Symphonie im Stützenwald
Für die Gestaltung des Taihu Show Theatre im chinesischen Wuxi holt sich das Londoner Büro Steven Chilton Architects Inspiration aus der Natur. Sie entwerfen einen kreisrunden Bau und verpacken diesen in eine dichte Säulenstruktur, die einem Bambuswald nachempfunden ist. Damit schaffen die Architekten nicht nur einen Hingucker, sondern verschatten außerdem die Glasfassade auf natürliche Art und Weise.
Das Taihu Show Theatre entsteht in der ostchinesischen Metropole Wuxi. Diese zählt über sechs Millionen Einwohner und liegt am Tai Hu See in unmittelbarer Nähe Shanghais. Der Neubau entsteht in erster Linie als Kulisse für eine Wassershow von Franco Dragone, einem italienischen Theaterdirektor. Dieser machte sich unter anderem durch Inszenierungen des Cirque du Soleil einen Namen und soll mit der geplanten Daueraufführung zukünftig das kulturelle Angebot der Stadt bereichern.
Die britischen Steven Chilton Architects konzipieren das Theater als kreisrunden Bau. Eine intelligente Gebäudehülle, die sich aus drei Komponenten zusammensetzt, zieht sämtliche Blicke auf sich und reguliert gleichzeitig das Raumklima im Inneren. Sie besteht aus einer Glasfassade, einem schattenspendenden Vordach und einem dichten Wald aus hohen Stützen. Bei der Gestaltung ließen sich die Architekten vom größten Bambuswald in China inspirieren. Dieser befindet sich in unmittelbarer Nähe von Wuxi im Nationalpark Zhuhai und zählt zu einer der beliebtesten Touristenattraktionen der Region. Das naturinspirierte Design macht den Kulturbau mit seinem charakteristischen Aussehen zu einem neuen Wahrzeichen der Stadt.
Den Kern des Taihu Show Theatre stellt der zylinderförmige Saal dar, in dem die Aufführungen stattfinden. Als Herzstück des Gebäudes bietet er Platz für 2.000 Besucher. Die übrigen Räume mit Administration, Büros, Technik und Backstagebereichen sind rundherum über mehrere Geschosse verteilt angeordnet. Eine Kombination aus verputztem Betonstein an der Rückseite und vorgehängten Glaspaneelen zum Eingang hin bildet die erste Ebene der mehrschichtigen Gebäudehülle. Diese fungiert als thermischer Abschluss des Stahlbetonbaus und ist über die gesamte Höhe mit schmalen, goldenen und weißen Streifen überzogen. Durch die raumhohen Verglasungen gelangt viel Tageslicht ins Innere des Theaters, das für ein stimmungsvolles Ambiente sorgt.
Die übrigen Schichten, die die Fassade komplettieren, dienen nicht nur der Optik, sondern senken zudem als passive Maßnahme die Kühllast. Als oberer Abschluss legt sich ein Sonnendach ringförmig um den Baukörper. Dort kragt es fast zehn Meter aus und schirmt die Glasfassade vor der einfallenden Strahlung ab. Die Architekten ahmen in Form einer zarten Dreiecksstruktur die schattenspendende Laubkrone an der Spitze der Bambushalme nach. Unzählige, trianguläre Flächen treffen, fein perforiert und in unterschiedlichen Winkeln und Größen aufeinander. Sie scheinen dabei so willkürlich angeordnet zu sein, wie das Vorbild aus der lokalen, chinesischen Natur. Die lamellenartigen Elemente sind aus golden-eloxiertem Aluminium gefertigt. Sie werfen abwechslungsreiche Schatten ins Gebäudeinnere. Dadurch erhält das Theater einen fast organischen Touch, der sich je nach Tageszeit und Blickwinkel verändert.
Die Einzelteile des Sonnendachs sind auf einer ebenfalls dreieckigen Gitterstruktur montiert, welche die Lasten in die konstruktive Hauptebene des Baus abträgt. Jedes dieser Dreiecke funktioniert gleichzeitig als obere Einspannung für die über 300 Säulen, die den Abschluss der Hülle bilden und das Taihu Show Theater wie ein dichter Bambuswald umgeben. Diese kommen bei 33 m Höhe mit einem schlanken Durchmesser von lediglich 30 cm aus, sind dabei leicht in unterschiedliche Richtungen geneigt und imitieren die schmalen Halme des Bambus perfekt. Nur an einer Stelle der Fassade lichtet sich der Stützenwald und markiert den Haupteingang des Kulturbaus. Dieser wird von einem kleinen Vordach geschützt, das sich aus dreieckigen Elementen zusammensetzt und damit die Gestaltung der Lamellenstruktur des Dachs wieder aufgreift.
Ein zentraler Punkt der Planung lag in der Positionierung der einzelnen Stützen. Mittels „Swarm Intelligence“, einer generativen Methode zur Simulation verschiedener Szenarien anhand einzelner Parameter, entwickelten die Planer des britischen Architekturbüros die endgültige Anordnung. Dabei wurden mithilfe eines Algorithmus in mehreren Schritten verschiedene Konstanten geprüft, angepasst und sukzessive übereinandergelegt. Neben der Dichte des Säulenwaldes, die eine ausreichende Verschattung des Theaters und Schutz vor Einblicken garantiert, wurden die Mindestabstände zwischen den einzelnen Halmen sowie die Projektionsfläche des Sonnendachs berücksichtigt und damit das Arrangement der feingliedrigen Säulen optimiert.
Besonders bei Nacht zieht der Kulturbau sämtliche Blicke auf sich. Die Stützen sind rückseitig indirekt beleuchtet und machen die Fassade zum diffusen Leuchtmittel, das sich in der glatten Oberfläche des Tai Hu Sees widerspiegelt. Verschiedenfarbige Lichter lassen das Theater nicht nur magisch inmitten der Dunkelheit erstrahlen, sondern sollen die Neugierde der Passanten auf die Wassershow im Inneren wecken.
Das Taihu Show Theatre zeigt auf eindrucksvolle Weise, welche Vorteile naturinspirierte Designs und deren behutsame Übersetzung in zeitgemäße Architektur mit sich bringen. Neben der optischen Komponente und dem Wiedererkennungswert, den die Stützen dem Bau verleihen, können durch die Fassadengestaltung aufwändige Gebäudetechniksysteme auf ein Minimum reduziert und damit vor allem auf lange Sicht viele Kosten eingespart werden.
Wuxi Taihu Show Theatre
Wuxi, Jiangsu, China
Bauherr: Sunac China Holdings
Planung: Steven Chilton Architects
Mitarbeiter: Steven Chilton, Roberto Monesi, Xuecheng Wang
Statik: Buro Happold
Bebaute Fläche: 25.000 m2
Planungsbeginn: 11/2016
Bauzeit: 3 Jahre
Fertigstellung: 12/2019
Text: Edina Obermoser
Fotos: Kris Provoost
Kategorie: Projekte