Sechzehn Möglichkeiten – ModuLofts
ModuLofts / Beirut / Fouad Samara Architects
In Beirut ist der urbane Kontext chaotisch und widersprüchlich. Auch wegen des erst vor wenigen Jahren zu Ende gegangenen Bürgerkrieges. Architekten sind dadurch gezwungen, ihre Rolle als Katalysator in dieser Übergangszeit zu überdenken. Im Sektor des kommerziellen Wohnbaus der Architektur Beiruts hat sich eine spezifische, unkontrollierbar, wie Schwammerl wachsende Szene von banalen und nicht inspirierenden Bauten entwickelt. Diese Architekturen reflektieren weder das architektonische Erbe der reichen und vibrierenden Stadt noch den Anspruch und Geschmack seiner Bewohner. Denn die Beiruter leben nicht schlecht, sie genießen das Leben und das drückt sich auch in der Gestaltung mancher Architektur aus.
Ein kinetisches Gebäude errichteten die Fouad Samara Architects in Beirut, Libanon. Schiebewände in den einzelnen Wohnungen lassen sich vom Nutzer bewegen und in die Fassade hinausschieben. Dadurch ergeben sich die verschiedensten Varianten für die Innenräume und auch die Straßenansicht der Architektur unterliegt einem ständigen Wandel.
Inspiriert von der Klarheit des traditionellen libanesischen Hauses, des „Beit“, sowie von der Poesie und Flexibilität der urbanen Lofts in London und Manhattan der 60er- und 70er- Jahre, entwarf das Büro Fouad Samara Architects (FSA) eine Architektur mit der Bezeichnung ModuLofts. Es ist ein 14-geschossiges Hochhaus, welches aus sieben Duplex-Lofts auf einem Pfeiler aufgefädelt, besteht. Unter den Lofts sind auch genau sieben Parkplätze untergebracht. Das Ganze steht auf einer Grundfläche von nur 206 Quadratmeter, in dem im Osten der Stadt gelegenen Gebiet Rmeil, nahe dem bereits gentrifizierten Achrafieh-Bezirk. In seiner ganzen, brutalen Ehrlichkeit hat das Projekt den Anspruch, eine ausgesprochene Authentizität in der Architektur, vergleichbar vielleicht mit dem, was Le Corbusier in seiner Polemik „Vers une architecture“ einmal gesagt hat, zu vermitteln. Corbusier verlangte darin nicht nach einer neuen Architektur, sondern nach einer modernen Architektur.
ModuLofts stellt eine Herausforderung, eine Provokation für die existierenden Strukturen des Wohnbaus in Beirut dar. Der Bau antwortet auch auf die sich schnell und ständig wechselnden Bedingungen des urbanen Lebens. Zusätzlich zu den üblichen Herausforderungen des Wohnungsmarktes (nach kleinen oder mittleren Wohneinheiten) versuchten die Designer, eine Wohnlichkeit in den Lofts zu erzielen. Denn dieses „zu Hause sein“ fehlt sehr oft in realisierten Projekten. Außerdem sollten flexible Arbeitsmöglichkeiten in der dynamischen Stadt entstehen. All das sind Kriterien, die seit den 20er-Jahren zusammen mit der Klarheit der traditionellen Archetypen und aufgrund der neuen Bautechniken verschwunden sind. Also wurden daraus eine aufregende Ergänzung zum Stadtgefüge und eine Neuinterpretation der wichtigsten Qualitäten von Lofts: Ehrlichkeit bei den benutzten Materialien, großzügig vorhandenes natürliches Licht, Flexibilität und ein gewisser räumlicher Luxus.
Menschliche Kraft ist notwendig, um die beweglichen Trennwände umzupositionieren und so die 16 möglichen Aufteilungen der Wohnungen zu realisieren.
Wenn man sich dem Gebäude nähert, sticht die verblüffend unregelmäßige und sich ständig ändernde Fassade unter den umgebenden Wohnblocks heraus. Die, aus der Architektur heraus schiebbaren Wände ermöglichen 16 verschiedene Arten eines der Appartements zu „tunen“. So werden zusätzliche räumliche Konfigurationen und eine interne Flexibilität ermöglicht. Ein – sozusagen – kinetisches Bauwerk engagiert sich in der Straßenfassade und schafft Interaktionen mit den Nachbargebäuden, die mit den in Wohngebieten üblichen Balkonreihen verziert sind. Den Fouad Samara Architects sind gedankliche Verbindungen zur Architektur von Alison und Peter Smithson (siehe Kasten) aus den 80er-Jahren nicht fremd, aber auch Ideen von Lucius Burckhardt lassen sich in ihren Theorien finden. Nach dem Prinzip, dass ein Wohnbau erst dann fertig ist, wenn er von den Bewohnern in Besitz genommen wurde, lassen sich genau 268.435.456 Variationen für die Fassade, vorgenommen durch die Nutzer, imaginieren.
Beim Entwickeln der Grundrisse für ModuLofts versuchten sie auch, die Essenzen aus dem traditionellen libanesischen Wohnhaus einfließen zu lassen. Sie entwarfen Pläne für jedes der sieben, vertikal gestapelten Lofts. Alle haben einen zentralen, zweigeschossigen Wohn- und Essraum, zwei Räume auf der unteren Ebene und einen weiteren – verbunden durch eine schmale Brücke – auf der oberen Ebene. Mit Ausnahme der Küche auf der unteren Ebene haben diese anderen Räume keine speziellen Funktionen. Sie können geöffnet oder geschlossen werden, als Schlafzimmer, Studio, Homeoffice, Sitzbereich oder Gästezimmer benutzt werden. Ebenso kann die Küche vom übrigen Teil der Wohnung getrennt oder geöffnet werden. Flexibilität und eine räumliche Großzügigkeit sind die Kennzeichen jedes der Lofts. Jede Einheit kann in 16 verschiedenen Variationen personalisiert werden, je nach Lebensstil der Bewohner.
Wie bei den traditionellen libanesischen Häusern sind auch beim ModuLoft die Materialien und Konstruktionsmethoden klar lesbar und eindeutig. Sie schaffen den architektonischen Ausdruck des Bauwerkes. Tragende Teile sind in Ortbeton gegossene, grob geschalte Stahlbetonträger. Stahl- und Aluminiumelemente wie die Vorhangfassade, Geländer, Stiegen und Schiebewände sind schwarz gestrichen. Nicht lastabtragende Elemente wie abgehängte Decken und MDF-Verkleidungen sind weiß gestrichen. Die Wohnungsgrundrisse selbst sind nach einer Idee Louis Kahn‘s organisiert, in „served and servant spaces“. Ähnliche Ansätze sind auch bei den Aires Mateus Architects zu entdecken: An der Rückseite befindet sich eine 2,40 Meter tiefe Zone für Nebenräume und Erschließung, davor eine 80-Zentimeter-Zone für die interne Stiege und für Einbauschränke. Übrig bleibt ein 4,20 Meter tiefer Bereich, eine noble Zone, der sich zur hauptsächlich verglasten Straßenfassade öffnet und die Gegend überblickt.
ModuLofts
Beirut, Libanon
Bauherr: privat
Planung: Fouad M. Samara
Mitarbeiter: Jad Abi Fadel, Lara Alam
Statik: PAG for Engeneering
Grundstücksfläche: 1.700 m2
Bebaute Fläche: 206 m2
Planungsbeginn: 12/2010
Bauzeit: 4 Jahre
Fertigstellung: 02/2017
Baukosten: 2,16 Mio. Euro
Fotos:©Nader Mousally
Text:©Peter Reischer
Kategorie: Projekte