Technik und Funktion in den Tropen

12. September 2014 Mehr

 

 

 

 

 

Universitätsbibliothek / Cayenne / rh + architecture

Die Aufgabe einer Universitätsbibliothek ist es, Bücher zu sammeln und den Lesern einen außergewöhnlichen Ort des Wissens sowie einen offenen, großzügigen Bereich innerhalb der Uni anzubieten. Das Gebäude dieser Universitätsbibliothek in Cayenne, einer Hafenstadt in Französisch Guyana sollte gleichzeitig eine zentrale Rolle am Campus der dortigen Universität spielen und seine Wirkung über die Universität hinaus in das Land hinein reichen.

Es ging den Planern von rh + architecture darum, sowohl einen kulturellen Ort wie auch ein qualitatives Angebot der Dokumentation anzubieten. Auch sollte sich in der Architektur ein Bild der regionalen Gemeinschaft materialisieren, deshalb musste das Bauwerk eine physische, soziale und symbolische Identität ausstrahlen und das weit in die Nachbarschaft und die Stadt hinein. Die, zu diesem Profil passende Architektur drückt sich in ihrem Volumen und vor allem in ihrem Gebrauch aus – sie symbolisiert eine Öffnung der gesamten Universität in Richtung Gesellschaft.

Das Hauptmerkmal der Bibliothek ist ein offener, peripherer Bereich, der den Körper umhüllt. Wie von einer einheitlichen, zusätzlichen Haut ist das Gebäude von einer Galerie umgeben, einer Art Peristyl. Die Hülle besteht aus einem ‚Vorhang aus hölzernen Schnüren‘, die sorgfältig um den inneren Betonkern platziert sind. Ein offener Bereich, in dem sich die Studenten treffen, ihn durchschreiten, ein Zusatzbereich zwischen innen und außen, geschützt vor Sonne und Regen. Um das Leben am Campus mitzubekommen, muss der Leser an seinem Arbeitsplatz nur den Kopf heben und wie durch einen Filter aus Holz auf den Verkehr und das Leben außerhalb und die Passanten in der Galerie blicken.
Dieser hölzerne Filter ermöglicht eine Öffnung der Bibliothek zur Gesamtuniversität und auch einen genau begrenzten Durchgangsbereich, der Sozietät stimuliert, er bringt gedämpftes Licht in die Innenräume und schafft eine neue Landmark auf dem Gelände.

Die Bauindustrie ist im Allgemeinen ein großer Verbraucher von Ressourcen wie Wasser, Energie, Rohmaterialien und nebenbei ein Abfallproduzent. Deshalb sind bei diesem Projekt die Gedanken der Architekten automatisch in Richtung des sogenannten ‚Amazonian Environmental Quality Process‘ gegangen. Das ist die höchstqualifizierteste Umweltzertifizierung (HQE®) für tropische und subtropische Länder. Deren Ziel ist, über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerkes, dessen Einfluss und ebenso den seiner Nutzer (über mehrere Generationen) auf die Umwelt zu minimieren. Es geht um die Vermeidung von inneren Verschmutzungen durch Farben, Lösungsmittel und giftige Materialien, um Luftqualität der Innenräume und Restfeuchtigkeit. 
Im psychologischen Bereich um hygrothermischen, akustischen und olfaktorischen Komfort und bezüglich der Umwelt, um die – zumindest theoretisch bereits selbstverständliche – Vermeidung von Umweltschäden durch die Gründung des Baus, sowie Wasser- und Luftverschmutzung durch die für den Betrieb benötigte Energieerzeugung. International gesehen müssen bei dieser Zertifizierung auch der Treibhauseffekt und die Schädigung der Ozonschicht durch Klimaanlagen berücksichtigt werden. Also sehr engagierte Ziele, die in unseren Breiten oft nicht in diesem Ausmaß beachtet werden.

Der Sonnenschutz der Bibliothek beruht auf dem Prinzip einer doppelten Fassade. Alle Außenseiten und speziell die W/O Ansicht sind durch diesen hölzernen Filter verschattet, der wie eine ‚brise soleil‘ – das ist ein starres Sonnenschutzsystem – wirkt. Ein zweites Dach schützt den Kern vor der in Äquatornähe sehr intensiven Sonneneinstrahlung.
Für den optischen Komfort in den Lesebereichen war es ausschlaggebend, dass in keinem Winkel, in den sich ein Lesender zurückziehen könnte, irgendwelche störenden Reflexionen auftreten sollten: überall dasselbe, diffuse, gleichmäßige Licht. Dieses sanfte und ‚umhüllende‘ Licht wurde erzielt, indem generell das Tageslicht durch die hölzerne Haut gebrochen und dann durch viele, über die Oberfläche der Wand verteilte Öffnungen – sozusagen homogen – in das Gebäude eindringt. Mit derselben Logik wurde auch das künstliche Licht verteilt, um Blendungen, Reflexionen und Widerschein zu vermeiden.
Durch die Verwendung von schallabsorbierenden Materialien an Decken, Böden und Wänden entsteht eine ruhige Raumatmosphäre, die Konzentration ermöglicht.

Das Haus ist in zwei Bereiche gegliedert: einer für die Öffentlichkeit und einer für die Verwaltung. Die öffentlichen Räume sind im Erdgeschoss und im Mezzanin, die Areale der Verwaltung im Obergeschoss und teilweise auch auf der Eingangsebene. Im Erdgeschoss betritt man – nachdem man die Galerie durchquert hat – die Bibliothek durch eine Doppeltüre und kommt in einen großen Empfangsbereich. Hier befindet sich ein Warteraum, die Rezeption und im Hintergrund die Nasszellen. Passiert man die Zugangskontrolle, erreicht man die Bücherausgabe, den Presseraum oder den temporären Ausstellungsbereich. Zwei Höfe ermöglichen die Belichtung auch im Kern des Bauwerkes, stellen die Abgrenzung zwischen öffentlichen und administrativen Bereichen dar und sind auch für eine – im Raumprogramm geforderte – spätere Erweiterung notwendig.
In den oberen Ebenen gibt es im Mezzanin noch öffentliche Räume – Dokumentation, individuelle Beratung, Individualarbeits- und Forschungsräume. Der Zugang zur Verwaltung wird direkt über das Eingangsgeschoss ermöglicht: entweder per Lift oder durch eine Stiege entlang des zentralen Patios. Die Büros sind zu beiden Seiten des Stiegenhauses situiert. Alle profitieren vom natürlichen Licht und den Ausblicken entweder nach außen oder in den Hof hinein.
Universitäts Bibliothek
Cayenne, Franz. Guyana

Bauherr Rektor der Universität
Planung rh + architecture
Statik Technôpole Martinique, SODETEC / Eng. Wood : Sylva Conseil
Grundstücksfläche 2.571 m2
Bebaute Fläche 2.357 m2
Nutzfläche 2.143 m2
Planungsbeginn 03/2006
Bauzeit 18 Monate
Fertigstellung 10/2013
Baukosten 5,3 Mio. €

rh + architecture entwarf in Cayenne, Französisch Guyana eine Universitätsbibliothek, die als neue Landmark für das ganze Campusgelände gilt. Punkto Nachhaltigkeit und Umweltschutz wie auch Komfort der Nutzer legten die Architekten Maßstäbe an, die man sich bei einigen europäischen Bauten nur wünschen könnte.

 

Text: Peter Reischer
Fotos: Jean-Michel André, Jonathan Cacchia

 

 

 

 

 

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Kategorie: Projekte