Tech statt Theater

11. Mai 2022 Mehr

Leuchtend rot schmiegen sich die Interventionen des Architekturstudios Bernhard Khoury / DW5 an die historische Fassade aus weiß verputztem Torfstein. Ein verspiegeltes Dach schwebt über dem ganzen Ensemble und gewährt ungewohnte Einblicke sowie Perspektivwechsel. Im Inneren von TUMO wurde ein ehemaliger Theatersaal zum knalligen Kreativ-Zentrum für Design und Technologie für Jugendliche.

 

TUMO Center for Creative Technologies

 

Mit 170.000 Einwohnern ist Gyumri die zweitgrößte Stadt Armeniens. Von zwei Erdbeben in der Vergangenheit schwer gebeutelt, erfuhr die Region beim Wiederaufbau in Folge große Unterstützung aus dem Ausland. Dies spiegelt sich in einer vielfältigen, von internationalen Stilen beeinflussten Architekturlandschaft wider. Gerade historische Bauwerke und Relikte zu nutzen und zu erhalten, hat aufgrund deren Rarität außerdem einen hohen Stellenwert im Land. So konnte das ehemalige und zwischenzeitlich ungenutzte Theater in Gyumri von dem Kreativstudio Bernhard Khoury / DW5 eindrucksvoll wiederbelebt und der Öffentlichkeit zurückgegeben werden.

 

 

Über den antiken Mauern schwebt ein verspiegeltes Dach, getragen von leuchtend roten Stützen. Auch alle anderen Ergänzungen oder Zubauten wurden in der auffälligen Signalfarbe ausgeführt, die sich bis in die Innenräume konsequent fortsetzt und sich von der monochromen Farbpalette der umgebenden Stadtlandschaft abhebt. Die Süd- und Ostfassaden des Gebäudes, die ursprünglich aus lokalem Torfstein errichtet und weiß verputzt sind, wurden hingegen erhalten und restauriert. Auf einen Blick erschließt sich dem Betrachter somit, was alt ist und was neu. Diese strikte Trennlinie führt aber auch dazu, dass sich die Architektur in einzelne Flächen und Formen aufzulösen scheint. Anstelle eines einzelnen Bauwerks lässt sich das TUMO Center for Creative Technologies aus wechselnden Perspektiven immer wieder neu erleben. Dieser Effekt wird durch die Vorspiegelung des über dem Gebäude schwebenden Daches noch zusätzlich verstärkt. Gewohnte Sichtweisen werden so sprichwörtlich auf den Kopf gestellt.

 

 

Die Architektur passt perfekt zur Nutzung durch das TUMO Center for Creative Technologies. Das kostenlose Bildungsprogramm für Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren hat sich auf die Verknüpfung von Technologie und Design spezialisiert. Seitdem das erste TUMO-Zentrum 2011 im armenischen ­Eriwan eröffnet wurde, kamen weitere Standorte im Land hinzu – mittlerweile gibt es aber auch Zentren in Paris, Beirut, Moskau, Tirana und Berlin. Die Gründer Sam und Sylva Simonian stammen ursprünglich aus Beirut, zogen im Teenageralter in die Vereinigten Staaten und blieben sich dabei stets bewusst, welch bedeutenden Beitrag armenische Organisationen im Laufe der Jahre zu ihrer Ausbildung und ihrem Erfolg geleistet hatten. Dieses Geschenk wollen die beiden mit TUMO an die heutige Generation motivierter Jugendlicher weitergeben.

 

TUMO Center for Creative Technologies

 

Auch der Architekt und Mitbegründer des Arabischen Zentrums für Architektur, Bernard Khoury, stammt aus Beirut. Mit dem DW5 Design Studio hat der renommierte Vorausdenker eine offene Plattform für Entwickler, Architekten, Planer und Designer geschaffen, die Kräfte bündeln und Ressourcen mit anderen Spezialisten aus verschiedenen Bereichen der Industrie teilen soll. „Die Akteure, die an der Gestaltung eines Projekts beteiligt sind, können aus sehr unterschiedlichen Bereichen kommen. Architektur ist keine autonome Disziplin. Es ist wichtig, dass wir uns von anderen Disziplinen unterstützen und inspirieren lassen, je nach den Besonderheiten und dem Verständnis der verschiedenen Kontexte, in denen wir tätig sind“, erklärt Khoury seine Herangehensweise und ergänzt, „wir sind davon überzeugt, dass eine enge Zusammenarbeit mit den Bauherren sowie mit allen, die an der Zusammenstellung der Agenda eines Projekts oder seines Programms vor der eigentlichen Entwurfsarbeit beteiligt sind, den Weg zu angemesseneren und originelleren architektonischen Lösungen ebnen kann. Unsere erfolgreichsten Projekte waren nie auf ein strenges und vorgegebenes Programm beschränkt.“

 

 

Bestes Beispiel dieser Denkart: das TUMO Center in Gyumri. Die historische Substanz so weit wie möglich zu bewahren, stellte einen entscheidenden Parameter in der Entwicklung des Konzeptes dar. Das in den 1850er-Jahren errichtete Gebäude beherbergte vom Gemeindehaus bis zum lokalen Fernsehsender eine Reihe an Einrichtungen und wurde je nach Anforderung in mehreren Etappen stetig umgebaut. Heutiger Namensgeber ist das Opernhaus, für das der charakteristische Saal in ein Theater mit drehbarer Bühne umgewandelt wurde. Die Intervention von Bernhard Khoury / DW5 bestand darin, das Gebäude in eine interaktive Lernplattform für die vier Schwerpunktbereiche Animation, Videospiel- und Webentwicklung sowie digitale Medien, umzuwandeln. Der Theatersaal wurde in diesem Zuge als stufenförmiger, kollektiver Arbeitsbereich mit 3D-Drucklabor konzipiert, in dem auch Präsentationen und Aufführungen mit 200 Teilnehmern stattfinden können.

 

 

Dank der Anbindung an den bestehenden öffentlichen Raum, wirkt sich das Projekt auch positiv auf das soziale und kulturelle Gefüge der Stadt aus und setzt unterschiedliche Topografien gekonnt in Verbindung. Die wichtigsten Lehrsäle befinden sich im Erdgeschoss und sind von der Ostfassade auf der unteren Parkebene zugänglich, während alle anderen öffentlichen und nicht studentenbezogenen Funktionen wie die Hauptlobby, die Verwaltung und das öffentliche Amphitheater auf der oberen Straßenebene, entlang der Westfassade, vom Dach des Erdgeschosses aus zugänglich sind. Das Dach, das als interaktiver öffentlicher Raum mit einem imposanten Bogen, einer Bar und gemeinsamen Treffpunkten konzipiert ist, fungiert als Verbindung zwischen den Aktivitäten im Innen- und Außenbereich, die unter einem großen Vordach stattfinden können, dessen verspiegelte Unterseite das Geschehen für die Umgebung reflektiert. Jeder ist hier willkommen und die Neugier, was wohl im Inneren vor sich gehen mag, zieht Einheimische wie Touristen nahezu magisch an.

 

 

Die Innenräume sind in ihrer Ausgestaltung bewusst schlicht gehalten. Material, Form und Farbe bilden eine anregende Kulisse für die Hauptakteure: die Kinder und Jugendlichen, die nach der Schule hierherkommen. Die Lehrbereiche und Erschließungszonen wurden bewusst in beruhigenden Grautönen gehalten. Die kreative Explosion erfolgt hingegen im „roten Saal“. Trotz aller räumlicher Zurückhaltung ist der Synergieträger TUMO mit modernster digitaler Technologie ausgestattet und wird von Pädagogen und Medienfachleuten betreut, die den Schülern helfen, kreative Inhalte und Medienanwendungen anhand realer Projekte zu erforschen und zu entwickeln. In dem ehemaligen Opernsaal wird die Geschichte des Ortes spür- und erlebbar, obwohl auf jegliche historische Relikte verzichtet wurde. Der kreative Umgang mit Bestand und Neubau, die Leichtigkeit und Frische, aber auch überraschende Details wie das verspiegelte Dach machen dieses unkonventionelle Gebäude zu einem besonderen Ort für Zukunftsvisionen.

 

 

 

TUMO Center for Creative Technologies
Gyumri, Armenien

Bauherr:                TUMO
Planung:                Bernhard Khoury / DW5

Bebaute Fläche:                   2.475 m2
Planungsbeginn:                  2016
Fertigstellung:                     2020

www.bernardkhoury.com

 

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Sona Manukyan – Ani Avagyan

 

Kategorie: Projekte