Vom Lagerhaus zum urbanen Hotspot
The Silo / Kopenhagen / COBE
Immer mehr Architekten befassen sich mit der Neunutzung und Neuadaptierung alter Bausubstanzen. Das ist nicht nur der Nachhaltigkeit oder der viel zitierten Krise geschuldet, es steht ohnehin schon zu viel gebaute Substanz in der Welt herum. Warum also sollte man nicht, anstatt sie wegzureißen, neue Nutzungen dafür überlegen? Im großen Maß geschieht das bereits in Nordeuropa, da dort weitgehend schon ein anderes Bewusstsein für die Probleme unserer Umwelt herrscht.
Als zentrales Objekt in Kopenhagens Nordhavn (North Harbour), haben die dänischen Architekten COBE mit ihrem Klienten Klaus Kastbjerg und NRE Denmark kürzlich das Projekt „The Silo“ enthüllt und fertiggestellt. Der ehemalige Getreidespeicher ist ein gutes Beispiel für diese Philosophie. 50 Jahre lang war der sehr massiv wirkende Betonblock als Speicher und Umschlagsort für Getreide verwendet worden. Heute ist er Teil eines Transformationsprozesses des Kopenhagener Nordhavn – ein riesiges postindustrielles Entwicklungsgebiet – in einen neuen Stadtbezirk. Nach einem halben Jahrhundert ist er nun in ein 17-geschossiges Wohnhaus mit 38 einzigartigen Appartements in den unterschiedlichsten Größen verwandelt worden. Zusätzlich beherbergt er öffentliche Funktionen wie Event- und Speiseräumlichkeiten auf den oberen und unteren Ebenen.
COBE ist ein Architekturbüro in Dänemark, welches die Architektur als „soziale Maschine“ versteht. Entsprechend ihrer Philosophie haben sie einen ehemaligen Getreidesilo im Hafen der Stadt unter größtmöglicher Beibehaltung der ursprünglichen Substanz und des Geistes in einen Appartementkomplex mit (auch) öffentlichen Nutzungen transformiert.
Innen-Außentransformation
Um die industrielle Betonfassade des Silos in einen zeitgemäßen Kontext und Zustand zu bringen, hat man die Außenseite der Architektur neu verkleidet, umhüllt, während im Inneren der raue und „brutale“ Charme der Anlage erhalten und unangetastet blieb. Der Geist des Silos sollte so gut wie möglich weiter wirken, sowohl im Hinblick auf die äußere, majestätische und monolithische Erscheinung wie auch im Hinblick auf die Betonstrukturen des Inneren. Also wurde er einfach mit einer neuen Hülle überzogen. Man brachte eine winkelig facettierte Fassade aus galvanisiertem Stahl an – sie dient gleichzeitig als Klimaschutzschild. Somit konnte auch die charakteristische, schlanke und hohe Silhouette des Baus bewahrt werden. Der Umbau erfolgte von innen nach außen, sodass die neuen Bewohner und Nutzungen zusammen mit der urbanen Umgebung die Identität und das Erbe der Industriearchitektur noch unterstreichen. Die Verwendung des galvanisierten Stahls für die Fassade – er patiniert in einer sehr ursprünglichen, groben Art und Weise – bringt den ehemaligen Hafencharakter zurück. Das Haptische des Stahls verleiht der Architektur eine grobe Schönheit, die zur industriellen Vergangenheit der Gegend passt.
38 einzigartige Wohnungen
Die räumlichen Möglichkeiten und Variationen im Silo waren aufgrund der Getreidelagerflächen immens groß. So konnten 38 unterschiedliche Wohneinheiten mit großteils Loftcharakter entstehen. Ein- und zweigeschossige Appartements rangieren in den Größen von 106 bis 401 Quadratmeter. Interessant sind auch die Raumhöhen mit bis zu sieben Meter. Alle Einheiten sind mit von Boden zur Decke reichenden, Panoramafenstern ausgestattet, ebenso mit Balkonen. In einigen ist sogar die ursprüngliche Sichtbetonqualität des Silos erhalten geblieben. Die Fensterumrahmungen sind an der Außenseite der existierenden Betonwände verborgen, so bietet sich den Bewohnern ein großzügiger Ausblick auf die Skyline der Stadt und die Oresund-Küste.
Die vorgehängte, facettierte Metallfassade verleiht dem massiven Betonblock des ehemaligen Getreidespeichers einen lebhaften und abwechslungsreichen Ausdruck.
Funktionsmix
Private und öffentliche Funktionen mischen sich in dieser Architektur und die obersten und untersten Geschosse sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Das oberste Geschoss besteht aus einer verspiegelten Glasbox und beherbergt ein Restaurant mit einer 360-Grad-Panoramaaussicht auf die Stadt und das Meer. Die Glasfassade spiegelt bei Tag die Umgebung und in der Nacht wirkt der Kubus wie die Reminiszenz einer beleuchteten Laterne. Die unterste Ebene ist als ein flexibler Eventbereich gestaltet und designed.
Der Mix aus privaten Wohnungen und den öffentlichen Funktionen stellt sicher, dass das Gebäude Tag und Nacht aktiv bleibt. Die öffentlichen Bereiche unten und am Dach bedeuten auch eine multidimensionale Erfahrung für die verschiedenen Nutzer der Architektur. Der Panoramablick vom Dachrestaurant ist natürlich für alle Kopenhagener interessant und so wird das Haus nicht nur bewohnt, sondern auch zum Zielpunkt des Interesses, jeder will einmal dort oben essen und die Aussicht genießen.
Durch die Revitalisierung dieses industriellen Erbes werden neue historische Spuren und Linien in der Stadt sichtbar gemacht. Sie stellen eine gebaute Ressource und die Geschichte dar. So wird industrieller Abfall oder Schutt der Vergangenheit zu einem Schatz für heute. Der Silo wurde 2017 eröffnet, und ist bereits bewohnt und ein urbaner Hotspot in dem Entwicklungsgebiet des Nordhavn.
Großzügige, loftähnliche Wohnungen sind im Inneren des Silos entstanden. Sie leben auch vom Charme der Sichtbetonwände und den puristischen Materialien
The Silo
Kopenhagen, Dänemark
Bauherr: Klaus Kastbjerg und NRE Denmark
Planung: COBE
Statik: Baslev und Wessberg
Nutzfläche: 10.000 m2
Planungsbeginn: 2013
Bauzeit: 2 Jahre
Fertigstellung: 2017
Fotos: ©Rasmus Hjortshøj – COAST
Text: ©Peter Reischer
Kategorie: Projekte