Von der Natur lernen

25. Juli 2015 Mehr

 

Ein kleines feines Projekt hat Architekt Patrice Bideau in dem französischen Hafenort Auray verwirklicht. Die Architektur lebt von der Verbindung mit der Natur und natürlichen Materialien trotz des Anspruches, ein Haus mit niedrigstem Energieverbrauch zu sein.

 

 

Bioklimatische Architektur*

Im Jahr 2010 fassten die Besitzer eines Hauses in dem kleinen Fischerdorf Auray in der Bretagne – hier landete am 3. Dezember 1776 Benjamin Franklin um die Franzosen um Hilfe im Unabhängigkeitskrieg zu bitten – den Entschluss, ihr Eigenheim zu renovieren. Sehr bald mussten sie aber feststellen, dass der Zustand des Hauses so schlecht war, dass eigentlich nur ein Abriss als Lösung infrage kam. Das war der Ausgangspunkt eines Projektes für den Architekten Patrice Bideau.

Das Bauwerk mit Nebengebäuden befand sich in einem erhaltungswürdigen Ensemble aus mittelalterlichen Stadthäusern und einigen Gebäuden aus verschiedenen anderen Zeitepochen und Stilen. Es blickte über den historischen Hafen von Saint Goustan, indem damals Franklin gelandet war. Die Besitzer fassten den Entschluss, ein ‚ökologisches Passivhaus‘ zu errichten, es sollte sowohl Feng-Shui-Prinzipien berücksichtigen, wie auch den örtlichen Bauvorschriften entsprechen. Architekt Bideau gab ihnen den Ratschlag, gleich auch konform mit den künftigen Energieverbrauchsrichtlinien zu bauen und sich an die Regeln des organischen Bauens, wie sie Frank Lloyd Wright** im Jahr 1939 formuliert hat, zu halten. Wright stellte den Menschen wieder in Beziehung zur Natur und sah gleichzeitig die Architektur verwurzelt mit dem Boden, auf dem sie steht. Die Natur sollte beim Bauen stets respektiert werden, das Haus sollte ein sogenanntes bioklimatisches Haus (eine Bezeichnung für eine Baumethode, die in Frankreich sehr verbreitet ist) werden.

Gemeinsam beschloss man, eine Mischkonstruktion aus Beton und Holzrahmenbauweise zu errichten, angestrebt wurde ein Niedrigenergiehaus mit einem jährlichen Verbrauch von 35 kWhep/m² (ep = ‚énergie primaire‘, das heißt, dass die Energieerzeugung mit eingerechnet wird). Die nordseitige Wand besteht nun aus Stahlbeton, isoliert mit 120 mm Steinwolle und mit Douglasienbrettern an der Außenseite verkleidet. Die Innenseite wurde ganz traditionell verputzt. Diese statisch tragende Betonwand vergrößert die thermische Speichermasse des Hauses, genauso wie die Fundamentplatte und die gipsverkleideten Teilungswände im Erdgeschoss. Der Holzrahmenbau mit konstruktiven 145/145 mm
Pfosten ist mit Zellulosewatte isoliert und mit einer Dampfsperre versehen. Die Decke zum ersten Obergeschoss besteht aus 80/20 mm Metallträgern, OSB-Platten, Gips und einer Zelluloseisolierung – alles wird von einem Linoleumboden bedeckt.
Das flache Satteldach ist mit gefalztem Zinkblech gedeckt, hat eine 30 cm starke Steinwolleisolierung, eine Dampfsperre und Gipskartonplatten an der Decke. Diese passiv wirkenden Elemente halten die Wärme im Winter im Haus und kühlen es im Sommer. Der Kühleffekt wird durch eine Pergola und einen Balkon, an dem Kletterpflanzen emporwachsen können, verstärkt.

Die Hauptfassade, die nach Süden gerichtet ist, überblickt einen natürlichen Teich mit Wasserpflanzen. Die Wirtschaftsgebäude wurden renoviert und ein langes, die Gebäude verbindendes Vordach über dem Hof ist mit Polykarbonatplatten bedeckt – sie hellen den Gesamteindruck des Ensembles auf. Das lange, steil abfallende Gelände bietet einige Aussichtspunkte nach Süden, und zwar vom Carport aus. Dieser schließt den Hof nach hinten ab und schafft eine Verbindung zwischen Haus und den Nebengebäuden. Die zum Teil schwarze Holzverkleidung an der Südseite wurde gewählt, um den Blick und das Auge in den Garten zu lenken.
Der Projektmanager war der Meinung, das Gebäude sei gut genug isoliert, um den maximalen Energiegewinn aus der Sonneneinstrahlung zu gewinnen. So entschloss man sich, auf eine Wärmepumpe zu verzichten und stattdessen einen Holzverbrennungsofen einzubauen und die Wärme mit einem üblichen Radiatorensystem zu verteilen. Das Haus ist mit einem thermodynamischen Wasserbereiter (Wärmerückgewinnungswarmwasserbereiter) und einem Einweg-Hygro-B-Ventilationssystem (feuchtigkeitskontrollierte Abluft) ausgestattet. Das Weglassen der Wärmepumpe und all diese Komponenten als Ausgleich resultieren in einem jährlichen Energieverbrauch von 67 kWhep/m². Zwei Blowerdoortests ergaben ein Resultat von 0.36m3/h.m².
Besondere Aufmerksamkeit legte man auf das Design der Inneneinrichtung: Der Hintergrund des Ofens besteht aus ungebrannten Lehmziegeln, die Küche und der Zeichenraum sind mit ‚Burgundischen Steinplatten‘ (antiker französischer Naturstein) belegt und leimbasierte Farben sind zum Streichen sämtlicher Wandflächen verwendet worden. Diese Kombination von hoher Energieeffizienz, organischen und bioklimatischen Aspekten in der Architektur hat dieses Haus zu einem Projekt gemacht, das seine Inspiration nicht nur aus der Natur bezieht, sondern auch von der Natur lernt und so zu einer natürlichen Behausung für den Menschen wird.

 

* Bioklimatische Architektur
Die bioklimatische Architektur nutzt nachhaltige Materialien und schützt die Umwelt durch die wirksame Verteilung, Haltung und Erzeugung nachhaltiger Energien. Die Wahl ökologisch reiner Materialien ermöglicht die Integration des Projektes in das Landschaftsbild. Nach ihren Prinzipien wird vor allem in Frankreich häufig gebaut.
Die bioklimatische Architektur umfasst folgende Bereiche:
• Entwurf des Neubaus oder Analyse des bestehenden Gebäudes.
• Anwendung von Maßnahmen bei Verkleidung, Fassaden und Dächern.
• Installation von Geräten und Systemen. (Haustechnik).
• Umweltverträglichkeitsprüfung von Projekten
• Minimierung der Umweltauswirkungen bei Bau, Sanierung, Wartung oder Rückbau.
• Verwendung von Solarenergie, Montage von erneuerbaren Energiesystemen, Geothermik, etc.

** Organische Architekur
Frank Lloyd Wright entwickelte zusammen mit Louis Sullivan die Idee der „organischen Architektur“, bei der sich das Bauwerk in seine natürliche Umwelt eingliedert. So wurden nicht nur Form und Farbe, sondern auch Material und Struktur der Bauten passend der entsprechenden Umwelt ausgesucht und entwickelt. Die organische Architektur orientiert sich außerdem stark an den Bedürfnissen des Menschen. Für jeden soll ein angemessener Lebensraum entstehen. Der Leitsatz vieler großer Designer „Form follows Function“, der von Sullivan stammte, wurde aufgenommen und umgestellt zu „Form und Funktion sind eins“. Beide verschmelzen zu einer Einheit. Wright benutzte statt „organisch“ auch oft die Wörter „integrierend“ oder „wesentlich“. Er entwickelte diesen Baustil in einer Zeit, in der die Industrienationen ihre permanent fortschreitenden technischen Errungenschaften auslebten und die Menschen immer stärkere Beziehungen zur Technik aufbauten.
Das beste Beispiel für dieses Ideal ist das Haus „Fallingwater“ in Pennsylvania. Es wurde als Wochenendhaus von der Familie Kaufman in Auftrag gegeben und laut ‚American Institute of Architects‘ ist es nicht nur das meistfotografierte Privathaus der Welt, sondern „Das beste Bauwerk amerikanischer Architektur aller Zeiten“.

 

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Kategorie: Projekte