Waldbaden in Eindhoven

4. Februar 2025 Mehr

Shinrin-yoku beschreibt die japanische Praxis, bei der man mit allen Sinnen in den Wald eintaucht und dessen beruhigende Wirkung auf Körper und Geist nutzt. Was in dem pazifischen Inselstaat als Methode zur gesundheitlichen Prävention dient, ist bei uns zwar unter dem Begriff Waldbaden bekannt, jedoch weit weniger anerkannt. Das Architekturbüro GAAGA ließ sich von dem heilsamen Ritual inspirieren und entwarf mit Het Bosbad – das Waldbad – ein zirkuläres Wohngebäude in Eindhoven, das ganz im Einklang mit der Natur steht.

 

 

Im Nordwesten der holländischen Stadt entstand das Projekt im ruhigen Viertel Bosrijk. Dort fügt es sich zwischen dem Beatrix-Kanal und vielen hohen Bäumen in einen parkartigen Kontext ein. Das Planerteam wollte einen modernen Wohnkomplex umsetzen, der eine starke Verbindung zwischen den Bewohnern, der grünen Umgebung und dem Gebäude selbst schafft. Dafür legte man den Fokus auf ein zurückhaltendes Design, natürliche Materialien und ein nachhaltiges Gesamtkonzept.

 

 

Inspirationsquelle Natur

Der rechteckige Baukörper befindet sich leicht erhöht auf einer Lichtung und wird von einem nach oben hin offenen Durchgang geprägt, welcher das Volumen in zwei gleich große Hälften teilt. Während der Boden mit Farnen und Pflanzen begrünt ist, erstreckt sich darüber die laubengangartige Erschließung der Wohnanlage mit Wendeltreppen und mehreren Brücken, die zu den einzelnen Einheiten führen. Zusätzlich gibt es ein Treppenhaus mit Lift im Inneren. Mit gewundenen Pfaden und üppiger Bepflanzung zieht sich die Erdgeschosszone wie ein Waldweg mitten durch das Haus. Sie dockt an den umliegenden Park an und setzt diesen inmitten des Gebäudes fort. Regen von Galerie- und Dachflächen gelangt über Wasserketten in kleine Teiche und Wasserelemente im grünen Außenraum oder wird in nördlicher Richtung in den Park abgeleitet. Künftig soll die zentrale Passage den Architekten zufolge von Kletterpflanzen bewachsen das einfallende Licht filtern und zum kühlen, geschützten Treffpunkt für die Mieter bzw. Eigentümer werden.

 

 

Mehrschichtige Baumstamm-Fassade

An der Außenseite des Komplexes fasst ein durchgängiges Fassadendesign die beiden Gebäudeteile sowie den Durchgang einheitlich zusammen. Die Planer entschieden sich hier für ein besonderes Gestaltungs- und Konstruktionselement, welches den Wohnbau Het Bosbad mit seiner Umgebung verschmelzen lassen soll: runde Baumstützen aus geschälten Eukalyptusstämmen. Sie tragen die Bodenplatten der umlaufenden Balkone, die sich vor die Gebäudehülle legen, und verleihen der Anlage ein kollonadenartiges Aussehen – auch im Durchgang sind sie vereinzelt zu finden. Dazwischen leiten auch hier Ketten das Wasser nach unten ab und beziehen den Regen und dessen Versickerung sichtbar in das Projekt mit ein. Die eigentliche Fassade beruht auf Rahmenelementen und wurde mit einer Holzlattung verkleidet. Bei dem Hartholz handelt es sich um ein wiederverwendetes Material, das zuvor als Uferschutz diente. Die Balkone sind in den drei Obergeschossen ebenfalls Teil der Erschließungswege, fungieren mancherorts als individuelle Freiräume und bieten Schutz bzw. Privatsphäre für die nach hinten versetzten Wohnungen. Sowohl die Laubengänge als auch die Stützen umfassen alle vier Fassaden des Neubaus komplett. So grenzen sie gleichzeitig die Passage vom Park ab und kreieren einen sanften Übergang zwischen öffentlichem Parkraum und dem halböffentlichen Durchgang.

 

 

Behutsam in die Umgebung eingebettet

Neben dem bedachten Umgang mit Wasser spielt auch Biodiversität eine zentrale Rolle. So wurde zum einen versucht, möglichst wenig in das vorhandene Ökosystem einzugreifen und dieses zum anderen punktuell behutsam zu ergänzen und aufzuwerten. Mit Rücksicht auf Bestandsbäume pflanzte man einige neue Kiefern und niedrige, mehrstämmige Arten und machte in der zentralen Passage mit Nistkästen Platz für Insekten, Vögel und Fledermäuse. Dank der kompakten Grundfläche entstehen rund um die Wohnanlage großzügige Puffer- und Versickerungsflächen, die an heißen Tagen außerdem eine kühlende Wirkung haben.

 

 

Kreislauffähig, demontierbar, sparsam & flexibel

Die Lastabtragung erfolgt hauptsächlich über zwei massive Wandscheiben aus Betonfertigteilen, die den Durchgang einfassen. Sie erstrecken sich über die Eingangsseiten beider Gebäudeflügel und werden nur durch punktuelle Stützen entlang der Außenansichten ergänzt. Bei der Konstruktion lag das Hauptaugenmerk auf Zirkularität und Demontierbarkeit. Mindestens 85 % des gesamten Materialgewichts sind laut GAAGA entweder nachwachsend, recycelbar oder in Falle eines Rückbaus direkt wiederverwendbar. Von der Tragstruktur bis hin zur mit Schraubverbindungen montierten Fassade und dem leichten Innenausbau lassen sich sämtliche Bestandteile des Wohnkomplexes entweder an veränderte Anforderungen anpassen oder am Ende des Lebenszyklus im Sinne der Kreislaufwirtschaft komplett zerlegen bzw. erneut verbauen. Zudem achtete man auf einen sparsamen Einsatz der Werkstoffe: Anstelle von massiven Ortbetondecken fiel die Wahl auf vorgefertigte Hohlkammerelemente. Diese ermöglichen deutlich schlankere Decken und sparen nach Angaben der Architekten bis zu 45 % Beton ein. Um trotzdem alle nötigen Installationen unterzubringen und außerdem spätere Sanierungen bzw. Veränderungen zu vereinfachen, verlegte man Kanalisations-, Lüftungs- und Wasserleitungen in abgehängten Decken oder Vorsatzschalen. Die Zwischenwände der bis zu fünf Wohneinheiten pro Etage sind nicht-tragend ausgeführt. Auf diese Weise können die offenen Grundrisse rund um Säulen und Schächte je nach Bedarf flexibel unterteilt und ohne größere Umbauten angepasst werden. Während die Nebenräume nach innen zum Laubengang hin orientiert sind, öffnen sich die Wohnbereiche mit bodentiefen Fenstern in Richtung Park. Mit Het Bosbad will das Planerteam zeigen, dass kreislauffähige Konzepte auch im Wohnbau der Weg in die Zukunft – und dabei sogar kosteneffizient – sind. Ganz nebenbei gelang es GAAGA, mit dem Projekt nach dem Vorbild des Waldbadens ein besonderes Wohnerlebnis zu schaffen, das selbst Betrachtern eine entspannte und ruhige Atmosphäre vermittelt und Lust auf naturnahes Wohnen im Grünen macht.

 

 

Het Bosbad
Bosrijk, Eindhoven

Bauherr: Kikx Development
Planung: GAAGA
Statik/Akustik: Van Rossum Raadgevende ingenieurs
Landschaftsarchitektur: MAAK space
Nachhaltigkeitsberatung: NIBE

Bebaute Fläche: 1.154 m²
Nutzfläche: 2.500 m²
Planungsbeginn: 2019
Baubeginn: 2021
Fertigstellung: 2022

www.gaaga.nl

 

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Max Hart Nibbrig, Melchior Overdevest

 

Kategorie: Projekte