Oscar Niemeyer Kulturzentrum – Oscar Niemeyer

6. Juni 2011 Mehr

Oscar Niemeyer Kulturzentrum - Oscar Niemeyer

Kurvig, gekrümmt, verwegen, farbig – so präsentiert sich das Oscar-Niemeyer-Kulturzentrum dem Besucher. Wie man es von dem Architekten gewöhnt ist, verlangt er sowohl seinem Lieblingsmaterial, dem Stahlbeton, wie auch den ausführenden Firmen einiges an Erfindungsreichtum ab. Spannweiten von 30–50 Meter sind bei dieser Architektur keine Seltenheit. Der Bilbao-Effekt darf aufgrund dieser außergewöhnlichen Leistung wohl bald zu erwarten sein.

Was haben Brasilia und Avilés gemeinsam? Beide Städte hängen mit einem der berühmtesten Architekten der letzten zwei Jahrhunderte zusammen: Oscar Niemeyer, der heuer 103 Jahre alt wurde, hat die Hauptstadt Brasilia gebaut und in Avilés/Spanien sein vielleicht letztes Meisterwerk vollbracht – das Oscar-Niemeyer-Kulturzentrum, sein größtes und wichtigstes Gebäude in Europa.

Der legendäre Erschaffer der brasilianischen Hauptstadt Brasilia schenkte der Region Asturien 2005 den Entwurf zu einer futuristisch-kurvigen Stahlbeton-Konstruktion. Direkt gegenüber der Altstadt, auf einer künstlichen Insel mitten im Fluss, weihte nun Ende März ein Konzert der Woody Allen Jazz Band das Gebäude ein, das als „Internationales Kulturzentrum Oscar Niemeyer“ künftig Hunderttausende Touristen und Architekturbegeisterte anlocken soll.

Das Projekt setzt sich aus vier unterschiedlichen, sich gegenseitig ergänzenden Baukörpern zusammen. Sie begrenzen und definieren in ihrer Anordnung und im Maßstab einen großen urbanen Platz. Er bietet Blickbeziehungen und Ansichten auf das Meer, auf den Hafen und selbstverständlich zur Stadt, die auf der gegenüberliegenden Seite liegt.
Das Niveau dieses Platzes liegt um 2.6 m höher als die Uferkante. Dadurch ist einerseits eine bessere Sichtbarkeit gegeben, und andererseits wird die spätere, verkehrsmäßige Anbindung dieser jetzt schon „Isla de la Innovación“ (Insel der Innovation) genannten Kulturoase unterstützt.
Neben seiner kulturellen Aufgabe soll das Oscar-Niemeyer-Kulturzentrum in Avilés eine wichtige Funktion für die Umgebung ausüben. Es steht im Mittelpunkt eines umfangreichen urbanen Erneuerungsprozesses, der die gesamte Uferzone der Stadt verändern soll. Damit soll der Regenerierungsprozess dieses Gebietes unterstützt werden. So soll der starke Verkehr aus dem Hafengebiet (wo sich das Kulturzentrum befindet) verbannt werden, stattdessen werden Sport- und Freizeitmöglichkeiten geschaffen.

Fotos

Invalid Displayed Gallery

Die wichtigsten Funktionen und Bereiche des Kulturzentrums sind ein Konzertsaal mit einem Fassungsvermögen von 961 Personen, ein „lichtdurchfluteter” Ausstellungsraum, eine Pergola in der Form einer Sinuskurve  als Verbindung zwischen Auditorium und Museum, ein Aussichtsturm mit Blick zum Fluss und zur Stadt, ein multifunktionales Gebäude, das einen Kinosaal, Seminarräume und Konferenzsaal beinhaltet und eben der offene Platz, der mit verschiedenen kulturellen Aktivitäten dauerhaft bespielt wird. Er soll das Verbindungsglied zwischen der Stadt und dem Kulturzentrum sein und ist in seiner gesamten Fläche mit einem Estrich aus Weißzement und einer Epoxiharz-Beschichtung versehen.
Der Bau ist in vieler Sicht einzigartig. Erstens stellte der Entwurf von Niemeyer die Ausführenden vor einige konstruktive und statische Probleme. Niemeyer hat immer den rechten Winkel abgelehnt und kurvige Formen aus Stahlbeton bevorzugt. Insgesamt wurde für die Schalungen der Kuppel, der wellenförmigen Wandflächen und aller anderer aus Stahlbeton gefertigten Teile, ein Gerüstvolumen von 91.360 m³ verbaut. Alleine für die Errichtung der Bühnenüberdachung wurde ein Bogengerüst mit rund 58.600 m³ aufgebaut.
Da sich der tragende Boden für das Fundament in 22 Meter Tiefe befand, wurden in Summe 12.280 Laufmeter an Pfahlgründungen geschlagen.

Der Konzertsaal

Das runde und durch die Öffnung der Bühne zum Platz hin klar definierte Volumen besteht aus Scheiben oder Seitenwänden mit einer Dicke von 25 bis 40 cm. Statisch erwähnenswert ist, dass die große Stahlbetonhaut zur Überdachung des Konzertsaales keine Stütze in ihrem Inneren hat – mit einer einzigen Ausnahme: ein Träger zur Queraussteifung, der im Verlauf des Bühnenvorhangs zwischen dem Bühnenbereich und dem Parkett durchgezogen ist. Dieser Träger hat eine Länge von 24 m, eine Höhe von 11 m und verbindet die beiden Strebepfeiler in der Außenhaut, um so die Bühnenöffnung zu schaffen.
Bemerkenswert ist die Ausführung der Dachhaut aus Stahlbeton in verschiedenen Schichten: Da es nicht möglich war, bei den vorhandenen Dachneigungen ein beidseitiges Schalungssystem zu verwenden, wurden zuerst zwei Lagen mit den Bewehrungen aufgebracht, dann eine Dritte sozusagen „händisch“ als Estrich – mit dieser Schicht wurden Textur, Erscheinungsbild und Oberflächenschutz realisiert. Eine spezielle, schichtübergreifende Armierung verhindert eine Rissbildung, die durch das unterschiedliche Schrumpfen der Schichten möglich gewesen wäre.

Das Museum

Wenn die Geometrie der Hülle des Konzertsaales eine spezielle Herausforderung an die ausführenden Firmen war, so stellte das Museum mit seiner Kuppel über einem Kegelstumpf (Basisdurchmesser 55 Meter und Höhe 18 Meter) eine noch größere dar. Gelöst wurde das Problem, indem man als innere Schalung eine aufblasbare Folie aus PVC verwendete. Sie wurde an der Unterseite noch mit einer aufgespritzten, 30 mm starken thermischen PU-Isolierschicht verstärkt. Darauf wurde dann die Stahlbetondecke mit einer Stärke von 15 bis 40 cm betoniert. Das Betonieren wurde von außen in Abschnitten durchgeführt, solange bis der „Schlussstein“ eingesetzt werden konnte.
Im Innenraum gibt es eine spiralförmige Stiegenanlage, die das Erdgeschoß mit der Ausstellungsebene verbindet. Auf einer Seite hat sie eine Stahlbetonwange, auf der anderen Seite eine aus Sicherheitsglas.

Aussichtsturm

Auf einer Betonsäule von 24 m Höhe, in deren Inneren ein Lift situiert ist, ist ein zylinderförmiger Körper mit einem Durchmesser von 22,6 Metern aufgehängt. Die Fußbodenebene dieses Aussichtsraumes wird durch 22 Spannbetonträger von dessen Decke abgehängt. Diese wiederum liegt auf vier diametralen Trägern, die die Last auf den Schaft abtragen. Getoppt werden diese statischen Spielereien nur noch von der Zugangsstiege, die sich exzentrisch, spiralförmig um den Kern herum, hinauf zur Aussichtsebene windet.

Mehrzweckhalle

Sie besteht aus einem eingeschoßigen, kreissegmentförmigen Körper. Er ruht auf Säulen – der Raum zwischen den Säulen bietet sich für variable, zusätzliche Nutzungen wie Kinovorführungen etc. an. Durch seine Ausdehnung von etwa 100 Metern ermöglicht er einen ungehinderten Blick über das gesamte Gelände. Eine den ganzen Komplex entlanglaufende, ca. 5 Meter vorspringende Überdachung bietet Schutz vor Sonne und Witterung. In seinem Keller befinden sich die Haustechnikzentralen für die Installationen des ganzen Komplexes.

Die Pergola

Durch diese überdachte Verbindung von Konzertsaal und Museum in der Form einer Sinuskurve erhält man optisch zwei unterschiedliche Bereiche auf dem Platz. Die Länge dieser Überdachung ist 150 Meter und sie hat nur vier Auflager. Das bedeutet, dass die Spannweiten zwischen den einzelnen tragenden Punkten rund 30 Meter betragen. Verwendet wurde kein Spannbeton, sondern eine Konstruktion aus zweischaligen Stahlbetondecken.

Oscar-Niemeyer-Kulturzentrum

Aviles, Spanien

Bauherr: Kultur- und Tourismusverband Asturien
Planung: Oscar Niemeyer
Mitarbeiter: Jair Valera, Roberto Alonso, Javier Blanco, Maria Lopez
Statik: FHECOR
Grundstücksfläche: 44.000 m²
Bebaute Fläche: 16.625 m²
Nutzfläche: 13.000 m²
Planungsbeginn: 2007
Bauzeit: 3 Jahre
Fertigstellung: 2011
Baukosten: 44 Mio. Euro

Tags: , , , , , , , , , , , ,

Kategorie: Projekte