Systemlösung am Bau – Siemensstraße

13. August 2018 Mehr

HOME 21 / Wien / trans_city TC ZT gmbh

Prolog und Kriterien
Es gibt in Wien Wohnbauten, die auf den ersten Blick wie industrielle Rasterbauten aussehen, auf den zweiten Blick jedoch durchaus Qualitäten offenbaren. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einer ist das Sofortwohnbau-Programm der Stadt Wien. Es wurde 2016 ins Leben gerufen, um das Problem der Wohnungsknappheit in der wachsenden Stadt zu entschärfen. So sollten laut Stadtregierung eintausend mobile, kostengünstige und auch nachhaltige Wohnungen entstehen. Alle Projekte des Wiener Wohnbau-Sofortprogramms in System- und Leichtbauweise entstehen vorrangig auf Liegenschaften mit den Widmungen Verkehrsband oder Betriebsbaugebiet oder anderweitig unpassenden Widmungen bzw. auf Arealen mit Bausperren – also Arealen, die in absehbarer Zukunft nicht für den geförderten Wohnbau vorgesehen sind. Die Liegenschaften befinden sich im Eigentum der Stadt Wien oder von Bauträgern. Die durchschnittliche Wohnungsgröße liegt bei 50 m2.

 

Siemensstraße

Einen Wohnbau im Rahmen des Sofortwohnbau-Programmes der Stadt Wien errichtete die trans_city TC ZT gmbh in der Siemensstraße in Wien. Der Bau, der industriell anmutet, enthält 230 Wohnungen und steht temporär auf einem Betriebsbaugebiet. Die Wohnungen stehen für fünf bis zehn Jahre zur Verfügung und können dann – aufgrund eines Rastersystems – an einer anderen Stelle wieder neu aufgebaut werden.

 

Diese Wohnungen sollen in System- und Leichtbauweise errichtet werden. Da die Grundstücke nur temporär (für einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren) zur Verfügung stehen, können Projekte mit qualitativ hochwertigen Bausystemen (z. B. aus Holz oder Leichtbeton) in einer rascheren Bauzeit (ab Baureife des Grundstücks in etwa sechs bis zwölf Monaten) errichtet werden. Das ist mindestens doppelt so schnell wie bei einer konventionellen Bauweise und spart Kosten. Mobil und nachhaltig heißt in diesem Fall, dass nach Ablauf der Nutzung auf einem Grundstück die Bausubstanz je nach Gebrauchszustand andernorts erneut aufgebaut oder recycelt wird. Die Verwendung von unterschiedlichen Baumaterialien lässt optimal zugeschnittene Lösungen für die jeweiligen Grundstücke, aber auch genügend Spielraum für eine innovative und vielfältige Architektur zu.

Ein Resultat
HOME 21 in der Siemensstraße in Wien ist Systembau, ein multifunktionelles Bauwerk und auch ambitionierter sozialer Wohnbau. Das Haus soll als Wohnbau über die ersten zehn Jahre seines Lebenszyklus funktionieren, danach muss er in wirtschaftlicher Art und Weise zu einem Gewerbebau umgebaut werden können. Das bedeutet natürlich, eine von Anfang an nutzungsneutrale Auslegung, um den späteren Umbau zu ermöglichen. Das wiederum bedingt die Systembauweise.

Beim gegenständlichen Projekt wurde daher das mit dem Bauträger entwickelte und vom KALLCO patentierte Slim-Building® System verwendet. Dieses innovative Bausystem verwendet schlanke Stahlsäulen in direktem Verbund mit Stahlbetonelementdecken. Die Außenwände sind nicht tragend. So entstehen offene, loftartige Innenräume, die unterschiedlich aufgeteilt werden können. Für den Bauprozess halbiert Slim-Building die Rohbauzeit – und schnelles Bauen ist eine Vorgabe des Sofortwohnbaus. Da die Herstellungskosten lediglich 1.200 Euro/m² betragen dürfen, muss sich das Projekt innerhalb der nächsten zehn Jahre amortisieren. Somit war die Zeitersparnis auch für die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens maßgebend.

 

Siemensstraße

Die Wohnungen sind hell und funktional und die meisten sogar mit Küche.

 

HOME 21 nutzt das Potenzial dieses Systems optimal aus. Die Grundrisse bauen auf einem strengen, sehr wirtschaftlichen Raster auf, die Aufteilung ist sowohl auf die kompakten Grundrisse der Wohnnutzung wie auch auf die Erfordernisse der gewerblichen Nachnutzung abgestimmt. Die lichte Raumhöhe aller Geschosse beträgt zumindest 2,82 Meter, im Erdgeschoss sogar drei Meter. Die Programmierung des Gebäudes entspricht den sozialen Absichten des Sofortwohnbaus. Aufgrund der Limitierung der Herstellungskosten wurden nur sehr wenige Markenprodukte eingesetzt und viele Produkte (Bäder, Elektro) vom GU/Architekten direkt auf der Baustelle freigegeben.

Die kompakten, aber sehr gut organisierten Wohnungen wurden überwiegend an Menschen mit beschränkten Einkommen vergeben. Auch MigrantInnen sind bei der Vermietung berücksichtigt worden. Es sind keine Eigenmittel erforderlich und die Miete inkl. Betriebskosten und MwSt beträgt € 7,50/m2. Dazu kommen € 0,80/m2 Möbelmiete, da die meisten Einheiten mit Küche und möbliert vermietet werden. Im ersten Obergeschoss des nordwestlichen Bautrakts ist ein Mutter-Kind-Zentrum eingerichtet und im Erdgeschoss des südöstlichen Teils ist ein Heim für betreutes Wohnen im Alter untergebracht. Das Projekt ist nicht unterkellert; im Erdgeschoss befinden sich neben dem Heim und dem Gewerbe auch Stellplätze und Einlagerungsräume.

 

Siemensstraße

Eine insgesamt freundliche Atmosphäre entsteht durch die Farbigkeit der Fassaden.

 

Die architektonische Sprache und die Materialität entstehen unmittelbar aus der Auseinandersetzung mit dem Programm, dem Bausystem und der Ökonomie. Der Grundgedanke war, die unterschiedlichen Systeme – Tragwerk, wohnungsbezogenen Freiraum, Fassade und Erdgeschoss – aufeinander abzustimmen. Das Traggerüst für die Balkone besteht aus einfachen, verzinkten Stahlprofilen. Die Steher des Gerüstsystems liegen auf den Achsen der Slim_Building® Raster, die Balkone sind auf die stählernen Konsolen aufgelegt. Die Brüstungen sind aus bandbeschichtetem Alu-Trapezblech hergestellt. Die Balkone können in zwei unterschiedlichen Positionen im Gerüst angebracht werden, somit ließen sich Kontrapunkte zum strengen Rhythmus des Systemrasters erzeugen. Das Farbspiel zwischen der roten Fassade und den Goldtönen der Balkonbeschichtung verleiht der Komposition Wärme und Spannung.

 

 

HOME 21
Wien, Österreich

Bauherr: Kallinger Projekte
Planung: trans_city TC ZT gmbh
Mitarbeiter: Markus Steiner, Simon Hendrix, Lu-ying Yan-Neumann, Dmytro Isaiev
Statik: Katzkow u. Partner ZT gmbh

Grundstücksfläche: 14.149 m2
Bebaute Fläche: 5.930 m2
Nutzfläche: 11.928 m2
Planungsbeginn: 07/2016
Bauzeit: 15 Monate
Fertigstellung: 03/2018
Baukosten: 14.313.000 Euro

 

Siemensstraße

Areal Siemensstraße

 

Fotos: ©Daniel Hawelka

Text: ©Peter Reischer

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Kategorie: Projekte