werden. In den Grundrissen wurde Parallelität vermieden. So verhindern die schiefwinkelig gestellte Wände das gefürchtete Flatterecho.
Bis auf die dezent farbigen Stoffpaneele in den Konzert- und Unterrichtssälen ist das Farbkonzept im Alt- und Neubau bewusst zurückhaltend. Die einzige Ausnahme bildet hier die neue Mensa – hier „blühen“ die bunten Stühle in Farben wie auf einer Frühlingswiese.
Ein besonderer Vorteil des Altbaus ist, dass die große Masse der oft mehr als einen  Meter dicken Ziegelmauern hervorragende schallisolierende Eigenschaften besitzen. Die Fensterwände zum Hof hin konnten unverändert bleiben und damit den architektonischen Gesamteindruck bewahren.

Einen weiteren funktionell bedingten Minimaleingriff bedeuten die abnehmbaren Blechpaneele in den Gangdecken  entlang der Mittelmauer. Sie ermöglichen die erforderliche Zugänglichkeit und Nachrüstbarkeit der Installationen und trennen wie eine breite, betonte Fuge architektonisch die neu eingebauten Decken vom massiven Altbestand. Aus akustischen Gründen werden von hier aus – stichähnlich – die Erschließungen der einzelnen Räume vorgenommen, um direkte Schallbrücken zwischen Musikräumen zu vermeiden. In einigen großen Sälen hat man die ursprünglich  bestehenden Geschoßdecken entfernt und damit zweigeschossig hohe Räume mit dem für Musik nötige Volumen geschaffen.

Direkt hinter dem südlichen Seitenflügel des Haupttraktes befindet sich im Hof ein Neubau der zur Universität gehörenden Filmakademie Wien mit Studios, Kulissenwerkstatt und -depot. In einer weiteren großen Ausbaustufe 2005 – 2007 konnte der Gartentrakt im Osten des Campus für die Konzertfachausbildung  in den Streich- und Blasinstrumenten adaptiert werden. Aus den früheren Stallungen mit Futterboxen und im Dach befindlichem Heulager wurden moderne, akustisch hervorragend ausgerüstete Klassenzimmer. Dazu ließ der Architekt sämtliche nichttragende Querwände und Abmauerungen entfernen, wodurch ein fast klosterähnlicher Charakter entstand.
Ein über eine Länge von 200 Meter durchgehender – mit einer Tonne überwölbter –  Gang erschließt nun im Erdgeschoss die Musikräume, die ebenfalls Tonnengewölbe besitzen. Da konkave Decken durch die Fokussierung der Schallwellen akustisch extrem problematisch sind, entwickelte man ein abgehängtes konvexes Akustiksegel, in das auch die Beleuchtungselemente integriert sind. Ebenfalls in Buche furniert, trägt es mit dem Parkettboden zu einer wohnlichen Raumstimmung bei, ohne dass der Bestand des Tonnengewölbes ausgeblendet wird. Die in den Gewölbeansatz hinaufgreifenden Anschnitte der Rundbogenfenster bleiben sichtbar. Diese schallschutztechnischen Maßnahmen hat Architekt Gallister zusammen mit dem Akustikspezialisten Karl Bernd Quiring (siehe architektur 05/13, Opernhaus Linz) in langer Arbeit, Tests und Experimenten entwickelt.

 

 

 

Die modernen Zubauten an den Mittelteil des Gartentraktes nehmen genau jene Kubatur ein wie im Originalensemble 1823.  Durch massive Kriegsschäden  war hier keine schützenswerte Altsubstanz mehr vorhanden. Architekt Gallister setzte an diese Stellen jene Funktionen, die in der nicht unterkellerten Gewölbestruktur des historischen Bestandes nur schwer zu realisieren wären: moderne Vortragssäle, Studios, Erschließungskerne, Haustechnikzentralen und dergleichen. Vorallem aber auch die beiden mehrgeschossigen Foyers in Stahl-Glas-Konstruktion, die sich zum eigentlichen Schatz des Campus hin öffnen – dem baumumrahmten zentralen Grünraum.

Die dreigeschossige Ansicht des historischen Mitteltraktes hat eine einfache „Lochfassade“, allerdings wird diese, durch in den Fensteröffnungen an der Südseite angebrachte, vorstehende Sonnenblenden, zu einer aufregenden Licht- und Schattenspielfläche bei Tag. Hier zeigt sich, wie der als spröde bezeichnete Klassizismus des Johann Aman durch minimale Veränderungen zu einem fast metaphysischen Bild eines Giorgio de Chirico wird.

Das Gesamtprojekt zeichnet sich auch dadurch aus, als Architekt Gallister eine enorme Liebe und Detaillierung in die architektonische Gestaltung investierte. Sowohl die restaurierten Bauteile – der Haupttrakt am Anton-von-Webern-Platz an der Bahnlinie – wie auch die neu errichteten Zubauten der Mensa, Bibliothek oder Filmakademie, sind einerseits gestalterisch schlüssig in das Ensemble eingebunden, andererseits haargenau auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmt. Mit einfachsten Mitteln, zum Teil nur durch einfachen Rückbau der Substanz, schuf er Räume, welche dem Geist der ursprünglichen Architektur als auch der heutigen Zeit entsprechen. Finanzielle Mittel, die durch diese Vereinfachungen erspart werden konnten, investierte man in die Akustik der Säle und Klassenräume. So entstanden Räume, die sogar Stardirigenten wie Zubin Mehta zu einem ausdrücklichen Lob an den Architekten veranlassten.

Das stetige „Wachsen“ der Uni und ihres Campus dauert nun schon fast 20 Jahre. In mehreren Realisierungsschritten wurde das 1823 errichtete Ensemble für seine neue Widmung konsequent umgestaltet. Das Ziel der bisherigen Baustufen war, die einstige großzügige Ordnung der Anlage wiederherzustellen und durch das Einfügen moderner Architektur funktionell, technisch und gestalterisch in die Gegenwart zu holen. Dieser spannungsvolle Gegensatz zwischen massiv gemauerten historischen Bauten und filigranen, vom Boden abgehobenen Stahlkonstruktionen erfährt bei der neuen Bibliothek nun einen gewissen Höhepunkt.

Ein aus Glas und Stahl entworfener Zubau anstelle eines desolaten Ziegelanbaus vor dem ehemaligen Anatomiegebäude an der Nordseite des Campus ermöglicht eine funktionelle räumliche Organisation des erforderlichen Raumprogrammes einer zeitgemäßen Bibliothek

Das historische Anatomiegebäude mit den früheren Seziersälen wurde ebenfalls komplett saniert und mit einem weiteren Geschoss im Dach versehen. Zwei Baukörper erweitern es nun um zusätzliche Flächen und Funktionen: im Osten – nahe den Werkstätten – ein Büro- und Wirtschaftstrakt  und im Westen eben der Zubau für die Bibliothek. Im komplett verglasten und transparent wirkenden Erdgeschoss befinden sich der Empfang und die Bücherausgabe – zum Grünraum des Hofes hin orientiert. Die Transparenz des Zubaues ermöglicht von außen den Durchblick auf die sorgfältig renovierte Hauptfassade des Altgebäudes. In zwei Untergeschossen ist der klimatisierte Tiefspeicher mit seinen Kompaktregalanlagen verborgen. Im weit auskragenden ersten Stock befindet sich der Freihandbereich für Bücher. Konstruktiv ist hier zu erwähnen, dass der stählerne Fachwerkträger, welcher die Südseite des ersten Stockes der Bibliothek bildet, in einem Stück aus Linz geliefert wurde. Er ist 27 Meter lang und fünf Meter hoch und wurde mit zwei Autokränen an einem Tag an die jetzige Position gehoben und montiert.

 

Vor allem in der Nacht ist die Transparenz des neuen Körpers im Kontrast zur gebauten alten Sub­stanz spannungsreich.

 

Im Sinne einer nutzerfreundlichen Bibliothekslandschaft gelangt man über eine gläserne Verbindungsbrücke  zum Freihandbereich für Noten im ehemaligen Anatomiegebäude. Hier ist die vermutlich weltweit strukturierteste Notenbibliothek zu finden. Fein säuberlich geordnet stehen die Noten in Regalen für die interessierten Studenten bereit. Die Weitläufigkeit und Übersichtlichkeit der Räume konnte nur durch ein rigoroses Entfernen sämtlicher Zimmerchen und Zwischenwände erzielt werden. Die so eingesparte Belastung wird kann für die Regale samt Inhalt verwendet werden.
Einer der beiden ehemaligen Seziersäle im Erdgeschoss des Altgebäudes dient heute als Lesesaal der Bibliothek, der andere als Bankett- und Veranstaltungssaal. Durch das Bewahren der hohen, gusseisernen Säulen blieb der architektonische Charakter dieser beiden Säle erhalten. Um jedoch die Säulen als tragende Konstruktion brandschutztechnisch unverkleidet lassen zu können, musste man allerlei Kunstgriffe durchführen. Es war ja das Gewicht der Notenbibliothek im ersten Stock sowie der gesamte Dachausbau mit Musiksälen statisch zu bewältigen. Also ertüchtigte man die wichtigen Außenpfeiler mit Kunststoffinjektionen derart, dass über jeweils zwei große Träger  – welche die Lasten des obersten Geschosses abfangen – diese in die Grundmauern übertragen werden konnten.

 

Frei auskragend, stützenfrei scheint der erste Stock der Bibliothek aus dem Nichts zu kommen.

 

In der Mitte dieses Traktes befindet sich ein Stiegenhaus in druckbelüfteter Ausführung. Im Brandfall wird hier ein Überdruck erzeugt, sodass kein Rauch aus den angrenzenden Räumen eindringen kann, es also rauchfrei bleibt. Gleichzeitig sorgt die Steuerung einer Ausgleichsklappe dafür, dass der Überdruck nie zu groß wird, um die Funktion der Fluchttüren zu beeinträchtigen. Druckbelüftete Stiegenhäuser bilden in Neubauten kein Problem, stellen jedoch in einem historischen Altbau eine echte Herausforderung dar.

Die Musiksäle im Dachgeschoss des „Anatomietraktes“ öffnen sich visuell über große Dachverglasungen zum Himmel. Auch hier ist auf die bestmögliche Akustik geachtet worden. Abgehängte Segel kühlen die Räume und folgen gleichzeitig in ihrer Geometrie den Erfordernissen der Raumakustik. Stoffbespannte Paneele befinden sich geparkt in Wandnischen und können zur Anpassung der Halligkeit an die jeweilige Nutzung hervorgezogen werden. In den Grundrissen wurde Parallelität vermieden. So verhindern die schiefwinkelig gestellte Wände das gefürchtete Flatterecho.
Bis auf die dezent farbigen Stoffpaneele in den Konzert- und Unterrichtssälen ist das Farbkonzept im Alt- und Neubau bewusst zurückhaltend. Die einzige Ausnahme bildet hier die neue Mensa – hier „blühen“ die bunten Stühle in Farben wie auf einer Frühlingswiese.

 

 

Bibliothek der Universität für Musik und darstellende Kunst
Wien, Österreich

Bauherr:            BIG Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.
Planung:            Architekt Reinhardt Gallister
Statik:                 Fröhlich & Locher und Partner

Grundstücksfläche:    35.894 m2 (Campus)
Bebaute Fläche:          1.531 m2
Nutzfläche:                  4.208 m2
Planungsbeginn:        04/2014
Bauzeit:                        14 Monate
Fertigstellung:            11/2016
Baukosten:                  11,2 Mio. Euro

Fotos: ©Reischer, Loydolt, Erben, Gallister

Text: ©Peter Reischer

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Kategorie: Projekte