Vom Co-Working zum Co-Housing
Das mexikanische Architekturbüro PRODUCTORA entwarf mit dem Projekt Co-Housing Denver zwei unübersehbare Häusergruppen. Komplett in Blau gestaltet, ziehen die Bauten nicht nur sämtliche Blicke auf sich, sondern vereinen im Norden der amerikanischen Metropole, trotz verhältnismäßig hoher Dichte, niedrige Kosten mit maximaler Wohnqualität und schaffen damit ein völlig neues Modell des Zusammenlebens.
Co-Housing Denver entstand im Auftrag des Immobilienentwicklers Continuum Partners und der lokalen Non-Profit-Organisation Biennial of the Americas, drei Kilometer nördlich des Zentrums. Hier erfüllen sich viele US-Amerikaner den Traum vom kleinen Eigenheim und tragen dazu bei, dass in den Suburbs bei geringer Bevölkerungsdichte hoher Flächenbedarf besteht. In dem typisch gerasterten Wohnviertel steht das auffällige Ensemble an der Ecke zwischen East 36th Avenue und North Merion Street. Der 15 Meter
breite Bauplatz ist in zwei längliche Parzellen unterteilt. Auf beiden von ihnen waren laut Bebauungsplänen, den sogenannten „Zoning Laws“ der Hauptstadt Colorados, ein Haupthaus und rückseitig ein kleineres Nebengebäude vorgesehen.
Die Architekten reagierten mit ihrem Entwurf auf einen Trend, der vor allem in gut gelegenen Stadtvierteln zu beobachten ist: Dort werden Einfamilienhäuser oft von Freunden oder Paaren als Wohngemeinschaft bewohnt. Mit dem Co-Housing sollte dieses gemeinschaftliche Leben ermöglicht und trotzdem die nötige Privatsphäre geboten werden. Gleichzeitig wollte das Büro anhand des experimentellen Prototyps neue Möglichkeiten für das Wohnen am Rande von Denver aufzeigen. Anstatt der ursprünglich geplanten vier Einheiten, entschied man sich deshalb für acht. Die zweiteilige Bebauung des Doppelgrundstücks wurde beibehalten und so die Vorgaben der Behörden erfüllt.
Das Ensemble besteht aus zwei identischen Häusergruppen, die entlang der Längsachse gespiegelt sind. Hinter dem obligatorischen Grünstreifen befindet sich auf beiden Grundstückshälften zuerst ein schmaler, länglicher Baukörper. Er ist an der Außengrenze der Parzelle positioniert und zweigeschossig ausgeführt. Zwischen den Volumen bleibt ein schmaler Streifen frei, welcher der Erschließung dient und die Parzelle mittig durchquert. Im hinteren Bereich gibt es auf jeder Seite ein kleineres Häuschen. Dieses folgt dem leichten Gefälle des Grundstücks und ist als Split-Level-Bau organisiert. Den oberen Abschluss des Ensembles bilden steile Satteldächer. Im Haupthaus werden die Dachflächen von einem zentralen Einschnitt quer unterteilt. Durch die raffinierte Zäsur ergeben sich insgesamt sechs Dächer. In der Draufsicht wirkt es deshalb so, als würde es sich um separate Gebäude handeln, die sich harmonisch an die kleinteilig bebaute Nachbarschaft des Wohnquartiers anpassen.
Neben der archetypischen Hausform fällt das Co-Housing-Ensemble durch seine plakative Färbung auf: Die Baukörper sind rundum blau. Ausschlaggebend für die Farbwahl war die Stehfalzdeckung der geneigten Dächer, die laut dem Planerteam aus Mexiko standardmäßig in diesem Ton geliefert wird. Um Kosten zu sparen, machte man die Farbe kurzerhand zum Programm. Dafür tunkte man die Holzansichten – die von vertikalen Latten in regelmäßigen Abständen strukturiert werden – ebenfalls in Blau. Die unteren Etagen der größeren Baukörper setzen sich in einer helleren Nuance leicht von den übrigen Fassaden- und Dachflächen ab und komplettieren das monochrome Design.
Während im Hauptgebäude jeweils drei Wohneinheiten untergebracht sind, gibt es in den beiden kleinen Häusern zwei weitere Studios. Jedes der Appartements verfügt über ein eigenes Badezimmer und eine Küchenzeile. Im Obergeschoss nutzten die Architekten den Raum unter dem steilen Dach als Mezzanin. Dieses wird über eine Leiter erschlossen und bietet Platz zum Schlafen. Auch die hinten gelegenen Bauten prägt ein Spiel mit unterschiedlichen Höhen und Zwischengeschossen. Beim Betreten gelangt man direkt in den hohen Eingangsbereich mit anschließendem Bad. Von dort aus führen ein paar Stufen nach unten in die Wohnküche oder man klettert nach oben in den Schlafbereich. An der Rückseite verfügt das Appartement über eine Art verglastes Garagentor. Dieses verleiht ihm einen Atelier-Charakter und erweitert den Wohnraum in den warmen Monaten nach draußen. In den beiden Haupthäusern gibt es im Erdgeschoss zwei Gemeinschaftsräume, die zum Herzstück des Co-Housing-Konzepts werden: Sie nehmen die Hälfte der Fläche ein und öffnen sich über raumhohe Glasschiebetüren zueinander und den mittigen Freiflächen zwischen den einzelnen Volumen. In dem kollektiven Wohnzimmer können sich die Bewohner wie in einer WG treffen und gemeinsam kochen, lachen und leben – mit dem Unterschied, dass jeder einzelne trotzdem über eine private, voll ausgestattete Wohnung verfügt, sollte ihm einmal nicht nach sozialer Interaktion sein.
Um das geringe Budget von 2.000 Euro pro Quadratmeter einzuhalten, fiel die Wahl auf kostengünstige Materialien und Standardlösungen. Trotzdem gelang es den Planern, einen Mix aus Funktionalität und Gemütlichkeit zu gestalten. Im Gegensatz zu außen sind die Innenräume neutral gehalten: Neben weißen Wänden und Einbauten gibt es graue Estrich- oder warme Holzböden. Der Naturwerkstoff findet sich auch in Details wie den Leitern, Handläufen und der Arbeitsplatte wieder. An der Unterseite der eingezogenen Zwischendecken bleibt die Holzkonstruktion sichtbar und sorgt für zusätzliche Wohnlichkeit.
Das Co-Housing nutzt den kostbaren Wohnraum Denvers optimal aus und wird in dem suburbanen Viertel gleichzeitig zur neuen Landmarke. Mit Platz für acht Einheiten können Freunde und Familien gemeinsam und doch privat zusammenzuleben. PRODUCTORA gingen mit ihrem unkonventionellen Ansatz einen alternativen Weg hin zu mehr Wirtschaftlichkeit und demonstrierten, wie man wertvolle Fläche kostengünstig und effizient in ein äußerst lebenswertes Zuhause verwandelt.
Co-Housing Denver
Denver, Colorado, USA
Bauherr: The Biennial of the Americas / Continuum Partners (Mark Falcone)
Planung: PRODUCTORA (Carlos Bedoya, Wonne Ickx, Víctor Jaime, Abel Perles)
Partnerarchitekt: Joe Dooling (DDB)
Planungsteam: Ruy Berumen, Emiliano Rode, Tessa Watson
Grundstücksfläche: 570 m2
Bebaute Fläche: 255 m2
Nutzfläche: 337 m2
Planungsbeginn: Nov. 2017
Bauzeit: 2018-2021
Fertigstellung: Jan. 2021
Text: Edina Obermoser
Fotos: Onnis Luque
Kategorie: Projekte