Das UrgentCity Projekt
„Smart“ ist wohl der häufigste Ausdruck des modernen Cityvokabulars, den kaum einer mehr hören kann, geschweige denn in den Mund nehmen will. Zu sehr sind wir in den Medien und der Öffentlichkeit von Fremdwörtern und neuen Begrifflichkeiten in der fast täglichen Diskussion um die Zukunft unserer Städte überflutet. Architektur, Stadtplanung, Kunst, Design, Aktivismus, Stadtforschung, Verwaltung und Politik sprechen zwar (angeblich) miteinander, viele Diskussionen laufen aber parallel oder sogar getrennt ab, da eine gemeinsame Verständigungsbasis oft schwer zu erreichen ist. Wer nicht versteht – kann und darf nicht mehr mitreden.
Als urbanes Habitat bieten Städte ein reiches Feld von Möglichkeiten, aber gleichzeitig viele Herausforderungen an allen möglichen Fronten. Umwelt, Ökologie, Technologie und Gesellschaft sind einige davon. Es gibt schon eine ganze Reihe von interessanten Entwicklungen (Stadtpolitiker bräuchten nur zuzugreifen), wie zum Beispiel:
• Das BMW Guggenheim Lab, ein mobiler Think-Tank hat ein Projekt mit Namen „100 Urban Trends“ als eine Sammlung von Ideen zur Urbanität entwickelt. Sie stellt sich als eine „Compilation“ der meistgebrauchten und drängendsten Probleme der Stadt dar.
• Das „Dictionary of Now“ wiederum, wird aus einer Serie von zwölf Diskussionen (2015 – 2018) zwischen Fachleuten eine Publikation herausbringen, welche die Schlüsselbegriffe der einzelnen Teilnehmer aufgreift, Verbindungen herstellt und daraus eine dynamische Konstellation der Wissensproduktion erlaubt.
Das UrgentCity-Projekt, das von 11. bis 12. November in Florenz im Palazzina Reale stattgefunden hat, ist auch so ein kleiner Lichtblick und tritt genau in diese Fußstapfen. Fast 30, aus den verschiedensten Ländern Europas angereiste Teilnehmer aller erdenklichen Disziplinen, versuchten, eine gewisse Klarheit in den babylonischen Bedeutungswirrwar der modernen Stadtplanung zu bringen. Die Initiative, welche von „Amateur Cities“ (NL) und „New Generations“ (IT) kuratiert wurde, präsentierte sich in einem zweitägigen Event mit Workshops, Diskussionen, Roundtable-Gesprächen und Keynote-Vorträgen.
Durch das Crowdsourcing von Ideen (im Frühjahr 2016) von verschiedensten Teilnehmern wollten die Kuratoren einen multidisziplinären, epistomologischen Rahmen für bereits existierende und auch neue Begriffe schaffen, um so ein allseits zugängliches, neues urbanes Vokabular definieren zu können. Es ging bei diesem Forschungsprojekt um einen Wortschatz, um ein Vokabular und um die Rolle der Sprache schlechthin, die diese in der täglichen Auseinandersetzung um die zukünftigen Entwicklungen unserer Städte einnimmt.
UrgentCity sieht sich als Werkzeug, um all diese Begriffe und Worte zu definieren, zu verstehen und in den zeitgemäßen interdisziplinären Diskurs einzubringen. Es soll so eine Basis, von der aus die dringenden urbanen Probleme behandelt und verbalisiert werden können, geschaffen werden. In der kommenden Zukunft werden die Bürger, die Regierungen und auch die NGOs eng und aktiv in die urbane Diskussion bezüglich Stadtplanung und -entwicklung eingebunden sein müssen. Es wird um die Zusammenarbeit gehen.
architektur unterhielt sich mit einer der KuratorInnen der Veranstaltung: Cristina Ampatzidou, eine der Gründerinnen der Plattform „Amateur Cities“ (Holland) meinte auf die Frage nach dem Erfolg des Projektes: „Ja, das Event war sicherlich ein Erfolg, vor allem die Ergebnisse der Workshops. Wir hatten eine Unmenge von Worten und Begriffen, die wir während des „open call“ gesammelt haben. Es war eine Herausforderung, verschiedene Wege, um mit diesem Vokabular zu arbeiten, herauszufinden. Es ging ja um die Beziehungen der Begriffe untereinander, die Bedeutung der Worte ändert sich heute sehr schnell und die Menschen interpretieren sie – je nach persönlichem Hintergrund und Kontext – sehr verschieden. Wir haben versucht, „Wortfamilien“ zu schaffen und die Querbeziehungen der Worte aus verschiedenen Kategorien miteinander in Verbindung zu setzen. Das muss natürlich laufend up-gedated werden, der Prozess ist nie zu Ende.“
Auf die Frage nach der Auswirkung auf die Stadtplanung formulierte sie: „Das Projekt kann uns auf einer breiteren Basis helfen. Zu sehen, wie Personen mit verschiedenen Hintergründen Prioritäten setzen, welche Worte sie benutzen, um wichtige Dinge zu benennen, ist ein kleiner Schritt zum besseren gegenseitigen Verständnis. Das war auch der Grund, aus dem wir eine möglichst diverse Gruppe von Teilnehmern angestrebt haben. Es ging und geht auch darum, bestimmte Annahmen und Voraussetzungen, die wir von Stadt haben, neu zu denken. Sowohl aus der professionellen Sicht wie auch aus der des Bürgers. Wir müssen sensitiver gegenüber all den Personen werden, die in das „Citymaking“ involviert sind.“
Rebekka Kiesewetter vom „Depot Basel“ begrüßte vor allem das Eingeständnis, dass es nicht um eine Einzementierung und Terminologisierung von Wörtern ging, sondern eher darum, ein anderes Verständnis für Worte und den Gebrauch von Worten zu entwickeln und auch deren Ambiguität anzuerkennen.
Esau Acosta Perez, vom multidisziplinären Architekturbüro Estudio SIC aus Madrid formulierte eine Art Kritik an der Sprachlichkeit folgendermaßen: „Es geht nicht darum, neue Worte zu finden, wir müssen die Vorhandenen in unserem Konzept des täglichen Gebrauchs neu definieren. Architektur ist in sich schon sehr komplex und unsere Sprache ist sehr grob. Hier (UrgentCity) denken wir zum Beispiel über die Domestizierung unserer eigenen Sprache nach. Können wir zum Beispiel in architektonischen Projekten dieselben Worte, die wir auch in unserem Familienkreis gebrauchen, verwenden? Wir glauben, auch an den Hochschulen immer, dass wir alle Worte gebrauchen können, um etwas zu beschreiben. Diese Beiläufigkeit kann auch der Beginn eines Krieges sein!“
Text: Peter Reischer
Fotos:© Luca Chiaudano CC BY-NC-SA 4.0